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Gesucht: 85 Millionen Personen

Der globale Fachkräftemangel wird sich laut dem 
McKinsey Global Institute im Jahr 2030 auf 85 Millionen 
gesuchte Arbeitskräfte verschärfen. Lösungsansätze 
sind gefragt. Eine Schlüsselrolle kommt den (noch) 
schwach Qualifizierten zu.

Hierzulande ist es schon fast ein Gemeinplatz, dass viele Unternehmen Mühe bekunden, das gewünschte Personal zu finden. Je nach Konjunktur ist der Fachkräfte-mangel akuter oder etwas abgeschwächt. Er ist ein wichtiger Treiber der regen Erwerbseinwanderung in die Schweiz. Dank dem hohen Lohnniveau, relativ moderaten Steuern und einer erstklassigen Infrastruktur zieht es viele Qualifizierte in die Schweiz, die auch andernorts in Europa Arbeit fänden. Sie entscheiden sich wegen des attraktiven Standorts für die Schweiz. Soweit haben wir Glück. Doch wussten Sie, dass der Fachkräftemangel nicht nur ein europäisches Phänomen ist, sondern sich bereits auch im entfernten Asien bemerkbar macht? Das zeigt eine neue Studie des McKinsey Global Institute1. Ihr zufolge fehlen bis im Jahr 2030 weltweit 85 Millionen Fachkräfte.

Mangel und Überschuss zugleich

Die Schweiz profitiert also von der Zuwanderung. Zugleich ist diese aber etlichen Menschen in der Schweiz – vor allem in grenznahen Orten – auch ein Dorn im Auge. Sie befürchten, dass ausländische Arbeitnehmende Inländer von ihren Jobs verdrängen. Die Arbeitslosigkeit ist zwar schweizweit gering. Sie betrug im November 2012 3,1 Prozent. In einzelnen Regionen oder Bevölkerungsgruppen ist sie aber deutlich höher. Es gibt also ein Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt, indem gut Qualifizierte fehlen und schwach Qualifizierte nicht immer einen Job finden. Auch dieses Problem kennt man im fernen Asien. Wie kam es zu dieser Diskrepanz?

Auslöser ist der Trieb der Gesellschaft, wirtschaftlich zu wachsen. So schufen kluge Köpfe im letzten Jahrhundert technologische Innovationen, die die Globalisierung der Produktion ermöglichten. Einfache Jobs wurden aus den In-
dustrienationen ausgelagert, um Kosten zu sparen. Gleichzeitig wurden neue Jobs für Hochqualifizierte geschaffen, die weitere Innovationen und damit Produktivitätssteigerungen ermöglichen sollten. Auch die Entwicklungsländer profitierten davon: Es entstanden 900 Millionen neue Jobs ausserhalb der Landwirtschaft. Hunderten Millionen Menschen gelang so der Ausstieg aus der Armut.

Soweit der erfreuliche Teil der Geschichte. Doch entstehen hüben wie drüben aus der Globalisierung auch Probleme. Nicht alle schaffen es, mit dem Strukturwandel mitzuhalten. In den Industrieländern vollzieht sich ein Wandel von der Dienstleistungs- zur Wissens- und Kreativgesellschaft; in den Entwicklungsländern findet der Übergang von der Primär- zur Industriegesellschaft statt. Der Anteil Jobs ausserhalb der Landwirtschaft ist weltweit von 54 Prozent im Jahr 1980 auf 70 Prozent im Jahr 2010 gestiegen. Es bringen aber nicht alle, die arbeiten wollen, das Rüstzeug mit, um den neuen Anforderungen gewachsen zu sein. McKinsey schätzt in seiner Studie die Zahl der weltweit im Jahr 2030 aufgrund ungenügender Qualifikation Arbeitslosen auf 90 bis 95 Millionen!

Ein Wachstums-, sprich Wohlstandsproblem

Das ist aus zwei Gründen nicht gut. Erstens geht die Einkommensschere auf. Nach Hochqualifizierten wird gesucht. Das heisst, dass deren Löhne steigen. Geringqualifizierte gibt es mehr als Jobs für sie. Das heisst, dass deren Löhne sinken oder zumindest stagnieren. Diese Diskrepanz belastet die Politik. Jugendarbeitslosigkeit, Einkommensunterschiede und soziale Spannungen sind schwierig zu managen.

