HR als Ermittler – Teil 2
Um der Lebenswelt künftiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern näher zu kommen, ist detektivischer Spürsinn gefragt. Profiling hilft, Kandidaten sichtbar zu machen. Wer weiss, wo sich die Zielgruppe aufhält und auf welche Muster sie reagiert, kann seine Arbeitgeberkommunikation zielgenauer und passgenauer ausrichten. Wie das aussehen kann, zeigt der zweite Teil von «HR als Ermittler».
Kandidaten identifizieren, aufspüren und gewinnen: Ein Fall für HR. (Bild: 123RF)
Candidate Profiling sollte künftig im Personalmarketing prozessual mitgedacht werden. Das Ziel ist die Antwort auf die Frage: Wo treffen wir unsere kritischen Zielgruppen? Durch standardisierte interne Befragungen lassen sich für Arbeitgeber Verhalten und Vorlieben von bedeutsamen Bewerberzielgruppen ermitteln.
Eine Erkenntnis kann sein, dass sich potenzielle Versicherungsmathematiker gerne Star-Wars-Filme ansehen oder die Absolventen von MINT-Studiengängen z.B. bevorzugt Internetportale für Campingbedarf aufsuchen. Damit ist der Anker für eine zielgruppengerichtete und zugleich passgenaue Kommunikation gesetzt. Die Erkenntnisse aus dem Candidate Profiling lassen sich so in den unterschiedlichsten Kanälen nutzen: für das Medienformat oder die Tonality, für den Ort der Imagewerbung. Profiling hilft, die «Sichtbarkeit» von Kandidaten zu erhöhen. Wer weiss, wo sich die Zielgruppe aufhält und auf welche Muster sie reagiert, kann seine Arbeitgeber- kommunikation zielgenauer und passgenauer ausrichten.
Vielfalt konsequent denken
Candidate Profiling ist kein Anzug von der Stange. «One fits for all» funktioniert nicht, weil sowohl die Bewerber als auch die Unternehmen per se höchst heterogen sind. Es bedarf einer unternehmensspezifischen und auf das Anforderungsprofil abgestimmten Agenda bei Mitarbeiterinterviews, die vorzugsweise in der Onboarding-Phase zu führen sind, weil in dieser Phase die Mitarbeiter in der Regel spontan – und damit authentisch – antworten.
Anders denken und fragen. Also: Welche Medien nutzen Lkw-Fahrer? Welche Idole haben Schüler? Was treiben Biochemiker in ihrer Freizeit? Nach welchen Präferenzen bewerben sich Frauen über 40? Wie denken Studienabbrecher? Danach fragen Candidate-Profiler mit der klaren Absicht, künftig die differenzierte Zielgruppenkommunikation mit Bewerbern und Talenten differenzierter auszurichten.
Unter dem grossen Dach der Arbeitgebermarke ist zudem reichlich Platz für viele zielgruppenspezifische Ausprägungen der Arbeitgebermarke. Deshalb zeigt auch das Modell «Employer Branding» heute gewisse semantische Verschleisserscheinungen. Das Mantra von dem einen Brand muss neu gedacht werden. Hier führt uns das Modell der «Employer Reputation» weiter: Es gibt einen «guten Ruf» als Arbeitgeber, aber unterschiedliche HR- und Zielgruppen-Sub-Brands, die synergetisch parallel existieren. Das Denken in Sub-Brands trägt dem Umstand Rechnung, dass HR der zunehmenden Vielfalt adäquat begegnen muss – die Methode des Candidate Profilings hilft dabei.
Handlungsfelder abdecken
Sobald die Auswertungen und Interpretationen aus dem Prozess des Candidate Profilings vorliegen, werden sich Kommunikations- und Rekrutierungsverantwortliche den folgenden Aufgaben zuwenden müssen: Themen und Inhalte, Botschaften und Claims, Visionen und Werte, Bildwelten und Visuals, Formate und Medien, Stil und Tonality. Wenn Interviews zum Beispiel ergeben haben, dass «Vertriebler» gerne nach Wacken zum Open Air fahren, warum soll dann nicht ein Unternehmen eben dort als Sponsor auftreten und sich bei der Zielgruppe «Vertriebler» als potenzieller Arbeitgeber ins Bewusstsein rücken? «Creative Recruiting» könnte man das nennen – auf Grundlage des Candidate Profilings.
Ist das Generationencluster also tot? War das Recruiting in den vergangenen Jahren vielleicht damit auf dem falschen Dampfer unterwegs? Die Fragen seien zumindest erlaubt, denn wir haben gesehen, dass wir immer wieder an Grenzen stossen und die Schwierigkeiten zunehmen, zukunftskritische Positionen in Unternehmen zeitnah zu besetzen. HR soll agieren wie ein mutiger Entdecker mit einem «kriminalistischen Gespür» für Kandidaten, die man in deren – manchmal verborgenen – Lebenswelt direkt abholen muss.
Menschen gehen Wege
Human Resources tut gut daran, den Weg mitzugehen, den Menschen tatsächlich gehen. HR soll dort sein, wo das Leben sich abspielt – deutlich näher dran an den Kandidaten. Vielleicht hat es was, wenn Berater vom «Mythos Fachkräftemangel» reden? Vielleicht nutzen wir einfach oft nur die falschen Zugänge zu den Zielgruppen? Candidate Profiling zeigt uns einen Weg, die präferierten, potenziellen Bewerber zu identifizieren und diese dann auch kommunikativ zu erreichen. In der Konsequenz dessen, was «Profiling» für Arbeitgeber und deren Suchstrategien bedeutet, wird sich das Recruiting künftig stark verändern.
HR als Ermittler – Teil 1
Kandidaten und Talente finden und dort abholen, wo sie sich aufhalten. Ein Fall für Human Resources. Doch mit einer Schablone wird die Suche scheitern. Um die geeigneten künftigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden, muss HR deren Lebenswelt näherkommen und zum Ermittler werden.