Porträt

«Ich habe vierzig Autobahnen im Kopf, auf denen die Projekte dahinsausen»

Als Kind wollte sie Astronautin werden, später jobbte sie als Model. Heute ist Sita Mazumder Wirtschaftswissenschaftlerin, Professorin, Unternehmerin und Eventmanagerin. Für ein Gebiet entscheiden kann und will sie sich nicht. Denn das wäre, als würde sie andere Teile abschneiden. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Karriere.

Wäre sie ein Mann, könnte man Sita Mazumder Hansdampf nennen, Tausendsassa oder Teufelskerl. Ist es nicht symptomatisch, dass unsere Sprache für umtriebige, temperamentvolle und vielseitig interessierte Frauen keine eigene Bezeichnung kennt? Die Sprache spiegelt die Realität, und in der werden bei Frauen noch immer nur die Mühe und das Bemühen, nicht aber der Wille zum Erfolg, die Cleverness und das Selbstbewusstsein anerkennend kommentiert. Wer will schon ein «fleissiges Lieschen» sein? Auf Sita Mazumder passt der altbackene Begriff mit Sicherheit nicht. Doch sie scheint sich ohnehin nicht an solchen Schubladisierungen zu stören, bewegt sie sich doch seit Kindesbeinen ausserhalb der «Gärtchen mit Hecke drum herum», wie sie den Normlebenslauf nennt.

Zum Beweis ihrer Vielseitigkeit zählt sie am Anfang des Gesprächs schnell auf, womit sie sich gerade beschäftigt: zuerst einmal mit der Nachbereitung der dritten Women’s Finance Conference, die sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Gabrielle Wanzenried ins Leben gerufen hat und seither betreut. Am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ, das zur Hochschule Luzern – Wirtschaft gehört, vereint sie die Prinzipien der Diversity mit der Finanzwelt. «Und weil der Tag ja sonst zu langweilig wäre, bastle ich auch noch am Themengebiet Wirtschaftskriminalität.»

Doch damit nicht genug. Die Finanzprofessorin hat weitere Facetten, «buntere», wie sie sie selbst nennt. Betrieb sie während ihres Studiums schon nebenbei eine Personalvermittlungsagentur und jobbte als Model, so scheint sie auch heute mit einer einzigen Anstellung noch nicht ganz ausgefüllt. Ihren unternehmerischen Drang lebt sie deshalb seit 2005 mit ihrer Firma «purple» aus, gleichermassen Eventagentur wie Managementberatung. Könnte es sein, dass sie sich einfach nicht für ein einziges Gebiet entscheiden kann und zwischen der Finanzwelt, der Lehre, dem Lifestyle und dem Netzwerken pendelt? «Genau!», bestätigt sie strahlend, «das alles gehört einfach zu meinem Leben.» Zwar flüstere die Ökonomin in ihr manchmal mahnend, sie müsse sich stärker fokussieren, sich ganz auf eine Sache konzentrieren, doch das hiesse, andere, ebenso wichtige Teile abschneiden.

Vielleicht hat sie einfach keine Lust, zur kühlen, nüchternen Finanzspezialistin zu mutieren? Sie sei hemmungslos romantisch veranlagt, verrät sie, mag Kerzen und Lichter und freut sich wie ein Kind auf die kommende Weihnachtszeit. In einem anderen Land wäre sie wahrscheinlich «wedding planner» geworden, eine dieser umtriebigen Organisatorinnen also, die sich täglich mit rauschenden Roben, festlichen Intérieurs, Menüplänen und grossen Gruppen von Menschen in unterschiedlichen nervlichen Zuständen befassen.

Dabei ist ihr der Umgang mit Menschen nicht immer leichtgefallen. Als Kind sei sie eine Einzelgängerin gewesen, ständig mit eigenen Projekten beschäftigt. Wahrscheinlich sei sie ein nerviges Kind gewesen, mutmasst sie, nicht zuletzt, weil ihr ständig ein «Warum ist das so?» auf den Lippen lag. Ihre Eltern – der Vater ein Inder, die Mutter halb Schweizerin, halb Französin – hätten ihr sehr viel Verständnis und Geduld entgegengebracht und gleichzeitig die sozialen Spielregeln und individuellen Grenzen verdeutlicht. «Von ihnen habe ich gelernt, dass ich alles vor meinem eigenen Gewissen verantworten muss», erklärt sie den eigenen hohen Moralanspruch und setzt etwas später, zur gegenwärtigen Finanzkrise befragt, prompt zu einer Predigt an, wenn auch zu einer eher charmanten als fanatischen. Die Börse sei zum grössten Spielcasino der Welt verkommen, da müsse sich sehr viel ändern: «Die Divergenz zwischen denen, die Entscheidungen tragen, und jenen, die Verantwortung dafür übernehmen müssen, ist zu gross.» Jetzt sei der Zeitpunkt, um grundsätzliche Fragen zu klären, beispielsweise im Bereich der Vergütungen: «Was bewirken die hohen Boni und Saläre? Welche Art Leute zieht ein Unternehmen damit an?»

Das Gute an den schlechten Zeiten sei ja, freut sie sich, «dass sie uns die Chance geben, Neues zu beginnen.» Unternehmen sollten ihre Teams jetzt anders zusammensetzen und dabei noch stärker die Prinzipien der Diversity achten: «Es braucht generell mehr Frauen in den Gremien», sagt sie, «nicht weil sie besser wären, sondern weil sie anders sind, anders denken, die Dinge anders anpacken. Frauen sind risikoaverser, sie haben einen höheren Informationsbedarf, ihr Entscheidungsprozess läuft langsamer.»