Zweitens bremst das Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt das Wachstum. Um zu wachsen, braucht es nämlich entweder mehr Humankapital oder neue Innovationen. Ersteres ist grundsätzlich nicht grenzenlos vorhanden. Zudem stehen die Zeichen allgemein auf einer deutlich schwächeren Zunahme der globalen (Erwerbs-)Bevölkerung. 1980 arbeiteten auf der ganzen Welt 1,7 Milliarden Personen. Im Jahr 2010 waren es 2,9 Milliarden Menschen. Der Grossteil dieses Wachstums fand in den Entwicklungsländern statt. Doch in Zukunft wird es mit der Wachstumskurve nicht mehr so weitergehen. Die Modernisierung in den Entwicklungsländern – und nicht zuletzt auch die Ein-Kind-Politik Chinas – reduziert das Arbeitskräftewachstum auch in diesen Ländern markant. Global gesehen wird sich das Arbeitskräftewachstum von heute 1,4 Prozent pro Jahr bis 2030 auf 
1 Prozent verringern. In China sinkt das Wachstum in dieser Zeitspanne von 1 Prozent auf 0,5 Prozent. In Südeuropa wird die Erwerbsbevölkerung stagnieren. In Nordeuropa wird sie gar schrumpfen. Für zweiteres – wachstumsgenerierende  Innovationen – braucht es gut gebildete Köpfe. Und daran mangelt es bekanntlich.

Uns Weltenbürgern fehlen also mittelfristig die Zutaten für kontinuierliches Wachstum. Und Wachstum wäre wichtig, um ein weiteres Auseinanderklaffen der Einkommensschere zu verhindern. Diese Schere existiert auch in der Schweiz. Betrachtet man die Erwerbslosigkeit nach Ausbildungsstand über die letzten sechzehn Jahre (vgl. Grafik Seite 30), sticht einerseits der grosse Unterschied zwischen auf Tertiärstufe Gebildeten und Absolventen der obligatorischen Schule ins Auge. Letztere haben eine zweieinhalb Mal so hohe Erwerbslosenquote (6,3 Prozent versus 2,5 Prozent). Andererseits ist die Scherenbewegung klar ersichtlich. Die Erwerbslosenquote der Inhaber eines universitären oder eidgenössischen Diploms ist in den letzten sechzehn Jahren um einen halben Prozentpunkt gesunken. Die Quote der Erwerbslosen ohne nachobligatorische Berufsausbildung ist um 1,5 Prozentpunkte gestiegen.

Interessanterweise ist auch die Erwerbslosenquote der Inhaber eines Lehrabschlusses oder einer Matur um einen Prozentpunkt gestiegen. Deren durchschnittliche Erwerbslosenquote ist zwar nach wie vor ziemlich niedrig bei 3,4 Prozent. Der Trend ist aber schlecht. Die fachlichen Anforderungen der Arbeitgeber liegen offenbar bei höheren Ausbildungen. Zwar ist das duale Bildungssystem mit der Lehre eine Art Patentrezept – dazu später mehr –, doch scheint der Lehrabschluss allein, ohne Weiterbildung, kein absoluter Garant für Beschäftigung mehr zu sein.

Herkömmliche Lösungen

Wie lösen wir das Problem? Es gibt verschiedene Rezepte, die im Umlauf, aber nur teilweise zielführend sind. Dass die Einwanderung von Hochqualifizierten künftig nicht die Lösung sein kann, dürfte nach obigen Ausführungen klar sein. Hier braucht es ein Umdenken. Denn 
40 Prozent des Beschäftigungswachstums in den Industrienationen wurde in den letzten Jahren durch Immigration erreicht. Das dürfte nicht mehr lange so funktionieren.

Teilzeit- oder nicht arbeitende Frauen vermehrt in den Arbeitsmarkt einzubinden, ist ein weiterer, oft gehörter Vorschlag. Hier scheint auf den ersten Blick tatsächlich ein Potential vorhanden zu sein. In der Schweiz beträgt die Erwerbsquote der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren «nur» 77 Prozent. Fast ein Viertel der Frauen im Erwerbsalter befinden sich also nicht am Arbeitsmarkt. Von den arbeitstätigen arbeitet über die Hälfte (58 Prozent) Teilzeit. Ein Viertel arbeitet gar weniger als 50 Prozent.2 Die grosse Frage ist allerdings, ob beziehungsweise  unter welchen Umständen diese Frauen überhaupt arbeiten möchten und wie gut ihr Ausbildungsprofil demjenigen der Firmennachfrage entspricht. Die Einbindung von Frauen könnte Teil der Lösung sein, müsste aber genauer geprüft werden und ist in der Umsetzung sicher nicht ganz einfach. Man müsste zunächst wissen, mit welchen Mitteln diese Frauen zum (mehr) Arbeiten gewonnen werden können.

