Lernen im Unternehmen

«Gute Weiterbildung bereitet darauf vor, die Praxis effizienter zu gestalten»

Bei der Weiterbildung zu sparen, sei ein Fehler, zeigt sich Benjamin Künzli, Leiter Learning & Development bei ABB Schweiz, überzeugt. Neben dem fachlichen Wissen brauche es auch vermehrt soziale Kompetenzen. Selbstbeschäftigung oder psychologische Spiele ohne erkennbaren Praxiswert würden allerdings nicht mehr akzeptiert. Zu Recht, findet Künzli.

Herr Künzli, wie ist Learning & Development (L & D) bei ABB organisiert?

Benjamin Künzli: Wir sind ein Teil von Human Resources ABB Schweiz und ein Teil von L & D ABB Central Europe. Damit können wir auf ein breites Netzwerk von L-&-D-Professionals zurückgreifen und bei Bedarf Kapazitäten ausgleichen, indem wir Ressourcen aus anderen Ländern anfordern oder vorübergehend zur Verfügung stellen. Zudem wird unser sechsköpfiges Team von L & D Schweiz von rund einem Dutzend HR-Business-Partnern unterstützt.

Wir bei L & D bieten keine Dienstleistungen zur Weiterentwicklung von Fachkompetenzen an, dafür ist die ABB University zuständig. Wir unterstützen unsere Kunden beim Weiterentwickeln ihrer Persönlichkeits-, Sozial- und Führungskompetenzen. 
Zudem erbringen wir Beratungsdienstleistungen in den Bereichen Team-, Organisations- und Strategieentwicklung.

Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen, die ich kenne, unterscheiden wir klar zwischen Entwicklung und Selektion. Wir sind nur für Entwicklung zuständig. So entsteht zum Beispiel bei einem Führungscoaching kein Interessenkonflikt. Was die Führungskraft mit uns diskutiert, hat keine Konsequenzen für die Selektion.

Was ist hier die Rolle der HR-Business- Partner?

Sie unterstützen uns beim Moderieren von Veranstaltungen, ausgewählten Kursen und Workshops. Wir sind froh, können wir auf diese Ressourcen zurückgreifen.

Denken Sie, dass sich die Unternehmen im Allgemeinen über die Bedeutung von Weiterbildung bewusst sind?

Ja, zunehmend. Obwohl das Thema von Unternehmen noch ganz unterschiedlich gehandhabt wird. Die Bedeutung von Wissen und Können ist in Unternehmen generell aber sehr stark in den Vordergrund getreten.

Das war vor einigen Jahren noch nicht so, woher kommt dieses Umdenken?

Grundsätzlich haben intensive Diskus
sionen Anfang der Neunzigerjahre über die Kernkompetenzen und das Knowledge Management zu einer Veränderung in Unternehmen geführt und dazu, dass Weiterbildung in den letzten 10 bis 15 Jahren immer mehr professionalisiert wurde. Auch hat die gesellschaftliche Entwicklung – hin zu mehr Selbstverwirklichung – zu höherer Leistungs- und Lernmotivation der Mitarbeiter geführt. Und schliesslich zu einem Umdenken in der Aus-und Weiterbildung.

Wie wird sich das Ihrer Meinung nach künftig entwickeln?

Je komplexer das Geschäftsleben noch wird, desto höher wird auch der Bedarf an Ausbildungs- und Entwicklungsdienstleistungen sein. Ich beobachte aber auch, dass manche Unternehmen ihr Weiterbildungsbudget kürzen, nicht nur in Krisenzeiten.

Halten Sie das für falsch?

Ich bin davon überzeugt, dass es ein Fehler ist, weil es einfach der Entwicklung nicht entspricht.

Welche Bedeutung hat L & D bei ABB?

Die Bedeutung ist sehr hoch. Wir legen sehr hohen Wert darauf, dass wir unsere Kompetenzen ständig den sich verändernden Anforderungen entsprechend weiterentwickeln können. Führungskräfte sollen nicht nur sich selbst stets weiterbilden, sondern auch ihre Mitarbeiter gezielt fördern.

