HR Today Nr. 8/2022: Im Gespräch - Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler

«Höflichkeit und Zuverlässigkeit sind starke Treiber der Zusammenarbeit»

Als Kolumnisten beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers» beschäftigen sich Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler seit 2018 vor allem mit HR-Themen. Ein Gespräch über die schöne neue Arbeitswelt und das im Oktober erscheinende Buch «Zusammenarbeiten».

In Kürze erscheint euer sechstes Buch unter dem Titel «Zusammenarbeiten». Weshalb dieses Thema?

Mikael Krogerus: Die Corona-Pandemie akzentuierte Themen, bei denen wir bislang dachten, sie brauchten keine grössere Beachtung. Beispielsweise das Zusammenarbeiten. Wie wichtig das im Arbeitsalltag jedoch  ist, zeigen diverse Mitarbeitendenbefragungen. So beschweren sich die meisten Menschen nicht über den Lohn oder ihren Chef, sondern über eine schlechte oder gar toxische Unternehmens- oder Arbeitskultur. Diese sind im Gegensatz zum Lohn und Chef aber leichter wandelbar. Es überrascht deshalb, dass nicht mehr dafür gemacht wird – gerade vonseiten des HR.

Roman Tschäppeler: Der Grund ist wohl, dass die meisten nicht wissen, wie man eine solche Kultur etabliert. Etwa, wie man gegenseitiges Vertrauen schafft oder gemeinsam Probleme löst und Ziele definiert.

Eine Sache ist die Unternehmenskultur, aber ist es nicht so, dass manche Teamkonstellationen einfach besser funktionieren als andere?

Krogerus: Ja, auf jeden Fall. Deshalb ist es schade, dass dieser Punkt bei der Rekrutierung wenig beachtet wird. Man sollte nicht einzelne Leute rekrutieren, sondern bestehende Teams. Arbeiten  zwei Personen gut zusammen, müsste man beide einstellen. Was sie gemeinsam  leisten, ist viel mehr wert als ihre individuellen Fähigkeiten. Ein Beispiel hierfür sind eingespielte Intensivmedizin-Teams, die weniger Fehler machen als neu zusammengesetzte, die aus brillanten Einzelpersonen bestehen.

Tschäppeler: Fussballteams, die Starspieler einkaufen, die zusammen nicht funktionieren, sind ebenfalls ein gutes Beispiel.

Was, wenn einer im Team nicht mitzieht oder sich Menschen einfach nicht riechen können?

Tschäppeler: Befindet sich in einem Team ein sogenannter «Bad Apple», der an allem Anstoss nimmt, sollte man ihn nicht ignorieren oder konfrontieren, sondern vielmehr integrieren à la: «Okay, du sagst, was wir tun, funktioniert nicht. Lasst uns unter deiner Leitung besprechen, was die Möglichkeiten wären, damit es besser geht.» So kann man den «Störenfried» ins Boot holen.

Krogerus: Die Realität ist: Es gibt immer einen im Team, den ich nicht mag. Der grösste Faktor, der Vertrauen aufbaut und zusammenschweisst, ist, Gemeinsamkeiten. Das verbindet. Oft sind das banale Dinge wie der gleiche Dialekt oder Musikgeschmack. Der zweitgrösste Faktor ist Kompetenz. Wenn ich jemanden nicht mag, er aber etwas kann, was ich nicht kann, und er mir hilft, beginne ich, ihm zu vertrauen. Im Gegenzug vertraut er mir. Es lohnt sich also, sich auf die Kompetenz des «Störenfrieds» zu konzentrieren, statt sich über seine Kommentare zu ärgern.

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«Der grösste Faktor, der Vertrauen aufbaut und zusammenschweisst, ist, Gemeinsamkeiten»: Das Duo Krogerus und Tschäppeler. (Bild: Ella Mettler)

Schweizerinnen und Schweizer suchen den Konsens. Das sollte die Zusammenarbeit fördern. Wie seht ihr das?

