Andreas Thédy
Vor einigen Jahren trat ich in einem Grosskonzern eine Stelle an und war sehr zufrieden, dass ich meine vertraglichen Konditionen gut und clever verhandelt hatte. Mein Arbeitsplatz teilte ich mit einer Kollegin, die ich bereits aus früherer Zusammenarbeit gut kannte. Über die Monate hinweg entwickelte sich zwischen uns ein angenehmes und vertrautes Arbeitsverhältnis, das es uns ermöglichte, persönliche Gedanken und Ansichten auszutauschen. Eines Tages war die gegenseitige Lohntransparenz ein Thema und wir stellten fest, dass es Unterschiede gab. Ich hatte offensichtlich mein «Package» sehr gut verhandelt. Dieser Umstand trübte unsere weitere Zusammenarbeit und ich spürte, dass meine geschätzte Arbeitskollegin mit dieser neuen und diskreten Information Mühe hatte umzugehen. Wir waren organisatorisch auf derselben Hierarchiestufe, aber die Aufgaben, die Verantwortungen sowie der berufliche Hintergrund waren unterschiedlich. Oftmals fehlt in solchen Situationen eine differenzierte Sichtweise. Aufgrund dieser Erfahrung rate ich von einer Lohntransparenz ab.
In zahlreichen Betrieben sind die HR-Abteilungen bestrebt, die Salärstrukturen nachvollziehbar und aufgrund von messbaren Kriterien fair und ausgewogen zu gestalten. Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen ergeben eine Funktion und diese wird einem Salärband zugeordnet. So weit, so gut. Wie sieht es aber aus, wenn der Kandidat im Interview ist und es um die vertraglichen Konditionen geht? Dann spielen trotz anwendbarem Salärband Angebot und Nachfrage eine grosse Rolle. Dies wiederum führt unausweichlich zu Salärunterschieden. Soll dieser Umstand im Unternehmen nun wirklich transparent gemacht werden? Aus meiner Sicht lautet die Antwort: nein. Die Lohntransparenz schränkt die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit bei der Personalauswahl ein. Nebst messbaren Grössen wie Schulabschluss, Aus- und Weiterbildung, Fachkompetenz oder Alter spielen bei der Lohnfestlegung Faktoren wie Lebenserfahrung, Leistungsausweis und Sozialkompetenz eine Rolle.
Als Coach und Karriereberater erlebe ich immer wieder, wie stark sich Fach- und Führungskräfte über ihre finanzielle Kompensation definieren. Bestimmt ein wichtiger Aspekt, der aber auch oft zu Konflikten und Unzufriedenheit führt. Neben der monetären Vergütung gibt es zahlreiche Lohnbestandteile, die zu einer attraktiven Vergütung führen. Bewerbern empfehle ich, fixe Salärvorstellungen im Rekrutierungsprozess nicht allzu früh zu kommunizieren. Eine einmal genannte Zahl setzt sich im Kopf fest und ist schwer zu revidieren. Dies kann sich auf die weiteren Salärverhandlungen ungünstig auswirken. Die vereinbarte Lohnsumme ist Bestandteil des Arbeitsvertrags. Damit soll aus meiner Sicht aber auch Schluss sein mit der Lohntransparenz im Unternehmen.