Dies seien Qualitäten, die es in der Wirtschaft heute durchaus brauche. Und wie will sie die Frauen vermehrt in diese Gremien bringen? Sie zögert ein wenig und formuliert dann vorsichtig: «Bis vor einigen Jahren war ich strikt gegen Quoten und glaubte, es müsse andere Wege geben, mit denen Frauen stärker zum Zuge kämen.» Heute könne sie eine gewisse Frustration nicht verleugnen: «Es dauert alles einfach viel zu lange.» Projekte wie Women’s Finance – wo Expertinnen frauenspezifische Finanzthemen diskutieren – seien sehr wichtig, aber man müsse auch von anderen lernen, den skandinavischen Ländern etwa. «Meiner Ansicht nach müsste man in der Schweiz für eine gewisse Zeit Frauenquoten einführen und abwarten, was passiert. Wird der Markt gezwungen, arrangiert er sich in der Regel», weiss die Ökonomin. Wie sonst sollten die Nachfolgeprobleme der vielen kleinen und mittleren Unternehmen hierzulande gelöst werden? «Es geht nicht ohne Frauen – und diese bringen heute die geforderten fachlichen Kompetenzen und sogar die Leidenschaft fürs Unternehmerische mit.»

Strategische Planung verträgt sich nicht mit ihrem Lebensmotto

Wo zieht es die 38-Jährige hin? Möchte sie einmal Verwaltungsratspräsidentin der UBS werden? Diese Frage könne sie nicht klassisch beantworten, sagt sie – wenig überraschend. Schliesslich ist ihre Biografie bisher schon kein ruhiger, träger Fluss gewesen, keine aufwärts strebende Gerade zum Gipfel hin. Nachdem sie als Kind Astronautin werden wollte, hat sie zuerst einmal Informatik-Ingenieurwissenschaften studiert, dann in die Ökonomie gewechselt und unter anderem bei der UBS und der Eidgenössischen Bankenkommission gearbeitet. Am Institut für Finanzdienstleistungen in Zug sei sie «wirklich angekommen», erklärt sie. Der Arbeit an diesem Institut messe sie heute die grösste Priorität bei und setze sich voll dafür ein. An später mag sie nicht denken. «Ich möchte einfach möglichst glücklich durchs Leben gehen», fasst sie ihr Lebensmotto zusammen, und dieses Ziel vertrage sich nun einmal nicht mit einer strategischen Lebensplanung, mit dem Streben nach einem bestimmten Einkommen oder einer bestimmten Position.

Schlägt ihr mit dieser lockeren Einstellung  oft auch Neid und Missgunst entgegen? Sie wird einen Augenblick lang still. «Der Ehrgeiz, jedermanns Darling zu sein, fehlt mir», erklärt sie dann. «Wer seinen eigenen Weg geht, löst bei anderen etwas aus, das ist eine physikalische Gesetzmässigkeit: auf Aktion folgt Reaktion.» Bisher habe sie vorwiegend Unterstützung erfahren in ihrem Leben, betont sie. Anfeindungen oder unsachliche Kritik versuche sie erst einmal zu ignorieren. «Man muss auch auf die Zähne beissen können.» Hilft dies nichts, so müssen ihre Gegner damit rechnen, die temperamentvolle Seite der 153 Zentimeter grossen Sita Mazumder kennen zu lernen: «Wir Kleinen können ganz schön bellen!»

Wer mit ihr ins Gespräch kommt, tut gut daran, nicht alle Höflichkeitsregeln streng zu beachten, muss man ihr doch ab und zu ins Wort fallen, um den Redefluss zu unterbrechen. Tut man dies, trägt sie – die Hierarchien und Formalitäten ohnehin nicht liebt – dies sportlich und beantwortet mit unverminderter Begeisterung eine weitere Frage, schneidet ein neues Thema an, sprudelt einfach weiter. Bemerkenswert ist die Geschwindigkeit, in der sie nicht nur denkt, sondern offenbar alles im Leben anpackt. «Ich habe vierzig Autobahnen im Kopf, auf denen die verschiedenen Projekte in ihren verschiedenen Stadien dahinsausen», bestätigt sie lachend. Wer selbst gerade mal zwei, drei Bahnen auf die Reihe zu bekommen versucht, dem kann da vom blossen Zusehen schwindlig werden. Wie bringt sie ihr buntes Leben unter einen Hut? Sie sei extrem gut organisiert, sagt sie, und verfüge über einen gesegneten Schlaf. Ausserdem kennt sie jede Menge Tricks und Kniffe: «Ich trage zum Beispiel fast ausschliesslich und sehr gerne Schwarz. Das erspart mir morgens das Nachdenken darüber, was ich anziehen soll.» Falls ihr doch einmal langweilig werden sollte, könnte sie Workshops in Selbstmanagement geben.

Sita Mazumder

Ihr Lizenziat in Wirtschaftswissenschaften schloss Sita Mazumder 1999 an der Universität Zürich ab. Bereits ein Jahr später reichte sie ihre Dissertation «Die Sorgfalt der Schweizer Banken im Lichte der Korruptionsprävention und 
-bekämpfung» ein, die mit «summa 
cum laude» bewertet und mit dem Jahresforschungspreis der Universität Zürich ausgezeichnet wurde. Neben ihrer Ausbildung arbeitete Sita Mazumder unter anderem für UBS AG, oprandi & partner sowie Benetton. Aufenthalte führten sie an die Leonard N. Stern School of Business der New York University, an die University of the Fraser Valley und das Capilano College in Vancouver, Kanada, sowie die InHolland University in Den Haag. Heute ist Sita Mazumder Professorin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ, das zur Hochschule Luzern – Wirtschaft gehört, Stiftungsrätin der Ombudscom und führt nebenbei ihr eigenes Beratungsunternehmen «purple».

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