Führung, Kontrolle und Belohnung bestimmen die Arbeitsleistung
China ist für viele europäische und amerikanische Unternehmen das Land der unbegrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten. Für viele Westler, die dort tätig sind, ist die Kultur aber ein Buch mit sieben Siegeln. Basierend auf Interviews mit China-Experten zeigen die Ergebnisse einer Diplomarbeit, wie westliche Vorgesetzte ihre chinesischen Mitarbeitenden wirksamer führen können. Aber Vorsicht: Sie bleiben dabei in der durch die eigene Kultur geprägten Sichtweise gefangen.

Der boomende chinesische Markt zieht immer mehr westliche Unternehmen an. Entsendungen von im Mutterhaus tätigen Kaderpersonen nach China zur Führung der lokalen Mitarbeitenden gehen damit einher. In den daraus entstehenden Personalführungssituationen sind interkulturelle Konflikte vorprogrammiert. Wie müssen westliche Führungskräfte vorgehen, um diese interkulturelle Situation zu meistern?
Ausserhalb der Systemgrenzen des Führungsprozesses liegen die Faktoren, die als Rahmenbedingungen das eigentliche System massgeblich beeinflussen (Unternehmensstrategie und -kultur sowie strukturale und funktionale Führungsaspekte). Auf der obersten Ebene des Systems, der Management-Ebene, befinden sich die Aufgaben der Führungskraft, welche vor allem der strategischen Ausrichtung und der Lenkung der Gruppe dienen. Die mittleren vier Aspekte stellen die eigentliche Leistungserbringung der Personalführung dar, die Kernaufgaben eines Vorgesetzten, mit deren Erfüllung der wahrnehmbare Nutzen einer Gruppe entsteht. Auf der untersten Ebene, der Supportebene, befinden sich die Aufgaben, die der Unterstützung der Leistungserbringung dienen. Für diese Aufgaben können zusätzliche Stellen (etwa HR-Abteilung) einbezogen werden.
Die Aufgaben lassen sich untereinander nicht vollständig abgrenzen. So kann sich etwa die Art der Entscheidungsfindung auf die Motivation der Geführten auswirken. Allen diesen Aufgaben ist jedoch gemein, dass sie je nach Führungsstil unterschiedlich erledigt werden können (siehe Grafik).
Aus allen möglichen Führungsstilen der westlichen Führungslehre finden die Autoren aufgrund der geführten Experteninterviews, dass der paternale Führungsstil, wie Blake/McCanse ihn in ihrem GRID-Modell beschrieben haben, dem wirksamen Führungsverhalten gegenüber chinesischen Mitarbeitenden am nächsten kommt: Der wohlwollende Patriarch erwartet Loyalität von «seinen Kindern» (Tausch von Belohnung und Anerkennung gegen Loyalität und Gehorsam). Starke Führung, strenge Kontrolle und Belohnung bei Gehorsam sichern die Arbeitsleistung.
Es gibt keine universellen Normen
Bevor der westliche Manager sich aber Gedanken macht, wie er nun chinesische Mitarbeitende konkret führen soll, muss er das eigene kulturell bedingte Wertesystem hinterfragen. Nur wenn der westliche Manager zur Einsicht gelangt, dass seine Art zu handeln zum grössten Teil eine Folge seiner westlichen kulturellen Prägung ist, kann er aus der eigenen Befangenheit heraustreten und sich wirklich auf die fremde Kultur einlassen, ohne ständig den westlichen Massstab zur Bewertung der entstehenden Situationen anzuwenden. Der Begriff «nicht normal» sollte deshalb im Vokabular der nach China entsandten Führungskraft bei der Beurteilung chinesischen Verhaltens nach Möglichkeit nicht vorkommen: In der westlichen Gesellschaft ist es beispielsweise üblich, stark ausgeprägte Machtunterschiede abzulehnen. In China jedoch ist das hierarchische Denken sehr ausgeprägt und anerkannt.
Die westliche Denkart nun auf China zu übertragen und zu meinen, dass Chinesen hier rückständig seien, greift zu kurz. Das Infragestellen von starren Machtstrukturen hat im Westen zu stabilen Staatsformen und Wohlstand geführt, wohingegen in China Liberalisierungsbewegungen in der Vergangenheit die Gesellschaft ins Chaos stürzten und entsprechend negativ besetzt sind. Fast alle Unterschiede zwischen dem Westen und China lassen sich derart mit Gegebenheiten der Vergangenheit und Gegenwart logisch begründen, weshalb nicht von «normal» oder «abnormal» gesprochen werden darf. Grundkenntnisse dieser Gegebenheiten im Westen wie in China sind deshalb unabdingbar, um interkulturelle Situationen erkennen und meistern zu können.
