HR Today Nr. 5/2019: Debatte

Genderneutrale Stellenausschreibung

Kürzlich verbot Swiss Re Worte wie «Heirat», «Mann» und «Frau». In Deutschland – und immer häufiger auch in der Schweiz – schreiben die Unternehmen bei einer Stellenausschreibung neu nicht nur «m/w» für Mann oder Frau, sondern auch noch «d» für divers. Richtig so oder schlicht zu viel des Guten?

René Kaufmann: «Wer schreibt, sollte Frauen mitdenken, nicht nur mitmeinen.»

Besorgte Männer und Frauen rufen auf zum Widerstand gegen die gendergerechte Sprache: «Schluss mit dem Gender-Unfug» heisst die kürzlich veröffentlichte Unterschriftenaktion beim Verein Deutsche Sprache. Unfug? Laut Duden: «ungehöriges, andere belästigendes, störendes Benehmen, Treiben, durch das oft auch ein Schaden entsteht». Welcher Schaden entsteht denn, wenn wir versuchen, Frauen und Männer sprachlich gleichermassen sichtbar zu machen? Allein die Höflichkeit gebietet es, mit und über Menschen öffentlich so zu kommunizieren, dass Männer und Frauen angesprochen sind, und es gibt die demokratische Pflicht zur Gleichstellung.

Natürlich führt die gendergerechte Sprache allein noch nicht dazu, dass Frauen bessergestellt sind. Doch geeignete sprachliche Mittel kategorisch abzulehnen, behindert aktiv die Entwicklung von Gleichberechtigung. Früher waren mit Arzt, Professor, Bürger tatsächlich nur Männer gemeint, weil Frauen nie in einer solchen Stellung waren. Erst seit sich Frauen ihre Rechte erkämpft haben, gibt es das «generische Maskulinum», in dem Schreibende die Frauen mitmeinen. Doch in der Kommunikation gibt es immer Sendende und Empfangende. Was, wenn sich Letztere nicht mitgemeint fühlen? Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass geschlechtergerechte Formulierungen Frauen stärker ins Bewusstsein rücken als das generische Maskulinum. Wenn weibliche Personenbezeichnungen in traditionellen Männerdomänen häufiger erscheinen, wird die weibliche Präsenz in diesen Bereichen für immer mehr Frauen und Männer vorstellbar und mit der Zeit auch selbstverständlich. «Gendern» kann etwas ändern.

Wer schreibt, sollte Frauen mitdenken, nicht nur mitmeinen. Klar ist nicht jede gendergerechte Formulierung grammatikalisch der Weisheit letzter Schluss. Doch ich finde, Demokratie und Gleichberechtigung sollten höher gewertet werden als Grammatik. Denn: Sprache lebt und entwickelt sich ohnehin. Wir haben ja die Möglichkeit vom Binnen-I, dem Gender*-Stern oder wir nennen einfach beide Formen, also: Wählerinnen und Wähler. Das Portal «Geschickt gendern» oder der «Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren» des Bundes bieten viele brauchbare Ideen. Übrigens: Ich hätte auch schreiben können: «Jeder, der schreibt, sollte Frauen mitdenken…» – manchmal ist gendergerechte Sprache einfach.

Besorgte Sprachhüter*innen behaupten, Gender-Sprache sei schwer lesbar und störe den Lesefluss. Doch Studien zeigen: Geschlechtergerechte Texte sind weder umständlicher zu lesen, noch schwerer zu verstehen. Die Abwehrhaltung habe ausschliesslich mit Gewohnheit zu tun, sagt Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. Ich würde sogar behaupten: Es ist vor allem die Gewohnheit (und Bequemlichkeit) der Schreibenden. Denn zielpersonengerechtes, gedankenvolles und korrektes Schreiben ist aufwendig und schwierig. Kreative Lösungen zu finden für eine Sprache, die lebt und niemanden ausgrenzt, ist doch eine wunderbare Sache. Und sicher kein Unfug.

