Im Gespräch

«Ich liebe es, um die beste Lösung 
einer Sache zu streiten»

Seine Nationalität spiele in seiner Funktion kaum eine Rolle, sagt Zhengrong Liu, HR-Leiter des deutschen Pharma-Konzerns Lanxess. Denn kulturelle Unterschiede gebe es bei internationalen Führungskräften kaum noch. Entsprechend schwer fällt es Liu, etwas typisch Chinesisches an sich zu benennen. Nur der Optimismus fehlt ihm in Deutschland manchmal.

Herr Liu, Sie haben einmal gesagt, ein bisschen mehr China könne Deutschland nicht schaden. Was kann Deutschland von China lernen?

Zhengrong Liu: Ich möchte betonen, dass ich zuallererst gesagt habe, dass China von Deutschland eine Menge lernen kann. Umgekehrt fällt mir vor allem der Optimismus ein. Der Lebensstandard in weiten Teilen Chinas liegt mehrere Dekaden hinter  jenem Deutschlands zurück. Dennoch gehört Pessimismus nicht zur Einstellung der Chinesen, obwohl sie viele Gründe hätten. Und für mich ist ein gewisser Sinn für Optimismus etwas, das eine Gesellschaft als Grundstimmung braucht.

Vermissen Sie diesen Optimismus?

(lacht) In meinem beruflichen Umfeld haben wir durch die Entwicklung der Firma in den vergangenen Jahren zum Glück allen Grund, optimistisch zu sein. In diesem Mikrokosmos vermisse ich das nicht. Aber als jemand, der sich darüber hinaus für den gesellschaftlichen Diskurs interessiert, begegnet mir doch manchmal eine etwas triste Landschaft, in der die Stärken, die Deutschland besitzt, oft nicht zum Tragen kommen. Andererseits bewundere ich aber auch den Sinn für die eigenen Schwächen. Wichtig ist wie immer eine gesunde Balance.

Was unterscheidet das HRM in China von jenem in Deutschland?

So pauschal lässt sich das schwer beantworten. Was das Personalkonzept angeht, unterscheidet sich ein gut geführtes deutsches Unternehmen mit internationaler Präsenz nur unwesentlich von einer ebensolchen chinesischen Firma. Dennoch gibt es in China heute noch eine ganze Bandbreite von Personalkonzepten, auch solche, die in Europa längst ausgestorben sind. Das hat mit der Heterogenität der Entwicklung Chinas zu tun.

Wieso braucht Lanxess einen chinesischen HR-Leiter?

Zum Glück wurde diese Frage seinerzeit nicht gestellt, denn die Antwort muss schlicht lauten: Es gibt keinen zwingenden Grund, einen Personalleiter nach Herkunft auszusuchen. Wichtig war die charakterliche Übereinstimmung mit der Neuausrichtung des Unternehmens, also eine gewisse Offenheit und Mut zu Veränderungen. Ein weiteres wichtiges Kriterium war sicher das Vertrauensverhältnis zum Vorstand, insbesondere zum CEO, und meine Qualifikation spielte auch eine Rolle – meine Nationalität aber nicht.

Was fällt Ihnen am westlichen Führungsstil auf?

Wenn Sie unter westlichem Führungsstil Merkmale wie Offenheit, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktfestigkeit oder strategisches Denken verstehen, dann versuche ich, diese in meiner Arbeit vorzuleben. Ich führe also eher westlich, und das auch bewusst, denn ich habe es nicht anders gelernt.

Sehen Sie einen Unterschied zu asiatischen Führungskräften, die nicht in Deutschland gelebt oder gearbeitet haben?

Internationale Führungskräfte aller Nationalitäten, die seit Jahren oder Jahrzehnten in diesem Umfeld arbeiten, haben den gleichen Grundwertekanon, den internationale Firmen heutzutage hochhalten. Wenn Sie im Fall von China aber einen Manager einstellen, der viele Jahre bei einem Staatsunternehmen oder einem Privatunternehmen verbracht hat und zum ersten Mal mit der so genannten westlichen Welt in Berührung kommt, dann kann man sicher gewisse Unterschiede feststellen, zum Beispiel einen autoritäreren Führungsstil oder eine weniger ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit.

Tragen Sie noch eine typisch chinesische Wesenseigenschaft in sich?

Es würde mir leichter fallen zu sagen, was mich von denjenigen unterscheidet, die in China geblieben sind und nicht in Europa studiert und gelebt haben. In der chinesischen Mentalität verwurzelt ist zum Beispiel die Bemühungen um Ausgleich, um Kompromisse, die das Gesicht des Gegenübers wahren. Das ist zwar keine spezifisch chinesische Eigenschaft, man kann sie auch überall in Europa beobachten. Aber in China wird dieser Aspekt in der Erziehung stärker betont, sodass es vielen Chinesen leichter fällt, sich instinktiv so zu verhalten.

Haben Sie kulturell bedingte Konflikte erlebt?

Ich habe viele Konflikte erlebt, das hängt auch mit meiner Funktion in dieser Firma zusammen, allerdings sind die meisten davon nicht kulturell bedingt. Jedenfalls nicht dass ich wüsste. Aber es kann auch sein, dass ich da etwas betriebsblind bin und die kulturelle Komponente dahinter nicht erkannt habe.

Wie kommen Sie mit der deutschen Streitkultur zurecht?

Ich liebe es, um die beste Lösung einer Sache zu streiten, und das habe ich nicht erst in Deutschland gelernt. Ich war auch in China schon ein bisschen aufmüpfig. Solche Menschen muss es ja auch geben, bei einer Milliarde Chinesen (lacht).

