Rang vor Alter vor Geschlecht
Stokar hat dem Weg vom Sie zum Du ein eigenes Kapitel gewidmet in seinem Buch. Für HR Today hat er spezifischere Fragen zum Duzen im Geschäftsalltag beantwortet. «Grundsätzlich kommt es auf die Situation an, ob man jemanden mit Du oder Sie anspricht. Es gibt heute keine starren Regeln mehr. Aber wenn beim Einstellungsgespräch oder auf schriftlichen Einstellungsdokumenten nicht ausdrücklich auf die Du-Kultur hingewiesen wird, sollten neue Mitarbeiter alle Siezen.» Wer wem dann das Du anbietet, entscheidet Rang vor Alter vor Geschlecht. Im Büro kann also der sehr junge, neue Bereichsleiter der älteren Telefonistin das Du anbieten.
Apropos Alter: Für Stokar sind Jugendliche ab 15 Jahren im Sie-Alter. Dafür ist man heute, was die Altersunterschiede betrifft, grosszügiger. «Ich würde eine Generation definieren, also rund 15 Jahre. Bei weniger Unterschied spielt es keine grosse Rolle, wer wem zuerst das Du anbietet.»
Was aber, wenn man gar kein Du-Kollege sein will und die durch das Sie generierte Distanz gerade recht kommt? «Ein Du-Angebot abzulehnen ist sehr heikel. Wenn es aber höflich und mit einer Begründung passiert, ist es legitim», findet Stokar. Eine fixfertig Formulierung zum auswendig lernen liefert er im Buch: «Ihr Angebot freut mich sehr. Ich bin allerdings ein Gewohnheitstier und empfinde den freundlichen Umgang mit Ihnen in dieser Form als so angenehm, dass ich das Sie beibehalten möchte. Haben Sie Verständnis dafür?»
Beim Du: Keine Rückkehr möglich!
Eine solche Antwort mag anachronistisch wirken. Doch auch in Zeiten, in denen das Siezen immer weniger Befürworter findet, lässt sich auch in der förmlichen Version jahrelang eine freundschaftliche Beziehung mit anderen Menschen pflegen. Gerade im beruflichen Kontext kann es hilfreich sein, die Distanz des Sies beizubehalten. Beispielsweise kann einen die vermeintliche Nähe des Dus in die Bredouille bringen, wenn man einem Kollegen unangenehme Nachrichten wie eine Kündigung überbringen muss. «Hier gilt: Für offizielle Dokumente und Schreiben, die nicht nur an den Empfänger gehen, wird das Sie benutzt. Schön ist es aber, dem Du-Kollegen bei einer solchen Nachricht eine handgeschriebene Karte mit Du-Anrede beizulegen» sagt Stokar. Denn eines ist klar: Ist das Du einmal gesprochen, kann man unmöglich zum Sie zurückkehren, ohne die betroffene Person arg zu beleidigen.
Eine Ausnahme gibt es allerdings: Das sogenannte Tages-Du. «Ein Phänomen, dass beispielsweise auf Golfplätzen unter Managern zu beobachten ist. Im Geschäftsalltag siezen sie sich, beim Zusammentreffen im lockeren Umfeld aber spricht man sich mit Du an.»
Vorsicht ist hingegen geboten, wenn der Chef beim Weihnachtsessen nach ein paar Gläschen Wein das Du anbietet. «Beobachten Sie als Mitarbeiter abwartend, ob es auch am nächsten Tag dabei bleibt. Wenn nicht, bestehen Sie nicht auf das Du, sondern kehren Sie ohne Kommentar zum Sie zurück», rät der Anstands-Papst.
Absolute Zurückhaltung ist auch bei externen Geschäftspartnern angesagt. Der Kunde ist auch beim Duzen König. Er bietet das Du an, sonst bleibts beim Sie. Arbeitskollegen aber, die bei Meetings dabei sind wo Kunden mit Sie angesprochen werden, können weiter geduzt werden. «Wichtig ist, authentisch zu bleiben. Sonst kommt es sowieso zu Versprechern», sagt Stokar. Könnte dann lauten: «Herr Meier, kannst Du das bitte notieren?»
Buchtipp
Guter Umgang ist Lebensqualität. Das meint jedenfalls der Schweizer Knigge. Wies geht, in jeder Lebenslage Anstand zu beweisen, ist im Buch auf unterhaltsame Weise erklärt.
Christoph Stokar: «Der Schweizer Knigge. Was gilt heute?» Beobachter-Edition, 2. Auflage 2012.