Im Gespräch

Freiwilligenarbeit als Bindeglied 
zwischen den Gesellschaftsschichten

Zum Europäischen Freiwilligenjahr 2011 rückt das Thema Social Responsibility in den Fokus. Angesprochen ist dabei nicht nur der Einzelne, sondern auch die Unternehmen. Für sie machen freiwillige Verpflichtungen Sinn, wenn sie zum 
eigenen Aktionsfeld passen. Dann können Firmen dieses Engagement zu ihren Gunsten nutzen.

Herr von Schnurbein, engagieren Sie sich selber ehrenamtlich?

Georg von Schnurbein: Ich bin Stiftungsrat einer kleinen Förderstiftung in Deutschland. Ausserdem bin ich durch
 meinen Beruf in mehreren Gremien inner- und ausserhalb der Universität engagiert. 
Als junger Familienvater ist die Zeit für freiwilliges Engagement jedoch begrenzt.

Sie bezeichnen Freiwilligenarbeit als Kitt der Gesellschaft. Was bedeutet das?

Freiwilliges Engagement bringt verschiedene Teile einer Gesellschaft miteinander in Berührung. Bedürftige, Benachteiligte oder ausgegrenzte Personen bekommen Unterstützung von Leuten, die im Arbeitsleben 
stehen und sonst vielleicht nie mit ihnen zu tun haben würden. Wenn jemand aus dem mittleren Management in einer Kita aushilft, prallen verschiedene Welten aufeinander. 
Insofern hilft freiwilliges Engagement, dass sich die Gesellschaft nicht in einzelne 
Grüppchen zergliedert, sondern dass eine 
Verbindung entsteht.

Warum ist das wichtig?

Weil es die Stabilität einer Gesellschaft fördert. Wenn manche Klassen nicht wissen, was in anderen Schichten los ist, können 
Klischees entstehen, die sich auch schnell im politischen Wahlverhalten ausdrücken.

Wieso ist es Sache der Unternehmen, hier aktiv zu werden?

Mehrere Studien zeigen, dass vor allem jene Menschen am häufigsten ehrenamtlich tätig sind, die im Berufsalltag stehen. Wenn die Wirtschaft das unterstützt, kann an dieser Stelle vielleicht zusätzliches Engagement 
generiert werden. Die Idee, beispielsweise 
Arbeitslose stärker für diesen Sektor zu aktivieren, funktioniert nicht.

Wieso nicht?

Das wäre eine Geringschätzung der Freiwilligenarbeit nach dem Motto: «Das kann jeder machen, man braucht nur die Zeit 
dafür.»

Kann denn nicht jeder Freiwilligenarbeit leisten?

Grundsätzlich schon. Aber man kann 
keine Arbeitslose verpflichten. Sie ist ja per definitionem freiwillig. Und jemand, der verpflichtet wird, macht das nicht aus den 
gleichen Beweggründen wie ein Freiwilliger. Aus dem gleichen Grund sollte man Unternehmen auch nicht zu Corporate Volunteering verpflichten. Verdonnert der Staat die Unternehmen gesetzlich zu so und so viel 
Stunden Engagement, hätte das zwar für die Gesellschaft den gleichen Nutzen, aber es wäre nicht mehr freiwillig.

Kann man es wirklich noch freiwillig 
nennen, wenn sich ein Unternehmen 
gemeinnützig engagiert, oder sind die 
Beweggründe, wie etwa gute Aussenwirkung, eigentlich ganz andere?

Freiwilligkeit schliesst nicht aus, dass ein Eigennutz vorhanden ist. Altruismus ohne Egoismus existiert nicht. Das beginnt bei 
Stiftungen, die den Namen des Stifters 
tragen, und geht bis hin zu Freiwilligen an der WM, die extra Ferien nehmen, weil sie hoffen, einen Blick auf die Stars werfen zu können. Deshalb finde ich es auch nicht falsch, wenn sich Unternehmen überlegen, ein Programm für die Mitarbeitenden aufzugleisen. Es dürfen durchaus eigene Interessen berücksichtigt werden.

Geht der Druck von Seiten der Gesellschaft nicht genau in diese Richtung?

Kann sein. Aber wenn die Gesellschaft Engagement von den Unternehmen verlangt, haben diese immer noch die Entscheidung, 
ob sie es tun oder nicht. Das ist wie in einer Familie: Niemand bringt den Müll freiwillig raus, man tut es, weil es verlangt wird.

Welche Unternehmen sind eher engagiert?

Es gibt eine Trennlinie zwischen grossen und kleinen Unternehmen. Bei KMU ist das gesellschaftliche Engagement traditionell sehr hoch – gerade auf regionaler Ebene –, hat aber keine strategische Komponente. Bei 
grossen finden sich eher professionelle, 
strategische Programme. Von den grossen internationalen Konzernen ging auch die 
Entwicklung hin zu strategischem CSR aus.  Das liegt daran, dass der Druck, einen CSR-Report in Amerika vorzulegen, viel stärker ausgeprägt ist als hier.

Ist Amerika weiter?

Das würde ich nicht sagen. Der Umgang mit Freiwilligenarbeit im Unternehmen hat einfach eine längere Tradition. In der Schweiz haben wir die soziale Marktwirtschaft. Das heisst, der Staat übernimmt viele soziale 
Aspekte, die Wirtschaft trägt – gesetzlich 
verankert – ebenfalls grosse Verantwortung. In den USA beginnt unternehmerisches Engagement früher und basiert viel mehr auf 
Freiwilligkeit.

