«Heute spricht man in der Schweizer Armee endlich über Homosexualität»
Was als Engagement für das Partnerschaftsgesetz begann, entwickelte sich zu einer gewichtigen Stimme für Homo sexuelle und andere Minderheiten in der Armee: Die QueerOfficers mit ihrem Präsidenten Beat Steinmann setzen sich für deren Rechte ein und bringen den Führungskräften in der Ausbildung das Thema Diversity Management näher.
Beat Steinmann: «Ich sehe die QueerOfficers als ‹Minenräumkommando› – wir wollen auf die Tretminen aufmerksam machen, denn vorsorgen ist besser als heilen.» (Foto: Sabine Schritt)
Empfinden Sie Homosexualität als Karrierebremse?
Beat Steinmann: Grundsätzlich nicht. Nicht die Homosexualität als solches kann eine Bremse sein, sondern die Menschen dahinter. Es kommt immer darauf an, was der Einzelne aus sich macht, wie er sich verkauft. Natürlich gibt es homophobe Kreise und Berufsgattungen, wie den Security-Bereich oder die Feuerwehr und in gewisser Weise auch die Armee. Aber Menschen, die behaupten, sie seien dadurch gebremst, wären auch als Heteros in ihrer Karriere gebremst.
Armee und Homosexualität klingen eher nach kontroversen Themen. Wie nehmen Sie das wahr?
Noch Ende der 80er war Homosexualität in vielen Armeen der Welt ein Grund, jemanden auszuschliessen. In der Schweiz ist mir aus den letzten 30 Jahren aber kein solcher Fall bekannt. In der Armee gibt es heute viele geoutete Homosexuelle und da haben wir als QueerOfficers sicher auch viel Vorschub geleistet.
Wie kamen die QueerOfficers zustande?
Im Rahmen der Diskussion um das Partnerschaftsgesetz hat sich der Verein 2005 aus einer kleinen Gruppe heraus gegründet. Wir waren etwa ein Dutzend Offiziere. Als eine unserer ersten Handlungen haben wir in der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» ein Inserat geschaltet – mit unseren Dienstgraden und Namen – und dort die Kollegen aufgefordert, für das Partnerschaftsgesetz zu stimmen. Das gab einiges an Medienecho.
Wie gross ist der Verein heute?
Wir haben 75 Mitglieder.
Was versuchen Sie mit den QueerOfficers zu erreichen?
Zum einen geht es natürlich um das Networking. Das Zweite ist unsere politische Funktion. Wir sind der Ansprechpartner der Armeeführung für alle Fragen des Diversity Managements – von den Milizangehörigen bis zu den Berufsleuten im Verteidigungsdepartement. Das Dritte ist unser Portal: Dort können sich alle melden, die betroffen sind, die selbst diskriminiert werden oder in ihrem Umfeld jemanden kennen, der betroffen ist. Mit dem Portal sind wir ziemlich schlagkräftig, um etwas gegen Diskriminierungen zu unternehmen. Aufgrund unserer Dienstgrade können wir auf gleicher Augenhöhe mit den Kommandanten reden und müssen nicht als Bittsteller auftreten. Das hilft sehr und das unterscheidet uns zum Beispiel von der Gruppierung innerhalb der deutschen Armee.
Das heisst, die QueerOfficers werden auch für andere Minderheiten aktiv?
Ja natürlich. Für andere Religionen, Ethnien, Behinderungen und Mann-Frau-Diskriminierungen. Es geht um Diversity insgesamt.
Haben diese keine eigene Lobby?
Wir waren einfach die erste Vereinigung einer Minderheit. Aber ich habe jetzt einen Round Table angeregt, zu dem hoffentlich bald von Seiten Armee eingeladen wird.
Haben Sie konkrete Projekte, an denen Sie arbeiten?
Wir überprüfen die Umsetzung des Befehls zum Diversity Management regelmässig. Bei unserem letzten Besuch hat uns der Chef der Armee attestiert, dass kaum jemand ein so gutes Controlling hat wie wir. Zudem sind wir als QueerOfficers an der Ausbildung aktiv beteiligt – sei es Berufsarmee oder Miliz. In unseren Kursen bringen wir das Thema Diversity Management allen Führungskräften näher und zeigen auf, was sie konkret tun können, damit niemand diskriminiert wird. Ich sehe die QueerOfficers als «Minenräumkommando» – wir wollen auf die Tretminen aufmerksam machen, denn vorsorgen ist immer besser als heilen.
Welche Instrumente gibt es dafür?