Es gibt 1,3 Milliarden Chinesen. In Anbetracht dessen scheinen allgemeingültige Handlungsempfehlungen unmöglich. In der Tat unterscheiden sich Chinesen stark im Hinblick auf gewisse grundlegende Faktoren wie Alter, Herkunft und Ausmass an Berührungspunkten zur westlichen Kultur. Die älteren Generationen beispielsweise sind in einem Umfeld gross geworden, in dem eigenständiges Denken und Eigeninitiative negativ belegt waren. Für sie sind die bestehenden Strukturen als Orientierungspunkt sehr wichtig. Ganz anders verhält es sich bei den jüngeren Generationen, sie wollen an den Entscheidungen teilnehmen und sich selbst einbringen. Ihnen liegt zwar auch noch immer sehr viel am Wohl der gesamten (chinesischen) Gesellschaft, doch ist die Bedeutung des Individuums deutlich ausgeprägter. Aber selbst wenn die Unterschiede innerhalb der chinesischen Gesellschaft gross sind, sind die Differenzen doch wesentlich geringer als zwischen Europäern und Asiaten.
Gesicht, Beziehung, Etikette und Verpflichtung sind die vier Grundelemente der chinesischen Kultur. Bei Chinesen führen viele im westlichen Sinne unbedenkliche Situationen zu einem Gesichtsverlust, was für Chinesen zerstörerische Auswirkungen haben kann. Alle Entscheidungen in der chinesischen Arbeitswelt, können nicht einfach nur auf der Basis von Fakten getroffen werden, sondern der Beziehungsgedanke muss stets mit einbezogen werden. Und Etikette, sei es in Form von Freundlichkeit oder von kontrollierten Emotionen, ist unabdingbar in der chinesischen Arbeitswelt, will die westliche Führungskraft nicht als unkultiviert und als nicht respektierbar gelten. Für Chinesen sind (wechselseitige) Verpflichtungen ein zwingender Bestandteil einer Beziehung, zu erbringende Gegenleistungen sollen deshalb auch nicht möglichst schnell erbracht werden. Auf Basis dieser vier Grundelemente bildet sich eine Harmonie in der Gruppe, als Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Daraus abgeleitet hier einige grundlegende Handlungsempfehlungen in den einzelnen Aufgaben des Führungsprozesses:
Kommunikation: Der wichtigste Unterschied in der Kommunikation zwischen dem Westen und China manifestiert sich in der Art, wie Aussagen gemacht werden. Im Westen neigt man zu möglichst klaren und eindeutigen Aussagen, die wenig Interpretationsspielraum lassen. Probleme werden direkt angesprochen und analysiert und es wird sachlich formuliert. Dagegen kommunizieren die Chinesen in einer bildhaften Sprache, sie verklausulieren ihre Aussagen, lassen Interpretationsspielraum, um niemandem direkt zu widersprechen.
Motivierung: Die persönliche, durch Loyalität geprägte Beziehung ist in der Motivierung das ausschlaggebende Element. Ist diese vorhanden, sind Chinesen bereit, ausserordentlich viel Arbeitseifer an den Tag zu legen. Neben angemessener Bezahlung sind den Chinesen persönliche Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten wichtig. Junge Chinesen stehen heute unter grossem Druck seitens der Familie, rasch etwas zu erreichen. Der Aufstieg auf der Karriereleiter ist eine Ausweitung ihres Einflussbereichs, was sich wiederum positiv auf ihr persönliches Beziehungsnetz auswirkt.
Entscheid vorbereiten: Im Westen werden Entscheidgrundlagen oft in der Gruppe zusammengetragen. Die Fachkompetenz bestimmt dabei den Einfluss des Einzelnen auf den Entscheid. In China zählen oft noch das Senioritätsprinzip und das Ansehen in der Gruppe. Aufgrund der hohen Hierarchiegläubigkeit versuchen die Mitarbeitenden oftmals herauszufinden, was der Vorgesetzte für eine Meinung hat, und reden ihm dann nach dem Mund. In der jüngeren Generation beginnt sich dies zu ändern, was im Interesse der Entscheidqualität gefördert werden sollte. Die Mitarbeitenden müssen spüren, dass ihre Meinung gefragt ist und sie sich keinem Risiko von Gesichtsverlust aussetzen, wenn sie Vorschläge bringen.
