Sie haben herausgefunden, dass es wichtig ist, mit den Vorgesetzten über Probleme zu sprechen. Worin besteht im Wesentlichen die von Ihnen empfohlene Vertrauenskultur?
Ein Drittel der Befragten gibt an, dass sie bei ihrem Arbeitgeber nicht offen Probleme ansprechen können, sei es aus Angst vor negativen Konsequenzen, sei es weil man die Beziehung zu anderen nicht gefährden will und/oder weil man meint, dass es eh nichts nützen würde. Vertrauen führt dazu, dass sich Beschäftigte persönlich sicher genug fühlen, um das Risiko einzugehen, sich durch Offenheit verletzlich zu machen. Zu einer solchen Vertrauenskultur gehört, dass man sich konsistent und vorhersehbar verhält, einander fair behandelt, Treu und Glauben voraussetzt und offen und ehrlich ist miteinander.
Sie fordern Offenheit – und meinen damit auch, Arbeitnehmer sollten mangelnde Kompetenzen von Kolleginnen und Kollegen melden. Wie verträgt sich eine so verstandene Offenheit mit einer Vertrauenskultur?
Tatsächlich besteht der am häufigsten genannte Grund, nicht über mangelnde Kompetenzen anderer zu sprechen, darin, dass man die Zusammenarbeit mit Arbeitskolleginnen und -kollegen und mit Vorgesetzten nicht gefährden will.
Das Ansprechen von mangelnden Kompetenzen Anderer wird als besonders schwierig beurteilt, ebenso die Thematisierung von firmenpolitischen Problemen, von Lohn, Missbrauch und Belästigung am Arbeitsplatz. Offenheit steht nicht im Widerspruch zu Vertrauen, sondern Offenheit bedingt Vertrauen. Ohne Vertrauen in Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen, ohne Vertrauen in Organisationen, Strukturen und Prozesse gibt es tatsächlich rationale Gründe, bestimmte Probleme nicht anzusprechen. Offenheit wird gefördert, wenn man sich sicher fühlt und ins Unternehmen eingebunden ist.
Was können Arbeitgeber tun, damit sich Beschäftigte nicht eigennützig verhalten?
Wir haben festgestellt, dass Beschäftigte mit variablen, leistungsabhängigen Gehaltsanteilen wie zum Beispiel Boni weniger geneigt sind, auf organisatorische Schwächen ihrer Arbeitsumgebung hinzuweisen als Arbeitnehmende, deren Lohn nicht direkt von ihrer Arbeitsleistung abhängt, die also einen Fixlohn erhalten. Leistungsabhängige Lohnsysteme haben also ihre Schattenseiten. Ein hohes Vertrauen in den Arbeitgeber und die Möglichkeit, mit Vorgesetzten offen über Probleme sprechen zu können, führen umgekehrt dazu, dass sich Beschäftigte seltener fehlverhalten.
Fühlen sich Schweizer Beschäftigte bei ihrer Arbeit wohl?
Ja. Drei Viertel sind mit ihrer Arbeit und mit ihrer Laufbahn zufrieden. Die eigene Arbeitstätigkeit wird mehrheitlich positiv erlebt. Sieht man allerdings genau hin, gibt es Warnzeichen. So hat die Zahl der Resignierten leicht zugenommen, und knapp 40 Prozent der Beschäftigten denken zumindest teilweise über eine Kündigung nach.
Wenn die Zahl der Unzufriedenen langsam, aber stetig zunimmt, steigt damit auch das Fehlverhalten?
Unzufriedene Menschen ohne arbeitsmarktliche Alternativen und ohne erfüllende Perspektiven sind gefährlich für ihr Umfeld, für die Unternehmen und für die Gesellschaft.
Wie meinen Sie das?
Diese Menschen sehen keine Perspektiven, sie versauern und sind unzufrieden. Häufig können oder wollen sie sich nicht woanders bewerben, weil ihr Ausbildungsstand das nicht erlaubt. Es kann dazu kommen, dass diese Personen gegen die Firma agieren, sprich: stehlen oder andere Mitarbeiter demotivieren.
Interview: Marita Fuchs, Redaktorin UZH News
Das HR-Barometer 2012
Die wissenschaftliche Studie erfasst, wie Beschäftigte in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Erhoben werden dazu Themen wie Karriereorientierungen, Personalentwicklung und Organisation des HRM, psychologischer Vertrag, Arbeitsflexibilisierung, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmarktfähigkeit. Die Studie wird von Prof. Gudela Grote, Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und von Prof. Bruno Staffelbach, Inhaber des Lehrstuhls Human Resource Management an der Universität Zürich, regelmässig herausgegeben.
Die Grundlage des HR-Barometers 2012 bildet eine Befragung von 1483 Beschäftigten basierend auf dem Stichprobenregister des Bundesamtes für Statistik. Die Befragung fand zwischen Juni und August 2012 in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz statt. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Schwerpunktthema Fehlverhalten und Courage.
Der HR-Barometer 2012 entstand mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds.
Angaben zum Jahrbuch
Der komplette Bericht zur Studie steht hier zum Download zur Verfügung.
Gudela Grote, Bruno Staffelbach (Hrsg.): Schweizer HR-Barometer 2012: Fehlverhalten und Courage. Zürich 2012. Universität Zürich und ETH Zürich. ISBN 978-3-033-03729-8.