Wie stellt ABB das sicher?

Wir führen jedes Jahr Mitarbeiterbeurteilungen durch, in denen auch die individuellen Entwicklungsziele definiert werden. Eine Kontrolle findet im darauffolgenden Jahr statt. In Assessments, die unsere Führungskräfte durchlaufen, wird unter anderem festgestellt, ob diese motiviert sind, ihre Mitarbeiter angemessen zu fördern. Durch unsere Leistungen tragen wir dazu bei, dass Unternehmenswerte und Führungsprinzipien auch tatsächlich gelebt werden. Ich glaube, die Wertschätzung von L & D drückt sich auch in den Teilnehmerzahlen aus.

Wie viele Mitarbeiter bilden Sie pro Jahr weiter?

Bei ABB Schweiz sind rund 6300 Mitarbeiter beschäftigt. Im vergangenen Jahr hatten wir etwa 2000 Teilnehmer in unseren Kursen. Hinzu kommen ca. 500 Teilnehmer aus dem Bereich Beratungs- und Entwicklungsdienstleistungen.

Wie sieht das L-&-D-Angebot genau aus?

Zum einen haben wir ein Kursprogramm, das auf Förderung von Führungs- und Sozialkompetenzen ausgerichtet ist. Unser zweites Standbein sind die Beratungsdienstleistungen. Neben Laufbahnberatungen führen wir unter anderem Team-, Organisations- und Strategieentwicklung, aber auch Führungscoachings durch. Konfliktvermittlung gehört ebenso dazu.

Wissen ist neben den drei Faktoren Kapital, Boden und Arbeitskraft zu einer strategisch entscheidenden Ressource geworden. Wie können Unternehmen dem in der Praxis Rechnung tragen?

Es gibt Verfahren, um zu ermitteln, welches Wissen im Unternehmen vorhanden ist und welche Kernkompetenzen künftig 
gebraucht werden, um die Marktstellung zu halten oder zu verbessern. Eine solche Wissensbilanz ist sehr empfehlenswert. Davon ausgehend müssen dann die nötigen Massnahmen ergriffen werden. Die Erfahrung zeigt, dass man auf diese Weise auch gut gewappnet ist für Kosten-Nutzen-Diskussionen, was die Chance erhöht, dass die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Sollten die Unternehmen generell mehr auf Soft Skills setzen?

Mein Eindruck ist, dass in puncto interkultureller Kompetenz noch mehr passieren müsste. Diese Kompetenzen werden immer wichtiger und sind ein sehr anspruchsvolles Thema. Geht die Verhandlung mit dem Geschäftspartner aufgrund von kulturellen Missverständnissen nicht gut, bringt dies dem Unternehmen unter Umständen enorme Verluste. Im Rahmen eines Kompetenzmodells wird bei ABB Schweiz für Führungs- und 
ausgewählte Fachstellen daher festgelegt, welches Niveau interkultureller Kompetenz erforderlich ist. Neben einem Fragebogen, mit dem wir die interkulturelle Kompetenz unserer Mitarbeiter erheben können, stellen wir Entwicklungsmassnahmen zur Verfügung, von Kursangeboten bis hin zum Einzelcoaching für spezielle Auslandseinsätze.

Welche Rolle spielt die Psychologie in der Weiterbildung?

Unsere Trainer und Berater haben alle einen psychologischen Hintergrund. Wir vermitteln praxisorientiert psychologisches Wissen etwa in den Bereichen Führung oder Kommunikation. Dabei bleiben wir uns aber bewusst, dass man die Dinge in einer wirtschaftlichen Organisation auch mit der betriebswirtschaftlichen Brille anschauen muss. Anlehnend an die Lernpsychologie, versuchen wir, jeden Kurs so zu gestalten, dass jeder Teilnehmer nach seinen Präferenzen, ob praktisch, abstrakt oder theoretisch, möglichst effizient lernt. Wir selbst reflektieren unsere Tätigkeiten mit psychologischen Mitteln. Wenn wir einen Workshop organisieren, gehen wir auf die jeweilige Gruppendynamik ein und passen unser Moderationsverhalten so an, dass die jeweilige Gruppe einen möglichst grossen Nutzen in der Praxis erzielt.

