Gesundheitskultur
Ein strategisch verankertes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist der erste Schritt zu einer gesunden Unternehmenskultur. Das genügt jedoch nicht. Der Kulturwandel erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit der gelebten Kultur. Ein Gastbeitrag von Thomas Mattig, Direktor der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz.
Schaut man sich in der Wirtschaftsliteratur um, stösst man auf unterschiedliche Definitionen und Beschreibungen: Da ist von der «Grundgesamtheit gemeinsamer Werte, Normen und Einstellungen» die Rede. Die Unternehmensethnologie sieht die Kultur als ein soziales Phänomen, das «funktional, erlernbar und wandelbar» ist. Die Kultur einer Organisation oder eines Unternehmens wird gar mit der «Persönlichkeit» eines Menschen verglichen.
Klar ist: Kultur wird von Menschen gemacht. Menschen sind komplexe Wesen, und die Komplexität vervielfacht sich, wenn Menschen in einem Unternehmen zusammenarbeiten. Mit dieser Komplexität müssen wir rechnen, wenn wir mit Betrieblichem Gesundheitsmanagement einen Kulturwandel in Gang setzen wollen.
Stressherde entdecken
Der Begriff der Kultur stammt aus dem Ackerbau. Das heisst: Kultur ist etwas Gewachsenes. Hinter jeder Unternehmenskultur steckt eine Geschichte. Die Frage ist: Wie erkennen wir diese Geschichte, wie können wir sie gebührend berücksichtigen?
Seit rund zehn Jahren befasst sich Gesundheitsförderung Schweiz intensiv mit Betrieblichem Gesundheitsmanagement. In dieser Zeit sind die Analyseinstrumente systematisch verfeinert und weiterentwickelt worden. Mit Befragungen können Stressherde entdeckt und systematisch angegangen werden. Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen erkennen die Bedeutung der Gesundheit und führen ein systematisches Gesundheitsmanagement ein.
BGM ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Kulturwandel. Vollzogen ist er damit allerdings noch nicht. Wenn wir Unternehmenskultur als etwas über die Jahre Gewachsenes betrachten, braucht auch der Wandel seine Zeit. Es gibt in einer Unternehmenskultur – nicht anders als bei einer Persönlichkeit – Tiefenstrukturen, die schwer zu erkennen sind. Das Wort «Gesundheitsmanagement» suggeriert, dass Gesundheit in einem Betrieb gemanagt werden kann wie andere Unternehmensziele. Erwartet wird auch, dass die Ergebnisse gemessen und verglichen werden können.
Spürbare Tiefenstruktur
Auch in dieser Hinsicht sind Fortschritte erzielt worden. Die Wirkung von BGM lässt sich nachweisen. Allerdings können diese Zahlen nur bestimmte Aspekte des Kulturwandels abbilden. So lässt sich belegen, dass Krankheitsabsenzen durch ein systematisches BGM zurückgehen. Befragungen zeigen auch, dass die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigt.
Doch all das sind nur Teilaspekte der Unternehmenskultur. Messbar sind Verhaltensweisen, aber nicht die «Werte, Normen und Überzeugungen», die laut Wirtschaftslexikon eine Unternehmenskultur ausmachen. Diese Tiefenstruktur mag nicht messbar sein, spürbar ist sie aber. Sie zeigt sich in der Atmosphäre eines Betriebs, äusserlich sichtbar in der Möblierung, wahrnehmbar in der Art, wie die Menschen in einem Betrieb miteinander umgehen.
Gesundheitskultur ist keine Monokultur
Gesundheitsförderung Schweiz schlägt den Betrieben eine Roadmap vor. Der erste Schritt ist die Analyse des Ist-Zustands. Die weiteren Schritte werden auf die jeweiligen Betriebe angepasst, denn Gesundheitskultur ist keine Monokultur, die über alle Betriebe verhängt werden kann. Das zentrale Element dafür ist die Kommunikation. Und damit ist nicht gemeint, mit wohlformulierten Leitsätzen die Kultur von oben zu steuern. Sondern es bedeutet, gute Rahmenbedingungen für Meinungsaustausch und Auseinandersetzungen zu schaffen.
Gesundheitskultur ist ein Stück weit auch Konfliktkultur, in der Menschen als komplexe Persönlichkeiten wahrgenommen werden und die anerkennt, dass Produktivität aus dem Zusammenspiel von Unterschieden entsteht.