Generationenmix

Gezieltes Rekrutieren von Nachwuchs erfordert passende Rahmenbedingungen

Jedes Jahr sucht Ernst & Young über 250 junge Akademiker als künftige Wirtschaftsprüfer. Thomas Huwyler, als People Partner für strategisches HRM und Rekrutierung zuständig, erläutert im Gespräch mit HR Today, wie das Unternehmen zu diesen Leuten kommt. Und warum es nicht nur schlecht ist, dass ein Teil nach ein paar Jahren die Stelle wieder verlässt.

Das Wachstum bei Ernst & Young liegt bei acht bis zehn Prozent. Was bedeutet das bei einem personalintensiven Dienstleistungsunternehmen für die Rekrutierung?

Thomas Huwyler: Die Rekrutierung ist für uns eine der ganz grossen Herausforderungen. Das zeigen allein schon die Zahlen: Ernst & Young beschäftigt in der Schweiz für derzeit 1800 Vollzeitstellen etwas über 2000 Mitarbeitende. Um neue Stellen zu besetzen und die Abgänge auszugleichen, rekrutieren wir jedes Jahr zwischen 250 und 300 Leute.

Und das sind vorwiegend junge Leute?

Ja, und zwar zum grössten Teil Hochschulabgänger von Universitäten und Fachhochschulen. Die jungen Leute, die in der Regel um die 25 Jahre alt sind, kommen praktisch ohne Berufspraxis zu uns. Das bedeutet, dass wir auch eine Ausbildungsinstitution sind – und uns in unserem Selbstverständnis auch klar so sehen.

Ausbildung von Hochschulabgängern – das tönt eigenartig. Genügt das Studium denn nicht?

Das Studium ist eine Ausgangsqualifikation, auf der sich eine Karriere aufbauen lässt. Meine vielen Kontakte mit Studierenden zeigen, dass das den meisten auch bewusst ist.

Wie sieht dann diese Ausbildung der neu Rekrutierten aus?

Sie hat, wenn wir das für uns repräsentativste Beispiel des Wirtschaftsprüfers nehmen, drei Komponenten:

  • An der Akademie für Wirtschaftsprüfung, die von der schweizerischen Treuhandkammer getragen wird, erfolgt die externe Fachausbildung als Wirtschaftsprüfer. Sie ist modular aufgebaut, erfolgt berufsbegleitend oder teilweise in Blöcken und dauert drei bis vier Jahre. Wer diesen Abschluss macht, verfügt über einen gut gefüllten Rucksack für seine weitere Laufbahn.
  • Das sehr umfangreiche interne Weiterbildungsangebot ergänzt die externe Ausbildung und steht auch den Neuen offen. Hier geht es vielfach um neue Gesetze oder Vorschriften – die Kunden erwarten von uns ja, dass wir hier immer auf dem neuesten Stand sind oder sogar eine Nasenlänge voraus.
  • Als drittes Element kommt schliesslich das «Learning on the job» in den Projektteams hinzu, in denen die jungen Mitarbeitenden von Anfang an mitarbeiten.

Dieses System funktioniert aber nur dann, wenn Sie wirklich jedes Jahr 250 bis 300 Nachwuchsleute finden…

Ja, und das ist uns bisher auch immer gelungen. Wir haben dafür allerdings sehr viel unternommen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die aktive Präsenz an den Hochschulen. Dafür genügen Auftritte an einzelnen Events nicht, es braucht regelmässige Präsentationen, Fachreferate und auch Lehrveranstaltungen mit einem möglichst hohen Praxisbezug. Deshalb sind mehrere Partner von Ernst & Young auch als Dozierende tätig. Das ist keine unmittelbare Rekrutierung, es gibt den Studierenden aber die Möglichkeit, uns als qualifiziertes Unternehmen kennen zu lernen. Einen direkteren Einblick bieten die Praktika, die ebenfalls immer wieder zu Anstellungen führen. Im Zentrum steht dann die Rekrutierung an den Absolventenkongressen und an den so genannten MATCH-Events, den zweitägigen Rekrutierungscamps für Wirtschaftsprüfer, die wir regelmässig organisieren.

Positiv wirkt es sich natürlich auch aus, dass Ernst & Young gerade für Hochschulabgänger zu den beliebtesten potenziellen Arbeitgebern gehört. Das zeigen einerseits regelmässige Ratings, andererseits bekommen wir dieses Feedback auch im direkten Kontakt.

