HR Today Nr. 12/2017: Debatte

Gehälter offen legen – ja oder nein?

Wäre die Lohnhöhe an den Unternehmenserfolg gekoppelt und transparent, würden Beschäftigte zu «Unternehmern im Unternehmen», so die Überzeugung von Lohnspezialist Gebhard Borck. Organisationsberater Andreas Thédy hält Lohntransparenz hingegen nicht für sinnvoll, weil sie zu Unzufriedenheit führe.

Gebhard Borck

Teilen Sie den Eindruck, dass viele Ihrer Mitarbeiter häufiger Dienst nach Vorschrift schieben, als ihre ganze Klugheit fürs Unternehmen in die Waagschale zu werfen? Das ist ein Neben-effekt mangelnder Information, um über wirtschaftliche Zusammenhänge sinnhaft zu entscheiden. Viele meiner Kunden kennen ihre Erlössituation sehr gut. Stolz zeigen sie mir die Aufgliederung der gestellten Rechnungen nach Kundengruppen, Produkten, Auftragsarten, Vertriebsmitarbeiter oder Regionen. Frage ich etwas genauer nach der Aufwandsseite, sinkt die Stimmung.

Nennen Sie mich konservativ, doch ich halte Deckungsbeiträge für grundlegende Informationen. In unserer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt gewinnt die schnelle dezentral und dennoch klug getroffene Entscheidung an Bedeutung. Doch derartige Entscheidungen von Mitarbeitern zu verlangen, fällt vor allem dort schwer, wo geheime Gehälter einen erheblichen Teil der Aufwände ausmachen. Die schlichte Offenlegung erzeugt zumindest kurzfristig sehr viel Unruhe.

Bei den einschlägig bekannten Firmenbeispielen kehrte jedoch bald wieder Ruhe ein, bei den unbekannten Fällen führte es im schlimmsten Fall zum Aus der Firma.

Was also ist zu tun? Vor der Lohntransparenz muss Klarheit über die unterschiedlichen Leistungs- und Wertbeiträge des Menschen herrschen. Generieren Sie mit Ihrer Belegschaft zuerst einen Überblick darüber, wer was hineingibt. So entsteht automatisch auch ein Bild, wer wie viel verdient. Die Auseinandersetzung über den eigenen Beitrag rechtfertigt den nötigen Aufwand. Selten werden Sie eine aufschlussreichere Kommunikation in Ihrer Firma erleben.

Ökonomisch klug handelt, wer die Geldverteilung dynamisiert und mit dem kommerziellen Markterfolg koppelt. So schlagen Sie mehrere Fliegen mit einer Klappe: Das Unternehmen gibt nur noch so viel Geld für Gehälter aus, wie es auch einnimmt. Diskutieren Sie über sinnvolle Leistungs- und Wertbeiträge, statt über Einkommen zu streiten. Mitarbeiter entwickeln sich durch die direkte Kopplung des eigenen Einkommens an den Markterfolg automatisch zu «Unternehmern im Unternehmen». Versteht Ihre Belegschaft erst einmal die Einkommensverteilung, interessiert sie sich kurz darauf auch für den Rest der Aufwände. Daran schliesst sich der Wunsch an, die Geschicke der Firma ganz grundlegend mitzugestalten. Menschen sind fähig, schnell mündig sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Auch jenseits des eigenen Nutzens. Ob wir es können, hängt auch von der Güte der zur Verfügung stehenden Informationen ab. Solange wir den Einnahmen keine umfänglichen Ausgaben gegenüberstellen, ist wirtschaftlich kluges Handeln auf die beschränkt, die zumindest einen groben Überblick darüber haben. Wer mündige Personen gängeln will, verschliesst sich den Zugang zur Produktivität, die in ihrer Intelligenz schlummert.

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Andreas Thédy

Vor einigen Jahren trat ich in einem Grosskonzern eine Stelle an und war sehr zufrieden, dass ich meine vertraglichen Konditionen gut und clever verhandelt hatte. Mein Arbeitsplatz teilte ich mit einer Kollegin, die ich bereits aus früherer Zusammenarbeit gut kannte. Über die Monate hinweg entwickelte sich zwischen uns ein angenehmes und vertrautes Arbeitsverhältnis, das es uns ermöglichte, persönliche Gedanken und Ansichten auszutauschen. Eines Tages war die gegenseitige Lohntransparenz ein Thema und wir stellten fest, dass es Unterschiede gab. Ich hatte offensichtlich mein «Package» sehr gut verhandelt. Dieser Umstand trübte unsere weitere Zusammenarbeit und ich spürte, dass meine geschätzte Arbeitskollegin mit dieser neuen und diskreten Information Mühe hatte umzugehen. Wir waren organisatorisch auf derselben Hierarchiestufe, aber die Aufgaben, die Verantwortungen sowie der berufliche Hintergrund waren unterschiedlich. Oftmals fehlt in solchen Situationen eine differenzierte Sichtweise. Aufgrund dieser Erfahrung rate ich von einer Lohntransparenz ab.

In zahlreichen Betrieben sind die HR-Abteilungen bestrebt, die Salärstrukturen nachvollziehbar und aufgrund von messbaren Kriterien fair und ausgewogen zu gestalten. Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen ergeben eine Funktion und diese wird einem Salärband zugeordnet. So weit, so gut. Wie sieht es aber aus, wenn der Kandidat im Interview ist und es um die vertraglichen Konditionen geht? Dann spielen trotz anwendbarem Salärband Angebot und Nachfrage eine grosse Rolle. Dies wiederum führt unausweichlich zu Salärunterschieden. Soll dieser Umstand im Unternehmen nun wirklich transparent gemacht werden? Aus meiner Sicht lautet die Antwort: nein. Die Lohntransparenz schränkt die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit bei der Personalauswahl ein. Nebst messbaren Grössen wie Schulabschluss, Aus- und Weiterbildung, Fachkompetenz oder Alter spielen bei der Lohnfestlegung Faktoren wie Lebenserfahrung, Leistungsausweis und Sozialkompetenz eine Rolle.

Als Coach und Karriereberater erlebe ich immer wieder, wie stark sich Fach- und Führungskräfte über ihre finanzielle Kompensation definieren. Bestimmt ein wichtiger Aspekt, der aber auch oft zu Konflikten und Unzufriedenheit führt. Neben der monetären Vergütung gibt es zahlreiche Lohnbestandteile, die zu einer attraktiven Vergütung führen. Bewerbern empfehle ich, fixe Salärvorstellungen im Rekrutierungsprozess nicht allzu früh zu kommunizieren. Eine einmal genannte Zahl setzt sich im Kopf fest und ist schwer zu revidieren. Dies kann sich auf die weiteren Salärverhandlungen ungünstig auswirken. Die vereinbarte Lohnsumme ist Bestandteil des Arbeitsvertrags. Damit soll aus meiner Sicht aber auch Schluss sein mit der Lohntransparenz im Unternehmen.

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Gebhard Borck ist Berater und versteht sich als «Transformationskatalysator für eine Betriebswirtschaft mit Menschen». Aktuell entwickelt er ein System zur marktgerechten Verteilung von Gehältern.

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Andreas Thédy ist Coach und Organisationsberater BSO. Seine Firma «Coaching & Möglichkeiten» ist spezialisiert auf Executive Coaching, Führungskräfte- und Teamentwicklung sowie berufliche Neuorientierung.

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