Gewaltfreie Kommunikation: 8 Tipps für den Berufsalltag
Wie bitte? Gewalt? Wir schlagen uns doch nicht! Nein, darum geht es auch nicht bei der Gewaltfreien Kommunikation. Es geht darum, klar und lösungsorientiert zu formulieren und den anderen auf Augenhöhe anzutreffen.
Es geht nicht um körperliche Gewalt, sondern darum, zu verstehen, wie unser Gegenüber funktioniert und was es braucht. (Bild: 123RF)
Die Anruferin war untröstlich. Sie hatte den Termin zum Telefongespräch falsch im Kalender eingetragen und eine Stunde zu spät angerufen. Wortreich bat sie um Verzeihung, nahm die Schuld auf sich. Dazu meint Suna Yamaner, Kommunikationstrainerin und Inhaberin von Metapuls in Tann-Dürnten: «Auch eine Entschuldigung kann schon Gewalt sein, und zwar gegen sich selbst. Man macht sich selbst klein. Dabei würde es schon reichen, einfach sein Bedauern auszudrücken und dann zu versuchen, den Fehler zu korrigieren.»
Suna Yamaner lehrt in Coachings die Gewaltfreie Kommunikation (GFK). Dieses Konzept stammt vom amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg. Entstanden ist es durch seine Arbeit mit Bürgerrechtlern in den USA in den 1960er-Jahren, die sich gegen die Rassentrennung einsetzten. Es basiert auf der Annahme, dass gelungene Kommunikation und friedvolles Zusammenleben auf echtem empathischen Kontakt basieren. «Und die Grundvoraussetzung dafür ist auch ein konstruktiver Umgang mit sich selbst», erklärt Suna Yamaner.
1. Beobachten, nicht interpretieren
Ein zentraler Punkt dabei ist, dass man das, was man beobachtet, unabhängig von der eigenen Interpretation macht. «Wieso stehen die Kollegen dort drüben und reden? Sie reden sicher über mich! Ist da nicht gerade mein Name gefallen? Wusste ich’s doch, dass sie etwas gegen mich haben!» Situationen wie diese hat jeder schon einmal erlebt.
«Wenn ich etwas sehe oder höre, verbinde ich es mit bestimmten Erfahrungen», erklärt GFK-Coach Andy Balmer, Inhaber von Focus Mensch in Strengelbach (AG). «Wenn sich dann bei mir ein negatives Gefühl breitmacht, ist bei mir ein Bedürfnis nicht gedeckt.» Dann sei es hilfreich, zuerst zu überprüfen: «Was habe ich wirklich gesehen?» So kann man sich bewusst machen, was einem fehlt – in dieser Situation etwa Klarheit.
2. Nachfragen ohne Schuldzuweisungen
Der nächste Schritt ist, die Kollegen anzusprechen – und zwar ohne dabei Schuldzuweisungen und Vorannahmen zu formulieren, etwa: «Ich habe gehört, dass ihr mich eben im Gespräch erwähnt habt. Darf ich fragen, um was es ging?» Damit ist auch schon der nächste Schritt ausgeführt: Eine Bitte formulieren – und nicht etwa eine Forderung.
Dieser Punkt ist aber gerade für Vorgesetzte eine ungewöhnliche Vorstellung: Schliesslich «bittet» man Weisungsbefugte doch nicht darum, ihre Arbeit zu erledigen, oder? «Bei Coachings mit dem Management höre ich oft: Meine Mitarbeiter sind zu wenig eigenverantwortlich. Oder: Sie führen meine Anweisungen nicht aus», berichtet Suna Yamaner. Dort setze wiederum die Gewaltfreie Kommunikation an: «Es geht darum, zu verstehen: Wie funktionieren Menschen, was brauchen sie? Wie schaffe ich Verbindlichkeit? Wie gewinne ich sie für ein Projekt?»