Wie fördern Sie ältere Mitarbeiter?

Wir bieten verschiedene Dienstleistungen an, angefangen mit Standortbestimmungen für Mitarbeiter um die 45. Dies ist eine Chance, zu sehen: Wo stehe ich und wo will ich noch hin im Unternehmen, und was muss ich tun, um beruflich fit zu bleiben? Es ist wichtig, Mitarbeiter auch in diesem Alter und darüber hinaus noch zu fördern. Wir fördern auch bewusst die Zusammenarbeit zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitenden. So können die Beteiligten erleben, dass sie gegenseitig voneinander profitieren können.

Wie wichtig ist die Kompetenz der Selbstführung?

Die Führungsspanne ist breiter geworden, so dass ein grösserer Teil der Führung bei den Mitarbeitern selbst liegen muss. Sie müssen wissen, wie sie sich selbst wieder aufs Ziel einspuren können.

Sind Selbstverwirklichung und Integration im Unternehmen nicht ein Widerspruch?

Das ist einer der zentralen Widersprüche, mit denen wir in der heutigen westlichen Gesellschaft leben. Der Drang zur Selbstverwirklichung ist hoch, auch im Unternehmen. Gleichzeitig gibt es einen erhöhten Integrationsbedarf, weil angesichts der erhöhten Komplexität des Geschäftslebens oft nur ganze Teams zielführende Lösungen erarbeiten können.

Wie muss eine attraktive Weiterbildung aussehen, damit die Mitarbeiter sie auch gerne annehmen?

Eine gute Weiterbildung muss die Teilnehmer darauf vorbereiten, die Praxis effizienter zu gestalten. Eine Aus- und Weiterbildungsabteilung, die nur akademische Übungen anbietet, Selbstbeschäftigung betreibt oder psychologische Spiele ohne klar erkennbaren Praxiswert veranstaltet, wird nicht mehr akzeptiert. Zu Recht nicht, wie ich finde.

Wie stellen Sie fest, wie hoch Ihr Beitrag für die Praxis und damit auch für die Wertschöpfung ist?

Nicht in Franken und Rappen. Wenn wir jedoch eine sehr erfolgreiche Konfliktvermittlung geleistet haben, Scharmützel ausgeräumt sind und den Teilnehmern wieder mehr Zeit, Motivation und Energie für ihre Arbeit zur Verfügung stehen, haben wir nach meiner Überzeugung einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Wertschöpfung erbracht. Das zeigt sich dann auch in den Follow-ups, mit denen wir die Situation anschliessend überprüfen.

Was würden Sie anderen L-&-D-Professionals raten, um die Bedeutung Ihrer Funktion im Unternehmen sicherzustellen?

Man muss den Beitrag an die Wertschöpfung immer wieder kommunizieren, auch wenn dieser nicht zu quantifizieren ist. Professionelle Arbeit und ein gutes Aufwand-
Ertrags-Verhältnis bringen eine gute Position im Unternehmen. Auch wir leben von unserem Image. Und dieses muss jeden Tag neu erarbeitet werden.

Benjamin Künzli

ist seit dreieinhalb Jahren bei der ABB Schweiz AG in Baden tätig. Er leitet den 
Bereich Learning & Development und ist 
Mitglied des Führungsteams von Learning 
& Development der ABB-Region Central 
Europe. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Coaching, Team- und Organisations- sowie Strategieentwicklung. Er ist Psychologe und verfügt über einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Künzli ist seit rund 20 Jahren im Bereich HRM und Ausbildung sowie seit gut zehn Jahren im Bereich Entwicklung und Beratung in unterschiedlichen Branchen tätig.

 

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