Wie muss so etwas intern aufgegleist sein, damit es funktioniert?

Ich finde es einen guten Ansatz, wenn beide, also Mitarbeiter und Unternehmen, Zeit investieren. Bei der Swisscom läuft es so, dass bei einem halbtägigen Einsatz die Mitarbeitenden zwei Stunden Freizeit investieren.

Kommt es sonst zu einer Mitnahmementalität, um einen Tag im Büro zu umgehen?

Entweder das oder es setzt ein Pflicht,
gefühl ein. Natürlich ist eine gewisse Art von Gruppenzwang oder sozialer Kontrolle gegeben. Aber das finden Sie auch auf dem Land, wo das Engagement traditionell höher, die soziale Kontrolle stärker ist als in der Stadt.

Das ist ja dann schon wieder nicht mehr freiwillig …

Ich unterscheide da zwischen Verpflichtung und sozialem Druck. Ich glaube, dass  man die Leute manchmal zu ihrem Glück zwingen muss.

Was bringt das denn einem Unternehmen konkret?

Unternehmen haben die Chance, ihre schön formulierten Leitbilder auch wirklich zu leben. Gerade die jungen Arbeitnehmer suchen nach Jobs, in denen nicht nur der Lohn zählt. Die fragen, für welche Werte ein Unternehmen einsteht. Dann ist ein schlichter Verweis aufs Leitbild etwas dünn. Freiwilligenarbeit kann ausserdem Kompetenzen der Mitarbeitenden fördern. Oft schicken Unternehmen ihre Mitarbeiter an Seminare, wo in sterilen Situationen Konfliktlösungen und Kommunikation trainiert werden. Bei einem Corporate-Volunteering-Einsatz trainieren die Beteiligten dies ebenso – jedoch in realen Situationen.

Welchen Stellenwert hat Freiwilligenarbeit beim Recruiting?

Das kommt wirklich auf den Erfahrungsschatz und die Attitüde der Person an, welche rekrutiert. Da kann man für ein Unternehmen selbst keine Aussagen treffen. Wichtig ist meiner Meinung nach der Eindruck, den jemand vermittelt. Ist jemand sehr engagiert und begeistert, geht der Chef sicher eher darauf ein und bietet Unterstützung an.

Wo sehen Sie Probleme?

Die Erfahrungen auf beiden Seiten sind ambivalent: Wenn zum Beispiel an einem Tag Heerscharen von Freiwilligen irgendwo einen Einsatz leisten, kann das mehr Kosten als Nutzen verursachen. Diesen Aspekt übersehen die Unternehmen häufig – es bringt nicht nur Nutzen, es entstehen auch Kosten. Die NPO muss Mitarbeitende bezahlen, welche die Freiwilligen einweisen, es muss vorausge
plant werden. All das kostet.

Haben Sie ein Beispiel?

Bei einer Sportveranstaltung für Behinderte standen an jeder Station fünf bis sechs Freiwillige rum, die einfach nichts zu tun 
hatten. Es gab zu viele Freiwillige für diesen Anlass. Natürlich fragen sich die, was sie 
eigentlich da machen.

Passt jedes Engagement zu jedem Unternehmen?

Wenn man einen strategischen Ansatz wählt, macht es Sinn, sich zu überlegen, ob er zum eigenen Aktionsfeld passt. Ein Beispiel aus Deutschland: Der Automobilhersteller Hyundai arbeitet eng mit der Caritas zusammen, die zahlreiche Fahrdienste oder Essen auf Rädern anbietet. Da können klar gemeinsame Interessen genutzt werden.

Das ist natürlich der Idealfall …

Ja, in den meisten Fällen ergibt sich eine derartige Zusammenarbeit eher durch Zufälle. Andererseits wissen viele Unternehmen auch nicht, wie sie das Thema strategisch angehen sollen.

Die Schweiz ist punkto Freiwilligenarbeit vorn mit dabei. Wo ist noch Potenzial?

Man sollte sich nicht zum Ziel setzen, die 34 Prozent auf 37 zu steigern. Das wäre der falsche Ansatz. Es geht nicht nur um die Quantität, es geht vor allem um Qualität. 
Potenzial liegt sicher darin, dass Angebot und Nachfrage besser zueinander finden. Zudem bieten die Mitarbeitervereine in grossen Unternehmen noch eine Chance. Dort könnte man schauen, was sich auch für das 
Corporate Volunteering nutzen liesse.

Wie involviert ist HR und wie involviert sollte es sein?

Das ist ganz unterschiedlich. Bei manchen ist CSR im HR angesiedelt und wird auch wirklich als Personalentwicklungsaufgabe 
gesehen. Entstanden ist es aber oft im Bereich 
Communications, wo es häufig Personen gibt, die für Corporate Volunteering verantwortlich sind. Es geht sicher beides, aber es ist sinnvoll, wenn jemand vom HR mit dabei ist, um auch wirklich zu sehen, was es für die Mitarbeitenden bringt, und dies auch periodisch überprüft. Und das ist Aufgabe des HR, weil Communications häufig die kritische 
Distanz fehlt.

Georg von Schnurbein

ist Assistenzprofessor für Stiftungsmanagement und Leiter des Centre for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel, das von SwissFoundations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen, initiiert wurde. Zuvor war 
er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Verbandsmanagement-Institut der Universität Fribourg. Von Schnurbein 
studierte Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaften an den Universitäten Bamberg, Fribourg und Bern.
 

 

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