Krogerus: An dieser These könnte durchaus etwas dran sein. Für mich sind Höflichkeit und Zuverlässigkeit zwei starke Treiber der Zusammenarbeit. Diese zwei Eigenschaften werden in der Schweiz grossgeschrieben. Dennoch glaube ich nicht, dass Schweizerinnen und Schweizer besser zusammenarbeiten als andere. Zwar haben sie die Grundvoraussetzungen dafür, aber im Alltag ist es in der Schweiz wie überall: Man kümmert sich nicht genug um die Zusammenarbeit, weil man denkt, es laufe ohnehin. Als Beispiel: In der Schule lässt man Kinder immer wieder Projektarbeit erledigen. Man schickt sie in eine Gruppe und lässt sie Probleme lösen, erklärt ihnen aber nicht, wie sie das tun müssen und was sie machen können, wenn es nicht wie gewünscht läuft …

Tschäppeler: Das ist fatal. Wichtig bei der Zusammenarbeit ist, zu Beginn Abmachungen zu treffen und den Prozess gemeinsam zu definieren. Etwa, wie man miteinander spricht, Ideen entwickelt oder Entscheidungen trifft. Nur so gelingt Zusammenarbeit.

Gibt es eine ideale Teamgrösse?

Krogerus: Es gibt die berühmte Zwei-Pizza-Regel von Amazon-Gründer Jeff Bezos, die besagt, ein Team funktioniere, wenn man es mit zwei Pizzen abspeisen könne, also sechs bis acht Personen. Das ist eine gute Grösse, weil jeder irgendwann mal zu Wort kommt, Schwäche zeigen kann oder das Steuer übernimmt. Hinzu kommt, dass diese Grösse Allianzen verhindert.

Können Massnahmen wie Teambuildings oder eine Feedback-Kultur die Teamzusammenhalt fördern?

Krogerus: Häufig läuft ein Teambuilding folgendermassen ab: Beim Kick-off stehen Leute zusammen, die sich ohnehin schon mögen, während die Introvertierten abseitsstehen und darauf warten, dass es vorbei ist. Die Neuen machen sich dagegen zum Clown oder versuchen, in der Masse unterzugehen. Zugleich können extreme Teambuildings erfolgreich sein. Kommt es beispielsweise auf einer Bergtour zu einer Krise, ist der Zusammenhalt in der Gruppe danach gross, egal, wie gut man sich vorher kannte. Das liegt daran, dass wir es in Extremsituationen nicht mehr schaffen, anderen etwas vorzuspielen. Irgendwann legen wir unseren Panzer ab und zeigen unser «wahres» Gesicht. Wir geben uns verletzlich. Dann geschieht Erstaunliches: Es entsteht Vertrauen. Dieser Vorgang wird Verletzlichkeitszirkel genannt. Eigentlich funktioniert Teambuilding aber wie Joggen: Einmal tun nützt nichts. Man muss täglich ein paar Schritte laufen.

Tschäppeler: Wir pflegen beispielsweise ein Check-in-Gespräch zu Beginn jedes Projekttages: Wie geht es dir? Was treibt dich gerade um? Das dauert nicht lang, nützt aber in der konstruktiven Zusammenarbeit, wenn man es kontinuierlich tut, weil sich jeder durch die Beantwortung der Fragen kurz «verletzlich» zeigte und somit Vertrauen in der Gruppe entsteht. In euren Kolumnen im «Das Magazin» beschäftigt ihr euch wöchentlich mit Themen aus der Arbeitswelt.

Was sind für euch nebst der Zusammenarbeit wichtige Fragen des Arbeitslebens?

Tschäppeler: Wenn ich mit meinen Freunden in Führungspositionen aus verschiedenen Branchen spreche, ist es ganz klar: die richtigen Leute zu finden.

Krogerus: Aus Angestelltensicht ist es eher die Erschöpfung. Die meisten Menschen sind zurzeit am Anschlag.

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Krogerus und Tschäppeler wünschen sich mehr Selbstbewusstsein im HR und Bescheidenheit in der Chef-Etage. (Bild: Ella Mettler)

Wieso? Wir haben doch noch nie so wenig gearbeitet wie heute…

Krogerus: Man kann das mit dem Tocqueville-Paradoxon erklären. Ein Phänomen aus der Soziologie, das besagt, dass sich mit dem Abbau sozialer Ungerechtigkeiten gleichzeitig die Sensibilität gegenüber verbleibenden Ungleichheiten erhöht. Auf die Arbeitswelt gemünzt heisst das: Früher wurde viel mehr gearbeitet, aber niemand hat gejammert, weil es niemand tun durfte. Heute wird weniger gearbeitet, es gibt mehr Work-Life-Balance, aber viel mehr Klagen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir verweichlicht sind. Es heisst bloss, dass erkannt wurde, dass Erschöpfung ein Problem ist. Deshalb melden sich mehr Menschen zu Wort. Das andere ist, dass der Druck in sehr vielen Berufen massiv gestiegen ist. Es gibt Einsparungsmassnahmen. Viele Arbeitnehmende fürchten sich zudem vor einem Arbeitsplatzverlust…

Tschäppeler: …was absurd ist, wenn man sieht, wie viele Leute zurzeit gesucht werden.