Es ist also ein Irrglaube, dass Chinesen nicht streiten können?

Jedenfalls nicht alle. Aber das Phänomen ist schon verbreitet, da haben Sie Recht.

Was fiel Ihnen an der Arbeitsweise der Deutschen auf?

Es klingt wie ein Klischee, aber es war tatsächlich die Strukturiertheit, der ganzheitliche Ansatz, dass man nicht als Erstes versucht, Löcher zu stopfen, sondern erst mal gründlich den Ursachen nachgeht. Und ich behaupte immer wieder, dass Deutschland nicht zuletzt deswegen ein so starkes Ingenieurwesen hat, das sich als Anbieter von kompletten Lösungen versteht. In Ostasien steht eher die Spontaneität, und damit auch der Wagemut, im Vordergrund, man legt erst mal los und findet die Lösung dann unterwegs.

Steht sich Deutschland mit dieser Haltung ein bisschen selbst im Weg?

(lacht) Es kommt immer auf die berühmte goldene Mitte an. Man darf beide Verhaltensweisen nicht übertreiben. Grundsätzlich finde ich es gut, der Komplexität mit einem sys-tematischen Ansatz zu begegnen. Wenn man dadurch aber die Risikobereitschaft verlernt und nur in Schubladen denkt, dann steht man sich in der Tat irgendwann selbst im Weg.

Warum übernehmen mehr indische Manager Führungspositionen in westlichen Unternehmen als chinesische Manager?

Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Einmal ist die Ausbildung der indischen Eliten deutlich kompatibler mit den westlichen Standards und Erwartungen als die vergleichbare Ausbildung chinesischer Eliten. Das liegt unter anderem am britisch geprägten Bildungssystem in Indien. Zweitens ist in China durch die Kulturrevolution eine komplette Generation ausgefallen. Und das sind die Leute, die heute überall in der Welt in grossen Unternehmen im Zenit ihrer Karriere stünden, also 50 Jahre und älter wären. Als diese damals zur Schule gingen, litten ihre chinesischen Altersgenossen gerade unter einem total dysfunktionalen Bildungssystem. Drittens begünstigt die chinesische Sozialisation nicht gerade die Entwicklung von Persönlichkeiten, die in der westlichen Unternehmenskultur gemeinhin als stark angesehen werden. Das heisst nicht, dass diese Menschen im chinesischen Kulturkreis keine starken Manager wären, aber sie bringen manchmal nicht Eigenschaften wie Konfliktfestigkeit und Streitkultur mit, die man im Westen für einen starken Manager für unersetzlich hält.

Und wie verhält es sich umgekehrt?

Umgekehrt scheitern bislang viele der vermeintlich «starken» Ausländer, die sich im hochrangigen Management in chinesischen Firmen in China versucht haben. Der Grund ist, dass die genannten Stärken, die im Westen vorrangig erwartet werden, wiederum in China nicht funktionieren. Letztendlich läuft es auf das Schlagwort Kompatibilität hinaus, und die ist zwischen China und dem Rest der Welt weniger gegeben als zwischen Indien und dem Rest der Welt. Und diese Hürde muss China nehmen, aber ich denke, es wird noch einmal zehn Jahre dauern, bis das Verhältnis zwischen indischen und chinesischen Managern auf der international Bühne angeglichen wird.

Gibt es eine gläserne Decke für Chinesen in westlichen Unternehmen?

Also bei Lanxess gibt es diese Decke offensichtlich nicht. Anderswo, glaube ich, ist es auch eher eine Frage der Eignung. Es gibt noch nicht genügend chinesische Kandidaten, die die nötige Erfahrungsbandbreite mitbringen und sich wie selbstverständlich auf internationalem Parkett bewegen können. Aber das wird sich ändern. Alles andere wäre überraschend, denn China integriert sich mit 
solch rasanter Geschwindigkeit in die Weltwirtschaft, dass Führungskräfte immer mehr Erfahrungen sammeln werden und dann auch ihren Weg in die Führungsetagen westlicher Unternehmen finden werden.

Viele Chinesen verlassen sich auf ein dicht gewebtes Netzwerk, das so genannte guan xi. Für wie wichtig halten Sie solche Netzwerke?

Die sind ja nicht spezifisch chinesisch. Bei der SPD zum Beispiel gibt es ja auch eine offizielle Gruppierung, die sich sogar die Netzwerker nennen. Solche sozialen Gefüge sind also auch der deutschen Gesellschaft nicht fremd. Aber diese Form des extrem engen Netzwerkes, des guan xi, ist in China sicher noch in vielen Segmenten wichtig, um die eigene Karriere voranzubringen. Zum Glück arbeite ich jedoch in einem anderen Umfeld und muss nicht nächtelang Mahjong spielen, um beruflich weiterzukommen. Das würde ich aus meiner Position als Personalleiter auch auf keinen Fall empfehlen ... (lacht)

Zur Person

Zhengrong Liu kam mit 22 Jahren aus Shanghai nach Köln und studierte dort Pädagogik, Politikwissenschaft und Anglistik mit Magister-Abschluss. Gleich nach dem Studium ging er zu Bayer (China) nach Peking und war dort drei Jahre lang Personalleiter. Später ging er zurück nach Shanghai und übernahm die Personalleitung von Bayer Polymers in der Region Asien-Pazifik. Seit 2004 leitet Zhengrong Liu die HR-Abteilung von Lanxess und ist für rund 14 800 Mitarbeiter weltweit verantwortlich. Der Lanxess-Konzern wurde 2005 aus dem Unternehmen Bayer heraus gegründet.

 

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