HR-Systeme

«HR-Abteilungen, die das Umdenken nicht schaffen, werden überflüssig»

Das HRM muss sich auf die Digitalisierung seiner Arbeitswelt einlassen – mehr oder weniger gerne. Eine Studie der «Wissensfabrik» in St. Gallen zeigt Erkenntnisse über das heutige E-HRM in der Schweiz. HR Today Special hat mit dem Autor darüber gesprochen, wie HRM und Digitalisierung in Zukunft zusammenpassen müssen.

Herr Cachelin, die Zukunft ist digital. Hat das HRM diesen Trend bislang verschlafen?

Joël Luc Cachelin: Es ist als Aussenstehender immer schwierig, wirklich einen genauen Einblick in Organisationen zu erhalten. Aber grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass dieser Trend von den Personalabteilungen tatsächlich verschlafen wird.

Woran machen Sie das fest?

Die Ergebnisse unserer Studie (siehe dazu Kasten Seite 11, Anm. d. Red.) deuten klar darauf hin. Die Digitalisierung wird im HRM häufig nur als zusätzlicher Rekrutierungskanal wahrgenommen. Diese Ansicht greift aber viel zu kurz und gefährdet letztlich die Personalabteilung in ihrer Existenz. Der Eindruck bestätigt sich auch in anderen Studien oder Gesprächen mit anderen Experten.

Warum sind die Veränderungen durch die Digitalisierung so gewaltig?

Die Digitalisierung ist die wichtigste Kraft, die Wirtschaft und Gesellschaft verändert. Sie verändert die Bedürfnisse der Mitarbeitenden sowie die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird. Sie relativiert Hierarchien und öffnet die Grenzen der Organisation. Letztlich verändert sie auch die Stellhebel der Produktivität einer Organisation und schafft neue Erfolgsfaktoren im Wettbewerb zwischen den Unternehmen.

Wie geht das HR in der Schweiz damit um?

Der Fokus liegt eindeutig auf der Rekrutierung. Zusätzliche Instrumente, gerade im Bereich Social Media, werden nur zögerlich eingesetzt.

Wie erklären Sie sich das?

Zum einen durch mangelnde Ressourcen. Das scheint aber häufig ein Stellvertreterargument zu sein. Ich erkenne viel Angst: vor neuer Transparenz, vor Kontrollverlust und auch Angst, dass das Internet die Arbeit der Personalabteilung überflüssig machen könnte.

Woran kann man erkennen, ob Unternehmen offen und konstruktiv mit dem Thema umgehen?

Unternehmen, die sich konsequent digitalisieren, unterscheiden nicht mehr zwischen innen und aussen. Kunden sind genauso Know-how-Träger, wie es die Mitarbeitenden sind. An die Stelle der Einwegkommunikation tritt die wechselseitige Interaktion. Feedbacks werden für alle sichtbar und erwarten eine sofortige Reaktion. Wer die Chancen der Digitalisierung nutzt, lässt sich also schon in der Unternehmenskultur erkennen.

Wo liegen genau die Vorteile, neue Technologien konsequent zu nutzen?

Einerseits in Kosteneinsparungen und anderseits im verbesserten Wissensmanagement, was sich direkt auf den Unternehmenserfolg auswirken kann.

Das heisst also für das HR der Zukunft: weg vom Datenmanagement, hin zum Wissensmanagement?

Das Wissens- und Innovationsmanagement gewinnt stark an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie mithilfe des Internets das Wissen ihrer Mitarbeitenden zentral verwalten können und, was fast noch wichtiger ist, das Wissen der Kunden in das Unternehmen integrieren können. Ein Zukunftsbereich ist aber auch das Data Mining, quasi ein Datenmanagement 2.0. Es umschreibt die Tatsache, dass die Digitalisierung zu immer umfangreicheren Datensätzen führt, die durch «digitale Roboter» zielgerichtet ausgewertet werden können. Damit können Unternehmen in Bezug auf Organisationsstrukturen, Rekrutierung und Gesundheitsprävention in Zukunft intelligentere Entscheidungen treffen, weil sie nicht mehr nur auf Modellen, sondern auf realen Daten beruhen.