Woher stammt Ihr Nachwuchs?

Für den Standort Schweiz rekrutieren wir vorwiegend in der Schweiz, aber allein mit Schweizerinnen und Schweizern könnten wir die Stellen schon seit einigen Jahren nicht mehr besetzen.

Aber ein Männerberuf ist die Wirtschaftsprüfung immer noch?

Schon seit einigen Jahren nicht mehr! Das Verhältnis bei den Neuanstellungen ist praktisch ausgeglichen, allerdings bleiben die Männer nach wie vor länger.

Bei Kongressen und Camps lernen Sie die Leute, die von der Uni kommen, direkt kennen. Wie erleben Sie dabei die junge Generation?

Weil ich immer mit jungen Leuten zusammengearbeitet habe, habe ich nie eigentliche Brüche zwischen den Generationen erlebt. An den Absolventenkongressen stelle ich immer wieder fest, wie gut vorbereitet und informiert die Interessierten an unseren Stand kommen. Sie kennen Ernst & Young und ihre Dienstleistungen und wollen genau wissen, was wir zu bieten haben.

Saloppe Sprache oder unkonventionelles Auftreten der Jungen geben nie Anlass für Missverständnisse oder Probleme?

Nein, an so etwas kann ich mich nicht erinnern. Ich stelle vielmehr fest, dass die Jungen die Regeln sehr genau kennen und auch einhalten. Das gilt sowohl im Umgang mit den Kunden als auch in den Teams, die bei uns immer altersmässig gemischt sind.

Bei Ernst & Young gibt es also keinen Dresscode oder so etwas wie ein Kniggehandbuch?

Nein, und wozu auch? Die Unterschiede, die ich durchaus feststelle, beziehen sich ja nicht auf Äusserlichkeiten, sondern viel eher auf die Werte. So steht für die jüngeren Mitarbeitenden heute nicht mehr allein der Beruf im Vordergrund. Sie wollen zwar durchaus eine Karriere machen, nehmen jedoch beispielsweise ihre Rolle als Väter ebenfalls sehr ernst.

Wie reagiert das Unternehmen auf diese veränderten Bedürfnisse?

Wir unternehmen alles, um dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen bereitzustellen – obwohl das nicht immer einfach ist, denn ein Dienstleistungsunternehmen 
ist zwangsläufig von den Bedürfnissen der Kunden fremdbestimmt.

Die Wirtschaftsprüfung zeichnet sich ja nicht gerade durch sehr viel Glamour aus. Wie motivieren Sie die jungen Leute überhaupt für diesen Beruf?

Mit all dem, was Ernst & Young zu bieten hat. Wirtschaftsprüfung ist einerseits eine harte Knochenarbeit mit teilweise enorm viel zeitlicher Beanspruchung. Daneben ist es aber auch eine sehr vielseitige Arbeit in interdisziplinären Teams, die Einblicke in den Kern der Unternehmen bietet. Ein weiterer Trumpf sind die Ausbildungsmöglichkeiten, die sich nicht allein auf die Akademie beschränken. Und schliesslich sind wir so international tätig, dass wir die Möglichkeit, in mehreren Ländern zu arbeiten, praktisch garantieren können. Mit besonderen Exchange-Programmen fördern wir diese Internationalität zusätzlich.

Sie rekrutieren nicht nur Mitarbeitende für neue Stellen, Sie müssen auch Abgänge ersetzen. Liegt das daran, dass die Arbeit relativ belastend ist?

Es gibt effektiv Phasen, in denen die Belastung gross ist. Wenn im Januar, Februar die Abschlüsse fällig sind, kann es durchaus zu Wochen mit vielen Überstunden kommen. Die Leute wissen das, und wir versuchen auch, dafür einen Ausgleich zu bieten. Dazu gehören gut zusammengesetzte Teams, in denen die Neuen mit erfahrenen Wirtschaftsprüfern zusammenarbeiten.

Mit Belastung und Druck lassen sich die Abgänge ohnehin nur zum Teil erklären. Dank der ausgezeichneten Ausbildung sind unsere jungen Mitarbeitenden auf dem Arbeitsmarkt sehr gesucht. Zudem sind wir für die meisten der erste Arbeitgeber. Da ist es doch normal, dass ein Teil der jungen Leute noch etwas anderes sehen will. Und wir wissen, dass die jungen Leute aus ihren Fähigkeiten auch etwas machen wollen – sei es bei Ernst & Young oder allenfalls eben an einem anderen Ort.