Zum Beispiel die Diversity-Charta. Mit ihr kann ein Kommandant oder ein Unternehmen für Vielfalt im Kommando-Bereich oder in der Abteilung werben. Sie signalisiert, dass ich als Chef oder auch als Abteilungsleiter keine Diskriminierung akzeptiere und mich persönlich dagegen einsetze. Diese Charta sollte wirklich jedes Unternehmen aufhängen oder im Intranet publizieren.
Hat sich schon konkret etwas verändert, seit es die QueerOfficers gibt?
Ich glaube nicht, dass wir dazu beigetragen haben, dass sich wahnsinnig viele geoutet haben. Das nicht. Aber, man spricht in der Armee endlich über Homosexualität. Was in der Wirtschaft überhaupt noch nicht stattfindet.
Übertreiben Sie da nicht etwas?
Nein. Ich nenne das «überhaupt nicht». Die wenigen Ausnahmen, die es gibt, bestätigen eher die Regel.
Ist es Ihrer Ansicht nach überhaupt nötig, sich zu outen in Wirtschaft oder Armee?
(Zögert) Das ist schwierig zu beantworten. Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, wenn er ein Viertel seines Lebens, also im Berufsleben, eine falsche Rolle spielen muss. Das bedrückt und belastet. Ich habe beim Antritt meiner neuen Stelle gesagt, dass ich mich in meiner Freizeit sowohl für Diversity Management im Berufsleben sowie für die Nichtdiskriminierung in der Armee einsetze und dass ich homosexuell bin. Damit war das Thema vom Tisch. Hätte ich nichts dazu gesagt, wäre möglicherweise getuschelt worden, weil die Leute dann das Gefühl gehabt hätten, etwas wahnsinnig Neues und Interessantes herausgefunden zu haben. Stehe ich dazu, kommt dieses Gefühl gar nicht auf.
Was tun Sie denn konkret in Ihrem Unternehmen?
Ich habe beim HR-Leiter beantragt, dass Diversity thematisiert wird, was bisher noch nicht der Fall war. Im Moment wird gerade die Stelle eines Gleichstellungsbeauftragten diskutiert. Doch man muss da vorsichtig sein: Oft wird Diversity mit Gleichstellung von Mann und Frau beziehungsweise mit der Anstellung von Behinderten assoziiert. Dabei umfasst das Thema noch mehr.
Sie sagen, viele der grösseren Unternehmen hätten den Bedarf nach Diversity erkannt, würden das Thema aber nahezu für ihre Zwecke missbrauchen. Wie meinen Sie das?
Es gehört heute bei internationalen Konzernen zum guten Ton, dass man den Diversity-Gedanken entweder als eigenes Thema hat oder im Leitbild thematisiert. Aber oft steht es nur auf dem Papier – einfach weil man als internationales Unternehmen Diversity nicht ausklammern kann. Aber damit ist es nicht getan.
Womit denn dann?
Im Bereich HR beginnt das beim Vorstellungsgespräch. Es gibt heute noch viele HR-Leute, die den Zivilstand erfragen. Dabei hat das für die Berufsausübung mit wenigen Ausnahmen, zum Beispiel in der Familienberatung, gar keine Relevanz. Ob jemand verheiratet oder geschieden oder verwitwet ist, ist reine Formsache. Weiter geht es mit Fragebögen: Es gibt einen gesetzlichen Zivilstand, der Eingetragene Partnerschaft heisst, und der sollte in Formularen auch als Möglichkeit zum Ankreuzen gegeben werden, am besten zusammen mit dem Zivilstand «verheiratet» durch Slash getrennt.
Gibt es Firmen, die das so praktizieren?
Mir ist nicht bekannt, dass es ernsthaft praktiziert wird. Es gibt wie gesagt Unternehmen, die sich Diversity zwar auf die Fahne schreiben, sie dann aber nicht durchgängig umsetzen. Probleme mit den Personalreglementen treten zum Beispiel auch dann auf, wenn Firmen in Ländern aktiv sind, in denen Homosexualität verboten ist. Aber dann müssen sie eben verschiedene Reglemente aufsetzen.
Welche Tretminen gibt es noch?
Nehmen Sie das Beispiel eines Auslandseinsatzes – sei es ein Soldat oder ein Monteur. Es gibt auf der Welt noch immer Länder, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht. In einem solchen Fall muss es für Betroffene möglich sein, zu sagen, dass sie in dieses Land nicht gehen können. Es würde ja auch jeder verstehen, wenn ein Jude nicht in einem arabischen Land arbeiten möchte. Ich will, dass die Unternehmen von sich aus kommunizieren, welche Gefahren bestehen, denn die Betroffenen wissen das vielleicht selbst gar nicht. Die Gründe müssen dann ja nicht publik gemacht werden.
