Flexibel sein und dennoch Farbe bekennen
Die moderne Arbeitswelt prägen nicht mehr Werte wie Sicherheit, loyales Verhalten und eine solide Grundausbildung, sondern Flexibilität, Mobilität und ständige Weiterentwicklung. Der Einzelne steht vor Paradoxien, die es schwierig machen, den eigenen, richtigen Weg zu finden. Doch es gibt ein paar Ressourcen, die Hilfestellung bieten.
Wer in der Arbeitswelt bestehen will, braucht Rückgrat und kreative Selbstorganisation. (Bild: Keystone)
Die Multioptionsgesellschaft bietet dem einzelnen Menschen eine Vielzahl von Laufbahn- und Karrieremöglichkeiten, aber auch ein hohes Mass an Unsicherheiten. Die Bindungen in der Arbeitswelt nehmen ab und man spricht von einem Vakuum an verbindlichen Beziehungen.
Diese Abnahme zeigt sich unter anderem dadurch, dass in der schnelllebigen Welt Flexibilität wichtiger ist als loyales Verhalten an Ort. Einer von drei Beschäftigten in den USA ist weniger als ein Jahr beim selben Arbeitgeber. Und in Grossbritannien muss ein Hochschulabsolvent heute drauf gefasst sein, im Laufe seines Lebens nicht weniger als zwölfmal den Arbeitgeber zu wechseln. Es gibt heute kaum mehr lineare Berufskarrieren. In der Arbeitswelt gelten als Kernkompetenzen nicht mehr in erster Linie Ordnung und Pünktlichkeit. Gefragt sind Flexibilität und Mobilität.
Paradoxien der Arbeitswelt
Gleichzeitig werden durch Rationalisierungsmassnahmen und Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer Stellen abgebaut. Es bleiben in den hochentwickelten Ländern vor allem Jobs für hoch qualifizierte Leute. Somit steigt der Druck, sich ständig weiterzubilden und zu qualifizieren.
Die formalen Ausbildungen sind aber noch keine Garantie für den Zugang zur Arbeitswelt, sondern nur noch «Schlüssel zu den Vorzimmern, in denen die Schlüssel zu den Türen des Beschäftigungssystems verteilt werden» (Beck 1999). Schule und berufliche Bildung dienen kaum noch der Vorbereitung auf eine Karriere in einem bestimmten Beruf, sondern als erstes Fitmachen für den lebenslangen Wettkampf. Damit ergibt sich die widersprüchliche Situation dass es zwar wichtig ist, dass man lernt, aber immer unwichtiger, was man lernt.
Es ist deshalb zentral, dass man früh lernt mit Widersprüchen umzugehen, die einem in der Arbeitswelt begegnen. Einige dieser Paradoxien werden im Folgenden beschrieben:
- Menschen sollen einzigartig sein, eine ICH-AG mit einem eigenen USP (Unique Selling Proposition) entwickeln. Wenn aber alle artig mitmachen, so ist Einzigartigkeit nicht mehr «unique», sondern es sind alle «kreative Opportunisten».
- Wie soll der Arbeitnehmer mit dem Paradox umgehen, dass er Beiträge zur immer höheren Produktivität leisten soll und dabei Gefahr läuft, sich selber wegzurationalisieren? Denn wenn es immer noch schlanker geht, dann heisst dies ja, vorher war es nicht gut genug, das Alte wird abgewertet. Und wo ist die Grenze der «Lean Production» erreicht? Dazu folgende Geschichte von Shah: Der Mulla Nasrudin kaufte einen Esel. Jemand sagte ihm, er müsse ihm täglich so und so viel Futter geben. Das erschien ihm aber zu viel. Er wollte, so entschied er, den Esel an weniger Futter gewöhnen. Darum verringerte er täglich die Futtermenge. Als der Esel schliesslich so gut wie gar kein Futter mehr bekam, fiel er um und war tot. «Schade», sagte der Mulla, «ich hätte nur noch ein wenig Zeit gebraucht, um ihn daran zu gewöhnen, von gar nichts zu leben».
- Wir sollten flexibel mit dem Widerspruch umgehen können, einerseits als Angestellte oder Selbständige mit andern in Konkurrenz zu stehen, aber gleichzeitig arbeitsgruppenintern oder in Netzwerken zu kooperieren.
- In Firmen sollte der modulare Mensch anerkennen, dass alle in einem Boot sitzen, aber auch akzeptieren, dass der Fortschritt allenfalls ihre Entlassung erforderlich macht.
- Durch die neuen «grenzenlosen» Karrieremodelle stehen wir vor der paradoxen Aufgabe, unsere Planung selber in die Hand zu nehmen in einer Zeit, wo keine Orientierungslinien, sichere Erfolgsrezepte oder Planungshilfen bereit liegen. Ob sich eine Orientierung an einer klassischen Normalbiographie oder an einem anderen Karriereskript schlussendlich gelohnt hat, können wir erst im Nachhinein beurteilen. Diese Unsicherheit mag wiederum den Wunsch nach einem klassischen, linearen Modell aufkommen lassen, auch wenn dieses von den meisten Organisationen gar nicht mehr angeboten werden kann.
Ressourcen, die es sich lohnt anzueignen
Um in der Arbeitswelt zu bestehen, muss man lernen mit solchen Paradoxien umzugehen. Hilfestellung bieten folgende Ressourcen:
- die Fähigkeit, Unsicherheiten auszuhalten und in der Vielzahl der Optionen eine Entscheidung treffen zu können;
- eine minimale materielle Absicherung, um doch auch Wagnisse eingehen zu können;
- kreative Selbstorganisations- und Gestaltungskompetenz, um einerseits flexibel zu sein, andererseits auch Rückgrat zeigen zu können;
- Beziehungs – und Kommunikationsfähigkeit, um anspruchsvolle Situationen optimal angehen zu können.
Diese Ressourcen sind lernbar. Wer sie sich aneignet und trainiert, besitzt gute Voraussetzungen, um im Arbeitsalltag zu bestehen.
Das Buch zum Thema
Ist Identität eine Fiktion? Ist es noch möglich, in einer Gesellschaft mit immer komplexer werdenden Lebenswelten eine gewisse Einheit seiner eigenen Person zu erfahren? Eher ist von der Aufsplitterung des Subjekts die Rede. Doch die Vielfalt ist auch eine Chance für unsere kreative Weiterentwicklung. Eric Lippmann erklärt in seinem Buch «Identität im Zeitalter des Chamäleons - Flexibel sein und Farbe bekennen» anhand der fünf Säulen der Identität – Beziehungen, Arbeit, Körper, Besitz, Sinn –, wie die Fragmentierung des Selbst die Kernbereiche unseres Lebens durchzieht. Das dabei erkennbare Chamäleon-Paradox von Anpassung und Autonomie wird mit Beispielen aus Woody Allens Filmklassiker «Zelig» veranschaulicht. Das Buch ist 2013 im Verlag Vandenhoeck Ruprecht, Göttingen erschienen.