Wohin wechseln die frisch diplomierten Wirtschaftsprüfer? Zur Konkurrenz?

Nein, das ist nur ganz selten der Fall. Viele gehen zu Kunden. Das ist die Folge davon, dass wir unseren Leuten Kontakte zu sehr interessanten Unternehmen bieten können, oft bis hinauf in die Verwaltungsräte. Das gilt natürlich auch umgekehrt: Unsere Kunden lernen gute Leute kennen, zu denen sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen – Vertrauen spielt in unserem Geschäft ja eine zentrale Rolle. Eigentlich ist es ja ein gutes Zeichen, wenn unsere Kunden gute Leute von Ernst & Young anstellen.

Abgesehen davon, dass Sie diese dann ersetzen müssen! Für Ernst & Young ist es aber sicher auch interessant, gute jüngere Mitarbeitende zu halten.

Selbstverständlich. Weil unser Unternehmen so vielseitig und international ist, kann eine interne Karriere so viele verschiedene Erfahrungen bieten, wie sie sonst nur aus mehreren Stellen zusammenkommen.

Aber eben doch nur an einem Ort…

Auch das stimmt nur bedingt. Wir sind alles andere als eine grosse Käseglocke, denn unsere Leute arbeiten bis zu 80, 90 Prozent ausser Haus und auf verschiedenartigsten Projekten. So habe ich zum Beispiel den Kollegen, mit dem ich angefangen hatte, erst vier Monate nach dem ersten Arbeitstag wieder getroffen.

Wie schaffen Sie da Identifizierung, «Stallgeruch» sozusagen?

Die Zusammensetzung der Teams spielt eine zentrale Rolle, dann die Weiterbildungen – und natürlich auch die Social Events. Diese sind teilweise organisiert, finden oft aber auch spontan statt, beispielsweise zum Abschluss eines grossen Projektes, zur Feier eines beruflichen Erfolgs oder eines persönlichen Höhepunktes.

Nochmals zurück zur internen Karriere. Wie stellt sich hier der Aufstieg dar?

Die Karrieremöglichkeiten bei Ernst & Young sind äusserst vielfältig und wir legen grossen Wert auf eine individuelle Karriereplanung mit unseren Mitarbeitenden. Der erste grössere Schritt ist derjenige zum Manager und damit verbunden die Übernahme der operativen Leitung von Projekten. Der zweite grosse Schritt ist dann derjenige zum Partner oder Principal und damit verbunden die Übernahme der Verantwortung für Projekte und Kunden sowie interne Führungsaufgaben.

Dies aber in der Regel erst im gesetzteren Alter?

Das müssen Sie selber beurteilen. Der jüngste Partner bei uns ist 31. Das ist zwar eher die Ausnahme, aber zwischen 35 und 60 haben wir eine sehr gute Altersstruktur. Zudem sind die meisten unserer Partner «homegrown», also bei Ernst & Young gross geworden. Der Entschluss, Partner zu werden, ist also immer auch ein Bekenntnis zum Unternehmen.

Vielfach sind heute Klagen über die Qualität der Studienabgänger zu hören. Wie beurteilen Sie die Qualität?

Gut bis sehr gut. Es mag da und dort – etwa in der klassischen Buchhaltung – Lücken geben, die aber durch zusätzliche Kompetenzen mehr als kompensiert werden. Wenn von «sinkender Qualität» gesprochen wird, ist damit oft etwas ganz anderes gemeint: die veränderten Wertvorstellungen der jüngeren Generation.

Der Interviewpartner

Thomas Huwyler, 46, ist People Partner bei Ernst & Young Schweiz. In dieser Eigenschaft ist er Mitglied der Geschäftsleitung und für das strategische HRM zuständig. Seit Jahren in der Rekrutierung und Ausbildung engagiert, ist Huwyler daneben aber auch weiterhin aktiv als Wirtschaftsprüfer tätig. Dies entspricht der Philosophie von Ernst & Young, dass alle Partner und GL-Mitglieder neben ihren internen Führungsaufgaben auch selber Kunden betreuen.

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