Aber Sie kritisieren ja gerade die «Don’t ask – don’t tell»-Politik in den Unternehmen. Soll sie nun thematisiert werden oder nicht?
Ja, aber von Seiten der Unternehmen. Sie müssen den ersten Schritt machen, nicht die Betroffenen. Es kommt immer noch sehr häufig vor, dass sich eingetragene Lebenspartner im Betrieb nicht melden, obwohl sie eigentlich die Pflicht dazu hätten. Aber wenn es nie thematisiert wurde, wissen sie nicht, auf welches Echo sie stossen.
Am Zurich Pride Festival, dem grossen Fest von Homosexuellen, hatten Sie eine Fachtagung zum Thema Diversity durchgeführt. Auf wie viel Interesse sind Sie da gestossen?
Wir hatten über 20 Teilnehmende aus dem Bereich der HR und der Ausbildungsstätten. Die Tagung ist durchweg positiv aufgenommen worden.
Sie haben als Masterarbeit eine Studie zum Umgang mit Diversity in KMU durchgeführt. Wie war diese aufgebaut?
Ich habe verschiedene Grössen von Unternehmen angeschaut. 1 bis 10, 10 bis 50 und 50 bis 500.
Anhand eines von mir definierten Idealprofils habe ich dann verglichen, wie weit die Unternehmen sind: Im HR-Bereich habe ich dann zum Beispiel definiert, wie Formulare, Prozesse und interne Reglemente im Idealfall aussehen sollten, und damit verglichen, wie sie in der Realität aussehen.
Machen Sie bitte ein Beispiel ...
Die Zivilstandsänderung: Oft wird dort zuerst der Vorgesetzte informiert, dabei geht den das gar nichts an, wenn Mitarbeitende dies nicht kommunizieren wollen. Auch im Bereich der internen Reglemente waren fast alle KMU noch weit davon entfernt, das Partnerschaftsgesetz integriert zu haben. Nach dem gleichen Prinzip habe ich Informatik, Versicherungen und Kommunikation untersucht.
Was ist dort herausgekommen?
Die Versicherungen müssen natürlich zwingend angepasst sein, aber das ist bei den meisten Unternehmen auch der Fall. Die Informatik ist oft auf gutem Weg, viele der Standardsoftwares wurden bereits an das PartG angepasst. Nachholbedarf gibt es bei der Kommunikation: In einer Hauszeitung könnten doch neben den Eheschliessungen auch die Eintragungen von Partnerschaften gemeldet werden. Dies ist schliesslich ein öffentlicher Akt, der auf dem Standesamt passiert, und kein Geheimnis. Am wichtigsten ist aber die Unternehmens- und Gesprächskultur. Dazu gehört für mich ganz klar ein Leitbild, in dem steht, dass keine Diskriminierung akzeptiert wird.
Wie viele Unternehmen haben Sie untersucht?
33 direkte Interviews und 130 Fragebögen. Aber der Rücklauf bei den Fragebögen war nicht so üppig, auf diese Fragen antworten die Unternehmen nicht gern. Viele meiner Interviews wurden letztlich gar nicht als Interview gehalten. Sie dienten den Unternehmen mehr zur Aufklärung – das heisst, die HR- Verantwortlichen haben mich gefragt, was sie nun tun müssen.
Kennen die KMU das Partnerschaftsgesetz denn nicht?
Über 80 Prozent kennen es nicht; es findet schlicht nicht statt. Wenn sich der AHV-Satz ändert, wissen das alle und passen Reglemente an. Wird aber ein neuer Zivilstand eingeführt, geht das anscheinend unter.
In Deutschland fand im März die erste Karrieremesse für Homosexuelle statt. Widerspricht das nicht eher Ihren Anliegen?
Ja, das ist absurd. Meiner persönlichen Ansicht nach läuft das zu 180 Grad entgegengesetzt zu dem, was man erreichen will. Homosexuelle sind auch im Beförderungszyklus genau gleich zu behandeln wie Heterosexuelle. Eine spezifische Kadermesse zu veranstalten, finde ich daneben.
Weitere Informationen: www.diversity-charta.ch
Beat Steinmann
ist Senior Manager bei der RUAG Electronics und Oberst i Gst bei der Schweizer Armee. Seit 2007 hat er das Amt des Präsidenten der QueerOfficers Switzerland inne. Steinmann absolvierte ein Studium zum Berufsoffizier an der ETH und einen Executive MBA in General Management an der Fachhochschule Ostschweiz. Im Rahmen seiner Masterarbeit beschäftigte sich Beat Steinmann mit Diversity in Schweizer KMU.