3. Partner sein, nicht Untergebener
Man gehe nicht mehr davon aus, dass der Chef oder der Kunde König ist, sondern Partner. «Das Vis-à-vis soll das Gefühl haben, eine kompetente Person vor sich zu haben.» Dies wiederum setze eine Kooperation aus freien Stücken voraus. Mit einem Dienstleistungsberuf sei das durchaus vereinbar: «Man erfüllt gerne die Bedürfnisse anderer Menschen – aber nicht, weil man muss, sondern weil man will, weil man auch etwas davon hat. Etwa sozialen Austausch, der eigene Beitrag wird gesehen, man nimmt Einfluss auf Dinge, die einen betreffen.» Natürlich spiele auch das Geld eine Rolle – denn auch das braucht man, um sich Bedürfnisse zu erfüllen. «Ich sehe es aber eher als Hygienefaktor: Der Lohn muss stimmen, er ist eine Abgeltung von Wert, aber er treibt nicht an.»
4. Echt sein statt nett sein
Gewaltfreie Kommunikation ist nicht zu verwechseln mit mangelnder Durchsetzungsfähigkeit. «Es bedeutet nicht, nett zu sein, sondern echt zu sein», formuliert es Andy Balmer. Also: Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse klar zu benennen und den anderen das ebenfalls tun zu lassen. Auch, wenn man ausdrücken möchte, dass man mit etwas nicht zufrieden ist.
5. Die Wirkung von Sprache kennen
«Man darf die Wirkung von Sprache nicht unterschätzen», sagt Suna Yamaner. «Wie ich etwas anspreche, entscheidet darüber, ob sich der andere öffnet oder verschliesst. In der Art, wie ich formuliere, gestalte ich Realität.»
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6. Bei Ärger zurückziehen
Auch im Geschäft können schon einmal die Emotionen hochkochen, das kennt auch der Andy Balmer. «Wenn man sich ärgert, kann man nicht gewaltfrei sprechen.» Er selbst zeige seinen Ärger in einer solchen Situation in Form von Aussagen wie «Ich ärgere mich, weil mir jetzt … fehlt» und zieht sich möglichst an einen abgetrennten Ort zurück, spricht dort seine negativen Gefühle vor sich selbst aus, führt einen «Ärgertanz» auf – um dann eine Bitte an sich selbst zu stellen. Dann erst geht es wieder ins Gespräch.
7. Als Einzelner viel bewirken
Funktioniert Gewaltfreie Kommunikation auch, wenn sie nur ein Gesprächspartner praktiziert? «Ja», erklärt Andy Balmer. «Ich habe z. B. zuerst als einziger in der Familie damit begonnen, Bedürfnisse zu formulieren. Dann sagten meine Kinder erstmal: Papa, du redest komisch, hör auf damit! Aber wenn einer beginnt, ändert sich das ganze System. Meine Frau und ich kommunizieren nun beide so, und wir kommen natürlich schneller zu einer Lösung, denn man ist schneller bei den Bedürfnissen.»
«Es ist manchmal sogar einfacher, wenn nur einer diese Kommunikationsform kennt», meint Suna Yamaner. «Wenn beide sie kennen und anwenden, entsteht manchmal das Gefühl: Ist es wirklich Empathie oder wird gerade eine Technik angewandt? Wenn jemand gar nicht weiss, was ich mache, fühlt er sich verstanden, öffnet sich ein bisschen und weiss gar nicht, wieso.»
8. Gemeinsame Lösungen finden
Hier kommt dann das empathische Zuhören zum Tragen. «Dabei geht es nicht darum, wer nun recht hat, sondern wie man zu einer gemeinsamen Lösung kommt», betont Suna Yamaner, denn: «Hinter jedem unmöglichsten Verhalten steht ein Mensch, der sich ein Bedürfnis erfüllen will. Dann eine Win-win-Situation herzustellen, gelingt nicht immer. Aber es lohnt sich, an dem Bemühen festzuhalten – denn das ist es, was uns verbindet.»
Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei Miss Moneypenny.