Die Erhöhung des Rentenalters gehört als weitere Massnahme in eine ähnliche Kategorie. Auch hier müsste man zunächst prüfen, ob das Qualifikationsprofil der länger zu Beschäftigenden dem der Nachfrage entspricht. Es stellt sich ebenso die Frage, wie diese Personen zum länger Arbeiten motiviert werden können. Eine gesetzliche Erhöhung des Rentenalters dürfte politisch schwierig zu erreichen sein. Auf freiwilliger Basis liesse sich hier eventuell etwas bewirken. Schliesslich kann praktisch jede Firma und jede Arbeitskraft selber bestimmen, bis zu welchem Alter sie arbeiten (lassen) möchte. Nachteilige Anreize in den Sozialversicherungen müssten aber behoben werden.

Wahre Ursachenbekämpfung

Eine andere –  an der Ursache ansetzende! – Lösung sind Investitionen in die Kompetenzen. Wenn es gewissen Menschen nicht gelingt, mit dem Strukturwandel Schritt zu halten, müssen sie unterstützt werden. Es braucht mehr Bildungsanstrengungen, die auf die effektiven Bedürfnisse der Arbeitgeber ausgerichtet sind.

Das erfordert Geld. Der Staat allein kann das nicht schultern. Unternehmen und Private müssen mithelfen. Das gibt ihnen aber auch die Möglichkeit, die Bildungsgänge mitzukonzipieren. Systeme wie die duale Berufsbildung sind dafür gute Beispiele. Auch Weiterbildungsfonds in Gesamtarbeitsverträgen sind eine good practice, wie Unternehmen und Private in eine arbeitsmarktnahe Bildung investieren können. Die Schweiz ist diesbezüglich schon ziemlich gut aufgestellt. Vielleicht liegt auch hierin das «Geheimnis» der im internationalen Vergleich sensationell tiefen Arbeitslosenrate. Auch neue Unterrichtsformen könnten einen Beitrag leisten, um dem globalen Fachkräftemangel zu begegnen. Über das Internet und soziale Medien lässt sich das Bildungswesen gewissermassen revolutionieren. Eine übers Web vermittelte Bildung ist kostengünstig, interaktiv und individualisierbar. Und online können viel mehr Schüler erreicht werden. Letztlich – und hierin liegt der Nachteil – wird eine webbasierte Bildung aber in den meisten Fällen «nur» von bereits bildungsaffinen Personen genutzt werden.

Und damit sind wir bei der Frage angelangt, ob es überhaupt gelingen kann, alle für den Arbeitsmarkt zu schwach Qualifizierten mittels Bildung auf das passende Kompetenzniveau zu bringen. Die Antwort lautet vermutlich nein. Deshalb müssen zusätzlich zu allen Bildungsanstrengungen auch Jobs für Geringqualifizierte geschaffen werden. Nur so kann es gelingen, die Arbeitslosigkeit unter den schwach Qualifizierten nachhaltig zu begrenzen.

Hierzu eigenen sich Branchen, die nicht so einfach ausgelagert oder automatisiert werden können – zum Beispiel das Gesundheitswesen, der Detailhandel, die Reinigung oder das Bauwesen.

Eine andere Möglichkeit, um Jobs mit wenigen Bildungsanforderungen zu schaffen, liegt in der Vermarktung von Hausarbeiten wie der Kinderbetreuung oder der Alterspflege. Wenn (hochqualifizierte) Hausfrauen oder -männer diese Aufgaben einer bezahlten (geringer qualifizierten) Arbeitskraft überlassen und stattdessen am Arbeitsmarkt ihr Know-how einbringen, sind gleich zwei Fliegen auf einen Schlag getroffen! Ein dritter Pfad könnte darin bestehen, dass man Technologien künftig nicht mehr benutzt, um Arbeitskräfte, sondern um Kompetenzen zu ersetzen. So könnten auch Geringqualifizierte in einem fachlich schwieriger gewordenen Umfeld weiter bestehen bleiben. Das Navigationsgerät zum Beispiel hat den Taxi-Chauffeur nicht obsolet gemacht, aber dessen Arbeit vereinfacht.

Fazit: Ein wirklich nachhaltiger Umgang mit dem Fachkräftemangel muss auf jeden Fall auch die Auseinandersetzung mit den (noch) zu schwach Qualifizierten beinhalten.

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Myra Fischer Rosinger

Myra Fischer-Rosinger ist Direktorin von swissstaffing, dem Branchenverband der Personaldienstleister. Die Politologin und Volkswirtschaftlerin prägt die Entwicklung von swissstaffing seit 2006. Massgeblich beteiligt war sie an der Einführung des Gesamtarbeitsvertrags Personalverleih, der seit 2012 in Kraft ist. Im Branchenverband swissstaffing sind 300 schweizerische Personaldienstleister organisiert. Der Arbeitgeberverband ist Kompetenz- und Servicezentrum für die Temporärbranche und vertritt die Anliegen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. www.swissstaffing.ch

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