Sie nennen Ihr Unternehmen «Wissensfabrik». Liegt Ihnen daher so sehr am Herzen, dass HR-Manager künftig viel mehr Wissensmanager sind?

Gerade in der Schweiz leben wir in einer Wissensökonomie. Ich denke, dass Unternehmen noch zu wenig nach der Maxime handeln, dass Wissen ihre wichtigste Ressource ist. Ich sehe in den Bereichen Management und Führung noch viele 
unausgeschöpfte Potenziale der Veränderung. Man orientiert sich immer noch an Zeiten, in denen die Produktion von materiellen Gütern im Vordergrund stand. Aber diese Zeiten sind endgültig vorbei, die Zukunft gehört der immateriellen Wertschöpfung. Neue Konzepte und Verständnisse hierfür entstehen gerade erst. Das macht die Auseinandersetzung so 
interessant.

Dr. Joël Luc Cachelin

hat an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaftslehre studiert, zur Zukunft des Managements doktoriert und an zwei ihrer Institute gearbeitet. Im Jahr 2009 hat er die Wissensfabrik gegründet, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Unternehmen am besten mit ihrem Wissen umgehen können.
Kontakt: cachelin(at)wissensfabrik.ch

Welches ist aus Ihrer Sicht diesbezüglich die wichtigste Diskussionsthese der Zukunft?

Dass die Digitalisierung die Personalabteilung überflüssig macht. Provokativ ausgedrückt: Wenn die Personalabteilung nicht aufpasst, dann wird es sie bald nicht mehr geben. Eine passive Personalabteilung wird immer mehr Funktionen an die Linie, das Marketing, die Informatik, externe HR-Dienstleister (Coaching, Personalentwicklung, HR Controlling) und nicht zuletzt an die Mitarbeitenden verlieren. Um dies zu verhindern, braucht es eine aktive Personalabteilung, die sich auch Aufgaben aus dem Controlling, dem Wissensmanagement, der Unternehmensentwicklung, der Marktforschung und dem Marketing einverleibt.

Was macht den HR-Managern im Hinblick auf das Internet am meisten zu schaffen?

Einerseits der angesprochene Kontrollverlust. Das Internet schafft Transparenz, wodurch auch ehemalige Wertschöpfungsangebote des HR zerstört werden. Mitarbeitende können sich selber informieren, Führungskräfte mit Hilfe von sozialen Netzwerken selbst rekrutieren. Anderseits spüren HR-Manager wohl den Druck auf die eigene Abteilung und die damit verbundene Verschiebung in den nötigen Kompetenzen, um ein zeitgemäs-ses HR zu betreiben. Ich vermute zudem, dass viele Manager der sogenannten Generation X nicht erkennen, welche Veränderungen aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung eigentlich sinnvoll wären. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass wir erst am Anfang der Digitalisierung stehen. Den Unternehmen, die schneller diese Veränderungen erkennen und darauf reagieren, gehört die Zukunft.

Die Digitalisierung kann nicht das Patentrezept für alle Herausforderungen des HR sein. Geht es nicht vielmehr darum, dass sich mit Einzug der Digitalisierung auch die Bedeutung des HR in Unternehmen grundlegend gewandelt hat? Wie ist der Spagat zu schaffen zwischen mehr Digitalisierung und der Neupositionierung des HR?

Natürlich ist die Digitalisierung kein Patentrezept. Ich sehe sie vielmehr als etwas, das die Bedingungen des Wirtschaftens und damit der HR-Arbeit grundlegend verändert. Dass die Digitalisierung auch neue Instrumente für die Personalarbeit liefert, ist dann quasi ein schöner Nebeneffekt. Wichtiger ist aber, dass Unternehmen und ihre Manager den Wandel reflektieren. HR-Abteilungen, die dieses Umdenken nicht schaffen, werden überflüssig.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wo 
se-hen Sie die Nachteile einer durchdigitalisierten Welt?