Jelena Martinelli: «Das stereotypische Bild im Kopf muss sich ändern, nicht die Sprache.»

Vor ein paar Jahren bewarb ich mich auf eine Führungsposition: «Teamleiter/in gesucht», las ich in der Anzeige. Die Firma setzte sich für Inklusion und Diversität ein und formulierte Stellenanzeigen so, dass sich auch Frauen angesprochen fühlten. Nachdem ich meinen Job angetreten hatte, fragten mich diverse Kollegen, ob ich die neue Sekretärin sei.

Kürzlich haben deutsche Intellektuelle dazu aufgerufen, den «Unfug» mit der «Gendersprache» sein zu lassen (zu lesen auf der Webseite des Vereins Deutsche Sprache). Spontan stimmte ich zu und fragte mich gleichzeitig warum. Müsste ich mir nicht mehr Gendersprache wünschen? Denn vielleicht hatten die Kollegen das Wort «Teamleiterin» nicht oft genug gelesen und wussten deshalb nicht, dass es Frauen in der Führung gab. Wahrscheinlicher ist aber, dass dieses «Missverständnis» nichts mit der Sprache zu tun hatte und «mehr Gender» nicht helfen würde.

Natürlich plädiere ich hier nicht dafür, dass man Frauen unter einem Begriff wie beispielsweise «Bürger» einfach wieder subsumiert. Ich weiss um die Macht der Sprache, und dass «Bürgerin» ein Ausdruck davon ist, was Frauen sich mühsam erkämpft haben. Ich finde aber nicht, dass Sprache die Speerspitze im Kampf um die Gleichstellung von Mann und Frau sein sollte.

Derart missverstanden, kann sich Sprache sogar gegen einen wenden. Oder was würden Sie davon halten, wenn wir plötzlich von Bürger- und Bürgerinnenmeister*innen oder Menschinnen und Menschen sprechen müssten? Nur dann wäre es gendersprachlich wirklich konsequent. Lächerlich, oder? Und dieses Lächerliche würde auf uns Frauen und unsere berechtigten Anliegen projiziert.

Unser Wunsch, auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden und den gleichen Anteil an gesellschaftlicher Teilhabe, Einfluss und Geld zu bekommen, würde belächelt – wie die Sprache, mit der wir danach verlangen. Deshalb ist es die falsche Strategie, es mit der Gendersprache auf die Spitze zu treiben.

Dass meine neuen Kollegen mich für die Sekretärin hielten, war kein sprachliches Problem. Dafür verantwortlich waren in den Köpfen zementierte Rollenstereotypen. Es ist also das Bild im Kopf, das sich ändern muss, und das erreichen wir nicht, indem wir Sternchen und Striche streuen oder genderneutral formulieren. Oder an wen denken Sie bei «Police Officer» und «Flight Attendant»? Keiner der Begriffe hat ein Geschlecht. Googeln Sie mal und schauen Sie, welche Bilder Ihnen präsentiert werden.

Um die Bilder in den Köpfen zu verändern, müssen wir Sprache dazu nutzen, inspirierende Geschichten zu erzählen: Geschichten über Frauen in der Politik, in der Wissenschaft, im Business oder auch im Sport. Aber auch Geschichten über Männer: wie sie beispielsweise Kinder betreuen und alte Menschen pflegen. Oder wie Männer ihrer Chefin den Kaffee ins Büro bringen.

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René Kaufmann ist Texter/Konzepter, bietet Schreibworkshops für Unternehmen und persönliche Schreibcoachings. Seit 2014 unterrichtet er bei der Schreibszene Schweiz «Texten fürs Internet» und ist Dozent im Vorbereitungskurs für die eidg. Prüfung Texterin/Texter.

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Jelena Martinelli ist freiberufliche Texterin im Bereich Online-Marketing. Davor hat sie lange als Team- und Abteilungsleiterin für Swiss Re und Swisscom gearbeitet sowie als Kommunikationsberaterin.

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