Ich bin dann mal weg: Die Generation Y will alles auf einmal und nimmt es sich
Sie sind selbstbewusst, zielstrebig und wissen, was sie wollen: ein flexibles Arbeitsumfeld, in dem sie zu ihren Bedingungen arbeiten können. Denn wenn ihnen etwas nicht passt, stellen sie auch kurzfristig mal alles auf den Kopf. Unternehmen müssen den Vorstellungen der jungen Generation ein Stück weit entgegenkommen, wenn sie gute Arbeitskräfte gewinnen wollen.
Die Generation Y ist viel ich-bezogenger und achtet sehr darauf, ihre Work-Life Balance im Lot zu halten.
Ein halbes Jahr arbeiten, ein halbes Jahr reisen. Mal die Vorzüge des Alltags geniessen, um dann wieder komplett auszubrechen und den Trott hinter sich zu lassen. Ein Leben zwischen Sicherheit und Abenteuer. Diesen eher ausgefallenen Lifestyle leben zwei junge Männer: Sie teilen einen Job, eine Wohnung und im Prinzip das ganze Leben – und sehen sich dabei praktisch nie. Denn wenn der eine arbeitet, reist der andere um die Welt und umgekehrt. Sie kommen immer nur für sechs Monate nach Hause, um die finanziellen Reserven wieder aufzutanken, und sind dann auch schon wieder weg.
Ein aussergewöhnliches Beispiel und doch exemplarisch für die Generation der jungen Arbeitnehmer. Denn die, so scheint es, will alles auf einmal: Sicherheit durch einen Job mit gutem Einkommen und Aufstiegschance auf der einen Seite, Abenteuer und Abwechslung auf der anderen Seite. Und sie nimmt sich das, wonach ihr gerade der Sinn steht. Denn im Mittelpunkt steht das eigene Ich.
Nicht Geld, sondern Zeit ist der grösste Engpassfaktor
Eine aktuelle Studie der US-amerikanischen Unternehmensberatung Lee Hecht Harrison nimmt die so genannten Millennials oder die Generation Y unter die Lupe: Sie sind zirka 1978 geboren, mit relativem Wohlstand gross geworden und haben ein enormes Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Nicht Geld, sondern Zeit ist für sie der grösste Engpassfaktor. Aus diesem Grund fordern sie von ihren Arbeitgebern vor allem ein flexibles Arbeitsumfeld – eines, in dem sie zu ihren eigenen Bedingungen arbeiten können und das es ihnen erlaubt, Arbeit und Leben unter einen Hut zu bekommen. Denn ihre Möglichkeiten sind quasi unendlich.
Das bestätigt Hans Schwerzmann, der in Zürich eine Praxis für Laufbahnberatung hat: «Es gibt heute sehr viele Optionen für junge Menschen, die es vor 50 Jahren noch nicht gab. Bedingt durch die materielle Sicherheit können junge Leute heute mehr ausprobieren. Sie haben noch keine Familie, ihre Jugendlichkeit macht sie flexibel, ihr Bewegungsspielraum ist grösser.» Zudem sei es heute notwendig, viele Erfahrungen zu machen und seine Möglichkeiten auszuloten, denn Flexibilität werde umgekehrt ebenso auch von Seiten der Betriebe erwartet.
Auch die Juristin Susanne Schwarz* will alles: eine Karriere und genügend Zeit, die Welt zu erkunden. Gerade sitzt sie wieder auf gepackten Koffern: «Zuerst geht es nach Moskau, dann mit der Transsibirischen Eisenbahn über die Mongolei nach China und von dort einmal quer durch Südostasien.» Mindestens sieben Monate will sie mit ihrem Freund durch die Welt reisen. «Vielleicht auch ein ganzes Jahr, kommt drauf an, wie lange das Geld reicht», erzählt Schwarz.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Juristin Job, Wohnung, Freunde und den Alltag hinter sich lässt. Vor zwei Jahren hatte sie schon einmal eine Auszeit eingelegt und war sechs Monate lang durch Mittel- und Südamerika gereist. «Das Leben geht so schnell und ich will nicht zurückblicken und sagen: ‹So, jetzt hab ich 20 Jahre lang nur gearbeitet.› Ich will im Jetzt leben und meine Träume verwirklichen», erklärt die Juristin. Ihren Arbeitgeber, die ÖKK, hatte sie zumindest beim ersten Mal auf ihrer Seite. Sie konnte fünf Monate unbezahlten Urlaub nehmen. Für ihre neue Reise hat Schwarz nun aber gekündigt: «Noch einmal hätten sie das nicht so locker gesehen», meint die Juristin. Um ihre Zukunft macht sie sich dennoch keine Gedanken: «Ich werde vielleicht nicht gleich auf Anhieb den perfekten Job finden, der zu meinen Qualifikationen passt. Aber dann arbeite ich eben erst mal temporär. Ich habe auch kein Problem damit, vorübergehend in einer Bar oder in einem Restaurant zu arbeiten und dann in Ruhe einen Job zu suchen, der mir gefällt.»
