In guten wie in schlechten Zeiten?
«Wir sitzen alle im selben Boot.» Dieses Gefühl versuchen Unternehmen oft ihren Mitarbeitenden zu vermitteln. Doch diese «Wir-Ideologie» platzt meist schnell, wenn es im Markt – wie aktuell in vielen Branchen – mal etwas rauer zugeht.
Auch unterschiedliche Interessen können dank ehrlicher Führung unter einen Hut gebracht werden. (Bild: iStock)
«Wir sind ...», «Wir machen ...», «Wir wollen ...» Solche Sätze prägen die firmeninternen Kommunikationsmedien fast aller Unternehmen – angefangen bei den Führungsleitlinien bis hin zu den Mitarbeiterzeitschriften. Und auch die Führungskräfte appellieren im Gespräch mit den Mitarbeitenden oft an das kollektive WIR – gerade so als hätten die Inhaber bzw. Kapitalgeber der Unternehmen sowie deren Führungskräfte und Mitarbeitende identische Interessen und sässen alle im selben Boot.
Doch dann brechen zum Beispiel – wie aktuell nicht selten im Gefolge der Covid-19-Pandemie – die Umsätze weg oder die Erträge sinken. Und die Unternehmensleitung muss einen Teil der Belegschaft in Kurzarbeit schicken und Sozialleistungen streichen. Oder mittelfristig muss sich das Unternehmen aufgrund nötiger Umstrukturierungen und Sparmassnamen sogar von Mitarbeitenden trennen. In solchen Situationen entpuppt sich das kollektive WIR meist schnell als ideologische «Seifenblase».
Keine soziale Einrichtung
Unternehmen sind keine Grossfamilien, in denen alle gemeinsam durch dick und dünn gehen, sondern Zweckgemeinschaften – also soziale Gebilde, in denen sich Personen mit unterschiedlichen Interessen zeitweise zusammenschliessen, um wechselseitig voneinander zu profitieren. Und wenn ein oder mehrere Beteiligte aus der Zusammenarbeit keinen Nutzen mehr ziehen oder sich neue Ziele setzen? Dann trennen sich die Wege meist wieder. Das klingt hart, entspricht jedoch meist der Realität.
Welchen Nutzen haben also Unternehmen davon, sich in den Mitarbeitergesprächen und Mitarbeiterpublikationen so zu präsentieren, als seien sie soziale Einrichtungen? Keinen! Denn hierdurch werden nur die Gegensätze verschleiert, die zwischen den Interessengruppen bestehen. Folglich werden sie in den Mitarbeitergesprächen auch nicht erörtert und es werden auch keine tragfähigen Kompromisse ausgehandelt, wie die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigt werden könnten.
Bei einer steifen Brise bricht der «Sozialkitt» weg
In Boom-Zeiten ist das kein Problem. Anders ist dies in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Oder wenn ein Unternehmen aufgrund von Marktveränderungen vor «harten» Einschnitten steht. Dann zeigt sich: Die Führung jedes Unternehmens unterliegt auch Sachzwängen, denen sie sich nicht entziehen kann – so auch in der aktuellen Situation aufgrund der corona-bedingten Marktveränderungen.
Für die meisten Mitarbeitenden ist diese Erkenntnis nicht neu. Schliesslich sind sie weder naiv noch dumm. Sie erachten den Appell an das kollektive WIR ohnehin als Führungsrhetorik und die glatt gebürsteten (Führungs-)Leitlinien sowie Mitarbeiterpostillen entlocken ihnen nur ein müdes Gähnen. Denn sie wissen: Was im Unternehmensalltag letztlich zählt, ist Leistung und das, was unter dem Strich hängen bleibt.
Für manche Mitarbeitende – vor allem junge, die vom grossen Umbruch im digitalen Zeitalter träumen – ist das Wegbrechen des Sozialkitts in Krisenzeiten aber eine Desillusionierung: Sie fühlen sich verraten und verkauft. Also gehen sie innerlich auf Distanz zu ihrem Arbeitgeber, was auch ihre künftige Arbeitshaltung prägt.
Ein tragfähiges Fundament schaffen
Deshalb sollten Führungskräfte möglichst selten an das kollektive WIR appellieren, sondern vielmehr im Gespräch mit ihren Mitarbeitenden klar herausarbeiten:
- Welche gemeinsamen Interessen haben wir und wo divergieren diese? Und:
- Welche Interessen lassen sich (nur) unter bestimmten Voraussetzungen unter einen Hut bringen?
Dann können sie leichter ein solides Fundament für eine Zusammenarbeit legen, das auf Ehrlichkeit beruht und nichts beschönigt – und entsprechend auch in schwierigen Zeiten standhält. Entsprechend sind die Mitarbeitenden zwar enttäuscht, wenn ihnen situationsabhängig zum Beispiel verkündet wird, dass die Arbeit neu strukturiert werden muss und deshalb grössere Veränderungen im Unternehmen anstehen. Dies belastet aber nicht Beziehung der Mitarbeitenden zu ihren Vorgesetzten.