Krogerus: Zuletzt ist auch der Anspruch an uns selbst grösser geworden. Wir wollen einen guten Job machen, eine grossartige Familie und ein schönes Zuhause haben. Wir vergleichen uns mit anderen. Diesen Perfektionsanspruch kann man nicht in allen Lebensbereichen schaffen.

Es gibt viele HR-Trendthemen: Agilität, Design Thinking und New Work. Grosse Begriffe mit wenig Substanz?

Krogerus: Das ist eine berechtigte Wahrnehmung. Vieles, was gemacht wird, kann man im übertragenen Sinn als «Window-Dressing» bezeichnen, also eine polierte Aussendarstellung. Die Herausforderung ist nicht die Einführung neuer Methoden, sondern deren Anwendung. Das ist brutal anstrengend, und kostet HR und Führungsverantwortliche viel Zeit und Kraft, zumal die meisten Menschen negativ auf Veränderungen reagieren. Im Innersten sind wir Gewohnheitstiere, die meinen: Früher war alles besser. Worin besteht für euch die «neue Arbeitswelt»?

Tschäppeler: Um die neue Arbeitswelt zu verstehen, muss man gleichzeitig begreifen, dass die Entwicklung im Arbeitsalltag nie abgeschlossen ist. Es ist ein Prozess: Nichts ist fertig. Auch Teams sind nie abschliessend gestaltet. Das Ganze ist ein iterativer Prozess, ein Aushalten von Ambiguitäten. Das ist eine grosse Belastung für alle.

Krogerus: Die neue Arbeitswelt besteht aus dem Abschied von ­Hierarchien und Top-down-Denken. Dafür gibt es verschiedene Ansätze. Spannend ist beispielsweise, wenn in grossen Unternehmen Start-up-Kulturen in kleinen Einheiten erhalten bleiben, die so tun, als wären sie Start-ups, die sich ohne klare Führung selbst organisieren und dadurch dynamischer sind.

Eure Wünsche ans HR?

Tschäppeler: Mehr Selbstbewusstsein. Wenn die Zusammenarbeit der häufigste genannte Kündigungsgrund ist, würde ich HR raten, breitbrüstiger durch die Gegend zu gehen und für dieses Thema einzustehen – auch entgegen der Ansichten eines CEO oder CFO.

Krogerus: Dass die Einsicht reift, dass gute Chefinnen und Chefs nicht selbstbewusst sein müssen. Bescheidenheit ist die Hauptführungseigenschaft, das wurde vielfach nachgewiesen. Als Führungsperson geht es nicht darum, selbst im Rampenlicht zu stehen, sondern die eigenen Leute besser zu machen. Hier muss bei der Besetzung von Chefpositionen langsam ein Umdenken stattfinden. Die aktuellen Assessments fokussieren noch immer zu stark auf jene Kandidaten, die schnell entscheiden, selbstsicher auftreten und verhandlungssicher sind. Dabei wäre es viel wertvoller zu erkennen, wer es schafft, ein Team voranzubringen.

Buchtipp

 

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Bei Zusammenarbeit denkt man schnell an Sitzungen, Teambuilding, Rollenverteilung und Feedback. Das ist richtig und wichtig, aber eigentlich geht es um viel mehr. Um grundlegende Fragen der Zusammenarbeit, über die selten gesprochen wird: Wie arbeite ich mit Leuten zusammen, die ich nicht mag? Wie entscheidet man in einer Gruppe, wenn nicht alle der gleichen Meinung sind? Dieses Buch gibt Anstösse fürs Zusammenarbeiten.

Mikael Krogerus, Roman Tschäppeler, «Zusammenarbeiten. Ein Wegweiser, um gemeinsam Grosses zu erreichen», Kein&Aber Verlag. Erscheint am 13. Oktober 2022.

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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