Neben den genannten Vorzügen hat die Digitalisierung natürlich auch neue Probleme geschaffen. Wir sind häufiger unkonzentriert, weil wir mehr Informationen aufnehmen wollen. Das Arbeitstempo hat sich verschärft, der wahrgenommene Stress hat zugenommen, übrigens auf allen Hierarchiestufen. Die Digitalisierung führt zu einer neuen Stufe der Transparenz, was mit einem neuen Überwachungs- und Missbrauchspotenzial einhergeht. Sie verlangt deshalb auch neue Kompetenzen – im Umgang mit persönlichen Daten, in der digitalen Vermarktung oder im Bereich der virtuellen Zusammenarbeit. Wir müssen auch lernen, uns selber Grenzen zu setzen, insbesondere zwischen Arbeit und Freizeit. Ich denke, dass das HR in all 
diesen Bereichen verstärkt Präventions- und Coachingangebote anbieten und organisationale Reflexionsprozesse auslösten sollte.

Aus den Ergebnissen Ihrer Studie zeichneten Sie eine Landkarte des New Work. Was ist das Auffälligste daran?

Dass die Menschen in der Arbeit vermehrt nach Sinn suchen und Arbeit mehr nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten wollen. Dazu gehören insbesondere die Freiheiten in Bezug auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit. Ich denke auch, dass die Zusammenarbeit viel stärker durch Netzwerke als bisher durch Hierarchien organisiert sein wird. Zudem zeichnen sich neue Arbeitswelten durch ein neues  Management-, Führungs- und Karriereverständnis aus.

Welche Internetbereiche könnten von den Unternehmen noch ausgebaut werden?

In Bezug auf den Einsatz des Internets beobachte ich, dass HR und Marketing immer noch sehr unabhängig voneinander funktionieren. Das ist nicht sehr sinnvoll, weil es in beiden Fällen um die Vermittlung derselben Identität geht. Zudem wird in beiden Abteilungen die Integration der Kunden sehr viel wichtiger werden. Die Grenzen zwischen Konsum und Arbeit werden sich relativieren; das verlangt aber, dass Marketing und HR ihr Gegenüber, das gleichzeitig Wissensträger und Konsument sein kann, mit gemeinsamen Strategien umwerben und in das Unternehmen integrieren.

Welchen Fragen werden Sie in Zukunft nachgehen?

Mich interessiert, ob die neue Arbeitswelt nur ein Hirngespinst der Trendforscher ist oder ob sich unsere Vorstellungen von Arbeit, Unternehmen und idealer Führung tatsächlich radikal ändern werden. Das wird vermutlich wesentlich von der Entwicklung der globalen Wirtschaftslage abhängen. Bei einer anhaltenden Krise ist ein Rückfall in alte Herangehensweisen zu befürchten. Besonders radikale Neuerungen erwarte ich durch das Data Mining. Wie jede radikale Innovation beschert es uns grosse Chancen, ebenso wie grosse Risiken. Schliesslich beschäftige ich mich in einem Buchprojekt mit den Nebenwirkungen des Internets und was diese über das Unterbewusstsein von Menschen, Unternehmen und Gesellschaft sichtbar machen.

Zwei neue Studien

Die Wissensfabrik hat dieses Jahr zwei Trendstudien zur Zukunft des HRM veröffentlicht. Im Frühling erschien «Die Folgen der Digitalisierung – Neue Arbeitswelten, Wissenskulturen und Führungsverständnisse». Die Studie basiert auf 140 digital ausgefüllten Fragebögen. Im Herbst wurden für eine zweite Studie, «Die Zukunft des Arbeitsmarkts – 12 Thesen zum zukünftigen Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte», 13 Experten befragt. Beide Studien können auf www.wissensfabrik.ch/content/erzeugnisse/studien.php kostenlos heruntergeladen werden.

Video zum Thema «Herausforderungen im HR der Zukunft»

 

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