Entscheid fällen: In der hierarchiegläubigen Erwartung der Chinesen muss das, was sich durchsetzt, immer vom Vorgesetzten stammen. Entscheide wie im Westen über Abstimmungen herbeizuführen, ist in China nicht möglich, da die unterlegene Hälfte der Gruppe einen Gesichtsverlust erleben würde. Eine allzu umfangreiche Einbindung der Untergebenen ins Entscheidverfahren wird als Schwäche des Vorgesetzten gedeutet. Entscheide müssen grundsätzlich nicht vom Vorgesetzten erläutert werden, da sie weniger als im Westen von den Mitarbeitenden hinterfragt werden. Ein chinesischer Mittelsmann, dem der Vorgesetzte vertraut, kann bei der Überzeugung von skeptischen Mitarbeitenden helfen.
Entscheid umsetzen: Es empfiehlt sich, klare Vorgaben hinsichtlich des Ziels und der Rahmenbedingungen zu machen und sicherzustellen, dass diese von den Auftragnehmern verstanden wurden. Insbesondere die zeitlichen Beschränkungen gilt es klar herauszustreichen, da Chinesen zum Teil eine Nachlässigkeit hinsichtlich Deadlines zeigen. Je nach Ausbildungsstand der Mitarbeitenden empfiehlt es sich, das Vorgehen in kleine aufeinander folgende Arbeitsschritte zu unterteilen. Dadurch wird ein «Verzetteln» der Mitarbeitenden verhindert, die die entsprechende Ausbildung für eine selbständige Priorisierung der Aufgaben nicht besitzen. Eine zu enge Auftragsvergabe kann aber dazu führen, dass die Mitarbeitenden übervorsichtig und ängstlich werden. Wünschenswert wäre es daher, chinesische Mitarbeitende gezielt in einer westlichen Nachfragekultur zu schulen, was aber viel Zeit in Anspruch nehmen dürfte.
Umsetzung kontrollieren: Direkte Kontrolle ist möglich, in dem man den Untergebenen bittet, die bereits erhaltenen Resultate aufzuzeigen. Hier ist aber zu beachten, dass der chinesische Fortschritt mit demjenigen, welche ein westlicher Mitarbeiter in derselben Zeit erreicht hätte, nur bedingt zu vergleichen ist. Chinesen benötigen eine längere Zeit am Anfang des Auftrags, da sie mehr absprechen und Beziehungen aufbauen, sind aber im Allgemeinen zum Schluss schneller, da bereits Konflikte vorgelöst wurden und die Beziehungen zur schnelleren Realisierung beitragen. Kritik an den Resultaten darf auf jeden Fall nur indirekt angebracht werden, da sonst ein Gesichtsverlust droht.
Konfliktmanagement: Im Westen ist die Lösung eines Konflikts häufig mit ein- oder beidseitigem Schuldeingeständnis verbunden. Dies widerspricht jedoch allen chinesischen Grundsätzen. Eine genauere Untersuchung von Konflikten stört nach chinesischer Ansicht die Harmonie zusätzlich, da der Konflikt nur noch grösser wird. Chinesen werden deshalb versuchen, den Konflikt möglichst zu ignorieren. Sich entschuldigen ist in der chinesischen Kultur nicht üblich. Vielmehr sollte nach einer gemeinsam akzeptierten Lösung des Konflikts in Form von konkreten Handlungen gesucht werden.
Entwicklung der Gruppe: Hohes Konfliktpotenzial besitzt die Beförderung von Mitarbeitenden (vgl. Motivierung). Wird nur ein Mitarbeitender befördert, kann dies eine Beleidigung für die anderen Mitarbeitenden der Gruppe sein. Deshalb sollten den anderen Mitarbeitenden gleichzeitig kleinere Beförderungen angeboten werden. Die westlichen Arbeitsmethoden, welche betriebswirtschaftlich unumgänglich sind, werden den Chinesen idealerweise im Sinne einer Verbesserung für sie selbst nähergebracht. Dabei muss vermieden werden, die westlichen Methoden als das einzig Wahre darzustellen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Chinesen dem Vorgesetzten die Berücksichtigung der zentralen Elemente ihrer Kultur mit einem ausserordentlichen Einsatz und hoher Loyalität danken.
Literaturhinweise:
- Joachim Hentze u.a., Personalführungslehre – Grundlagen, Funktionen und Modelle der Führung, 4. Aufl. 2005
- Rolf Wunderer, Führung und Zusammenarbeit – Eine unternehmerische Führungslehre, 6. Aufl. 2006
- Robert R. Blake u. Anne A. McCanse, Das GRID-Führungsmodell, 1992