Manager am Limit

«Führen ist ein hoch emotionaler Prozess»

Die Suizide von Carsten Schloter und Pierre Wauthier haben schockiert, aufgerüttelt und viele Fragen ausgelöst. Wer hilft, wenn Manager am Limit sind? Wo ist die Grenze der Belastbarkeit? «Schwierig wirds, wenn die eigenen Emotionen nicht mehr reguliert werden können», sagt der Psychologe Felix Kobelt. Er führt Seminare für Führungskräfte durch.

Herr Kobelt, was bringt Manager dazu, Suizid zu begehen?

Felix Kobelt: Suizide sind etwas Unfassbares, ein Schock. Die Frage kann man so nicht beantworten. Stress kann eine Rolle spielen. Je grösser der Stress, ob beruflich oder privat, desto schwierigere emotionale Dynamiken entstehen. Wie der Körper hat auch die Psyche ein natürliches Abwehrsystem. Stress schwächt dieses System. Wir werden dünnhäutiger. So können Gefühle entstehen, die wir in dieser Art aus dem Alltag nicht kennen und mit denen wir darum nicht gut umgehen können. Im Extremfall können solche Gefühle zu Impulshandlungen führen.

Was sind das für Gefühle?

Das können zum Beispiel Versagensängste sein, Ohnmacht, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit oder existentielle Sinnfragen.

Denken Sie, der Druck auf Manager hat zugenommen?

Wir leben in sehr unruhigen Zeiten. Die technische und wirtschaftliche Dynamik sorgen für eine enorme Schnelllebigkeit. Früher hatten Manager wohl noch etwas mehr Möglichkeiten, ab und zu den Fuss vom Gas zu nehmen. Auch waren sie mit 50 in gewisser Weise etabliert. Heute weiss jeder, dass er sofort ausgewechselt wird, wenn seine Performance nicht stimmt. In diesem Sinne hat der Druck sicher zugenommen.

Also ist der Stress schuld, wenn Manager am Limit sind?

Stress begünstigt emotionale Krisen, aber er trägt keine Schuld. Stress an und für sich ist nichts Schlechtes. Schädlich wird er erst, wenn keine Zeit mehr bleibt, um sich zu erholen. Carsten Schloter soll zum Beispiel an Schlafstörungen gelitten haben. Das destabilisiert extrem. Es ist wesentlich, nach Stresssituationen Abstand nehmen zu können, zu regenerieren. Wenn diese individuelle Grenze überschritten ist, liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, Stopp zu sagen.

Wie steht es mit der emotionalen Belastung von CEO’s?

Das geht Hand in Hand mit dem Stress und dem Druck. Wenn in einem Unternehmen viel Unruhe herrscht, ständig reorganisiert wird, steigt die emotionale Belastung. Vielleicht müssen Mitarbeiter entlassen werden, vielleicht sogar gute Mitarbeiter, die das nicht verdient haben. Das schafft Schuldgefühle. Führen heisst auch, sich ständig schuldig zu machen.

Wie kann man Manager von diesem Druck entlasten?

Sie müssen abladen können. Das funktioniert am besten in Gesprächen. Sie brauchen Vertrauenspersonen, interne oder externe. Personen auf der gleichen Ebene, mit denen sie sich austauschen können. Dafür ist eine gewisse Kultur nötig in einem Unternehmen. Ironischerweise wird diese Kultur am stärksten von den Chefs selbst geprägt.

Denken Sie, man sollte solche «Vertrauenspersonen» institutionalisieren?

Nein, dafür bin ich nicht. Das nützt auch nichts. Die Bereitschaft zu solchen Gesprächen muss von den Betroffenen selber kommen. Einrichtungen wie ICAS (siehe Kasten) sind sicher sinnvoll. Aber wenn ein Manager in einem grossen Unternehmen sagt, er brauche einen Coach, wird er einen bekommen. Daran liegt es nicht.

Hilfe von Unternehmensseite: ICAS

ICAS bietet Mitgliedern im Notfall schnelle, externe Mitarbeiter-Beratungen an. Die Unternehmen zahlen in einen gemeinsamen Topf ein, ihre Mitarbeiter haben dadurch Anrecht auf anfangs kostenlose Konsultationen bei Psychologen, Therapeuten oder Coaches. Diese können rasch und aus einem breiten Netzwerk vermittelt werden.
www.icas-eap.com

Woran denn?

