
HR Today: Herr Henzler, Sie zitieren in Ihrem Buch Aristoteles als Beispiel dafür, dass Generationenkonflikte schon immer existiert haben. Haben wir es heute mit einem echten Bruch zu tun – oder wiederholt sich hier nur die Geschichte?
Herbert Henzler: Wir haben es heute mit einem echten Bruch zwischen den Generationen zu tun. Vergleichbar mit dem beginnenden Industriezeitalter verändert die technologische Revolution seit dem Internet die Geschichte. Die Generation Z und Alpha sind besser ausgebildet als die vorherigen Generationen – allein in Deutschland machen heute rund 50 Prozent das Abitur. Vor 20 Jahren waren es 8 Prozent. Heute studieren etwa 3 Millionen und die Jungen können in der ganzen industrialisierten Welt arbeiten.
Sie zeigen, wie aus dem Paradigma «Ihr sollt es mal besser haben» ein leeres Versprechen wurde – das gleichzeitig immer schon mehr «frommer Wunsch» als Realität war. Trotzdem: Was macht der Bruch eines solchen Versprechens, einer solchen ideologischen Enttäuschung mit dem Verhältnis zwischen den Generationen?
Das eherne Narrativ, dass es allen Kindern besser gehen sollte – insbesondere seit der Kriegsgeneration – gilt immer weniger. Die Entwicklung der Kohorten diffundiert heute bereits. Schon während der Kitazeit, wo Eltern den Kids regelmässig vorlesen, entwickeln sich diese Kinder besser, Regelschulen gibt es immer weniger, man kann auf 30 verschiedenen Wegen noch zur Hochschule kommen und so weiter. Und die NGOs bestehen zum Grossteil aus jungen Leuten.
Sie betonen, dieser Paradigmenwechsel solle nicht zu Resignation führen, sondern aufrütteln. Was folgt aus dieser Diagnose? Wie soll sie aufrütteln? Und: Wie ankämpfen gegen die Resignation?
Über viele Bereiche der Gesellschaft gilt so etwas wie Moore's Law, sprich die Verdopplung der Speicherfähigkeit alle 18 bis 24 Monate. Das heisst, Wissen, und damit einher auch die Kompetenz, exponiert. Die Sequenzierung einer DNA kostet heute pro Fall eine halbe Million Euro – und in zehn Jahren noch etwa 10 000 Euro. Es gibt einfach keinen Raum für Resignation – denn viele Entwicklungen verlaufen gleichzeitig.
«Die Erwartungen junger Menschen kann man strukturell nicht erfüllen.»
– Herbert Henzler
Viele Unternehmen sind mit den Erwartungen junger Menschen überfordert – sei es bezüglich Work-Life-Balance, Diversität, Arbeitsbedingungen oder Sinnstiftung. Was läuft da strukturell falsch?
Die Erwartungen junger Menschen kann man strukturell nicht erfüllen. Sie suchen statt der üblichen Wege neue Pfade. Bei den Wirtschaftsabsolventen gingen 30 Prozent zum Staat, 30 Prozent in etablierte Unternehmen und 40 Prozent arbeiteten in freien Berufen. Heute gehen viel mehr Junge ins Finanzwesen, sprich Private Equity und Venture Capital oder greifen auf Start-up-Fonds zu. Viele suchen das frühe Geld anstatt der Maloche in Hierarchien.
Sie plädieren für eine Abkehr vom «Befehl-und-Gehorsam-Management« und für mehr Teilhabe und den Abbau von Hierarchien – soll sich die Arbeitswelt also Richtung demokratischer Strukturen bewegen?
Die Arbeitswelt sollte sich eindeutig in Richtung flexiblere Strukturen bewegen: «Command and control» kommt vom Militär und ist heute immer weniger tauglich. Heute sollte beim Projektmanagement wo immer möglich der Einsatz von «Spinnern», das heisst «Geeks», möglich gemacht werden.
Sie sprechen von Defiziten in der Führungsetage. Wie muss sich das Führungsverständnis verändern, damit junge Generationen Führung nicht nur akzeptieren – sondern auch zu aktiver Teilhabe bereit sind?
Wir brauchen bessere «Leaders». Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble sprach von der Wichtigkeit der Lokomotive für die Gesellschaft. Aber wenn etwa ein Viertel der abhängig Beschäftigten ihre Führungspersönlichkeiten nicht schätzen, funktioniert das nicht. Man sollte die «Leaders» darum früh entwickeln und Verantwortung übernehmen lassen.
«Command and control» kommt vom Militär und ist heute immer weniger tauglich.»
– Herbert Henzler
Die von Ihnen skizzierte «Neuerfindung der Arbeitswelt» klingt nach Aufbruch: Selbstverantwortung, KI, Abbau von Hierarchien, mehr Flexibilität. Doch reproduzieren viele dieser Modelle nicht genau jene neoliberalen Logiken, die schon bei Millennials zu Überforderung führten – und die heute, in verschärfter ökonomischer Lage, vor allem für Gen Z zu einer noch stärkeren Belastung werden?
Die stärkere Belastung für Gen Z muss nicht unbedingt die Folge sein, nämlich dann, wenn man KI versteht und entsprechend nutzt und dann, wenn es weniger Hierarchien und häufigere Wechsel gibt. Wir bewegen uns in eine «as well as» culture statt einer «entweder/oder»-Kultur.
Sie selbst haben sich klassisch hochgearbeitet: vom Lehrling bis an die Spitze von McKinsey. Das ist heute schwieriger geworden. Wie blicken Sie auf eine Generation, die sich öfter neu orientiert und eher nach Sinn als nach Status fragt?
Ich blicke voll Zuversicht auf eine Generation, die sich öfter neu orientiert. Es gibt in allen Bereichen so viele neue Erkenntnisse, die man leicht erlernen kann, weshalb es heutzutage normal ist, dass die Sinnsuche ein ständiger Begleiter im Leben vieler Menschen ist. Problematisch hierbei ist aber, dass die moralischen Instanzen, zum Beispiel die Kirche, immer weniger wirken. Oft nehmen sich politische Parteien diese Rolle, so wie es die Grünen in Deutschland früher gemacht haben.
Was ist das eine, was Unternehmen jetzt tun sollten, um den Generationenwechsel als Chance zu begreifen – nicht als Problem?
Führung tut not – und das sollten Unternehmen sehr viel ernster nehmen. Mit Teams, die intergenerationell besetzt sind. Mit früher Verantwortung, mit sichtbaren Rollen. wie es der Begründer der modernen deutschen Betriebswirtschaftslehre, Erich Gutenberg, genannt hat, muss gelebt werden.