Flexibilität und Neugier sind auch in Unternehmen gefragt
«Was auffällt bei der so genannten Generation Y, ist, dass diese zwar bereit ist, viel in den Job zu investieren, aber auch längere Phasen will, in denen sie ihren privaten Bedürfnissen nachgehen kann», sagt Stephan Peterhans, Territory HC Leader bei PricewaterhouseCoopers. Dem versuche man mit Jahresarbeitszeit, Teilzeit oder unbezahlten Urlauben nachzukommen.
Auch beim Versicherer AXA Winterthur sind es tendenziell eher junge Leute, die eine Auszeit nehmen. Bis zu sechs Monate unbezahlten Urlaub gewährt das Unternehmen.Roswitha Korte, Leiterin Recruiting bei AXA Winterthur, findet, dass die junge Generation ichbezogener und konsequenter ist und neue Pläne schneller in die Realität umsetzt. «Die Bewerber heute sind viel ehrlicher und transparenter in Bezug auf ihre Lebensentwürfe. Die sagen: ‹Ich mach das mal für ein, zwei Jahre, dann sehe ich weiter.›» Lebensläufe mit Unterbrechungen sieht sie entspannt: «Ich finde es gut, wenn jemand so flexibel und neugierig ist, sich auf etwas Neues einstellen kann. Das ist ja auch bei uns im Unternehmen gefragt. Und in den Jugendjahren soll man sich austoben. Das sind die Lehr- und Wanderjahre», sagt Korte lachend.
Der Leiter HR-Consulting** eines internationalen Beratungsunternehmens ist über derart viel Wanderlust in seinem Unternehmen nicht begeistert. Ein Nachwuchstalent, das gerade zwei Jahre lang in der Firma arbeitete, verabschiedete sich dann spontan nach Australien: zum Surfen. «Wir haben im Team sehr viel Zeit und Energie zur Einarbeitung dieses Young Talents investiert und müssen jetzt sehen, dass alles umsonst war.» Auch der CEO** eines Unternehmens im Kanton Schaffhausen hat in Bezug auf die jüngeren Arbeitnehmer im Produktionsbereich seine Bedenken: «Die haben selten den Willen, Dinge richtig gut zu machen. Man muss ihnen ständig Druck machen und sie viel mehr kontrollieren.» Seiner Ansicht nach ist diese Generation so verwöhnt, dass sie sich nicht bemüht und keine Verantwortung mehr übernehmen möchte. «Die sind weniger willens, Probleme anzupacken und sie selbst zu lösen.»
Firmen in Europa müssen auf die neuen Arbeitskräfte reagieren
Doch die Unternehmen müssen sich auf diesen neuen Typ Arbeitnehmer einstellen. Schon heute gehören der Studie von Lee Hecht Harrison zufolge 21 Prozent der Beschäftigten zur Generation Y. In Europa wollen 91 Prozent der Geschäftsführer die Unterschiede in der Arbeitsweise erkannt haben, 73 Prozent haben sich nach eigenen Angaben darauf eingestellt, so eine Studie von Forrester Consulting aus dem Jahr 2006, in der 1250 Geschäftsleitungsmitglieder in 16 europäischen Ländern befragt wurden. In der Schweiz sagen gar 78 Prozent, sie hätten auf die kommende Arbeitskräftegeneration reagiert.
Nach Ansicht von Korte ist es geboten, auf die Arbeitnehmer zuzugehen und ihren Wünschen im Rahmen der Möglichkeiten zu entsprechen: «Wenn die Unternehmen intelligent sind, versuchen sie sich heute schon so zu positionieren, dass sie für attraktive Arbeitnehmer der Employer of choice sind. Wenn sich der Arbeitnehmer respektiert fühlt, setzt er sich auch ganz anders für sein Unternehmen ein.»
- * Um Nachteile bei der Jobsuche zu vermeiden, möchte sie ihren richtigen Namen lieber nicht gedruckt sehen.
- ** Er möchte ebenfalls nicht namentlich genannt werden.