Eher an dem Bild, dass Führungspersonen von sich selbst haben. Wirtschaftsmenschen sind eher Machertypen und wollen etwas bewegen, Probleme schnell und effizient lösen. Es gehört weniger zu ihrem Muster, den Blick nach innen zu richten. Zudem glauben sie oft, sie müssen alleine zurechtkommen mit ihren Gefühlen.

Emotionen galten in der Wirtschaft ja auch oft als hinderlich.

Ja, es braucht einen Wertewandel. Aber ich denke, eine gute Führungskraft zeichnet auch aus, dass sie einen guten Zugang zu den eigenen Emotionen hat und das «innere Team» im Griff hat.

Das «innere Team»?

Der Mensch hat verschiedene Seelen in seiner Brust. Manchmal zerren die verschiedenen Seiten einer Person in unterschiedliche Richtungen. Man ist hin- und hergerissen. In dieser Situation braucht es einen guten  «inneren Teamleader», der die einzelnen «inneren Teamplayer» nicht negiert, sondern sie werteneutral anhört und dann entscheidet. Eigentlich auf die gleiche Art, wie man auch ein externes Team führt.

Chefs sollten also auch den Emotionen ihrer Mitarbeiter Rechnung tragen?

Unbedingt! Denn Emotionen sind hochansteckend. Wenn Frust herrscht, bereitet er sich schnell aus. Wenn ich mir als Chef bewusst bin, welche Emotionen ich mit einer gewissen Handlung auslöse, kann ich auch besser darauf einwirken. Führen ist ein hoch emotionaler Prozess.

Wie merken Mitarbeiter oder Kollegen, dass der Chef emotional am Anschlag ist?

Das kommt auf den Bewältigungsstil des Betroffenen an. Einige greifen zu Alkohol, andere isolieren sich. Wieder andere können nichts mehr loslassen und nehmen trotz Überarbeitung immer noch mehr Arbeit an. Oder sie lassen ihren ganzen Frust im zwischenmenschlichen Bereich aus. Durch Kränkungen oder Beleidigungen anderer zum Beispiel. Es gibt aber auch Führungskräfte, denen man von aussen gar nichts anmerkt, weil sie die Gefühle so gut abspalten können.

Wie kann man verhindern, dass es soweit kommt?

Sport ist, solange er der Erholung dient und nicht ein weiterer Kampf gegen die Zeit ist, sicher ein gutes Ventil. Essentiell ist aber, dass Chefs nicht ihren ganzen Wert aus der Arbeit ziehen. Sie ist nur ein Teil des Lebens. Menschen brauchen das Gefühl, auch Mensch sein zu können – und das bekommen sie nur, wenn sie sich zwischendurch innerlich völlig von der Arbeit lösen können. Kontakt und Austausch mit anderen Menschen ist dafür sicher hilfreich.

Was lehren Sie Chefs, die Ihre Seminare besuchen?

Allgemeine Tipps helfen wenig. Ich versuche sie zum Beispiel zu ermuntern, ihre eigene innere Landkarte kennenzulernen und sich immer wieder zu fragen: Was kommt bei diesem Konflikt von mir selber zum Ausdruck? Zum anderen geht es darum, souveräner mit Emotionen umzugehen, mit eigenen und mit fremden, indem man den eigenen Bewältigungsstil kennenlernt. Ein Werkzeug, mit dem ich gerne arbeite, ist eben das Konzept des «inneren Teams» von Schulz von Thun. Um damit zu arbeiten, muss man es aber auf die individuelle Persönlichkeit zuschneiden.

Der Interviewpartner

Felix Kobelt, Lic.phil. Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, bietet in Winterthur Beratung, Therapie, Supervisionen und Coaching für Einzelne, Paare und Gruppen an. Zudem führt er Seminare zu den Themen «Emotionale Intelligenz im Berufsleben», «Emotional intelligent Konflikte lösen» und «Emotionale Intelligenz im Umgang mit schwierigen Team-Situationen».

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