«Ich unterliege keinem Messwahn, denn nicht alles lässt sich in Zahlen pressen»
«Personalcontrolling ist eine Schimäre», sagt Markus Jordi, Leiter Human Resources bei der SBB. Denn ein finales Ziel gebe es nicht. Und auch wenn das operative wie auch das strategische Controlling bei der SBB gut etabliert ist, weiss auch Jordi nicht immer, welche Massnahmen welche Wirkungen nach sich ziehen.
Herr Jordi, vor eineinhalb Jahren hat sich das HR der SBB eine neue Strategie gegeben und das Personalcontrolling konzernweit vereinheitlicht. Sind Sie heute damit am Ziel?
Markus Jordi: Das Personalcontrolling ist eine Schimäre, damit werden wir nie fertig. Mit dem operativen Controlling ist es noch relativ einfach, dort sind die notwendigen Kennzahlen und Strukturdaten definiert und werden regelmässig an die Konzernleitung rapportiert. Aber das strategische Controlling hat kein finales Ziel: Die Strategie entwickelt sich laufend fort und wir müssen jährlich auf die neuen Bedürfnisse reagieren. Mir ist vor allem wichtig, dass wir anhand der Zahlen, die wir erheben, auf einfache Weise sehen, wie wir unterwegs sind. So können wir beispielsweise anhand der internen Besetzungsquoten erkennen, wie wir uns im Bereich Management Development verbessert haben. Wir befinden uns also in einem dauernden Annäherungsprozess. Aber fertig werden wir nie.
Wie wollen Sie künftig die Qualität des HR verbessern?
Wir sind dabei, uns mit externer Unterstützung einem umfassenden Benchmark zu unterziehen. Das ist hochkomplex, weil wir in unserer HR-Arbeit sehr viele Spezifika haben, die andere Firmen nicht haben. Unser Grundproblem ist die Gestaltung beziehungsweise Vereinheitlichung unserer HR-Prozesse: Es muss uns gelingen, mit einem gezielteren Ressourcen-Einsatz bessere Qualität in kürzerer Zeit zu erzielen. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich nur mit einem grundsätzlichen «HR-Process-Reengineering» lösen.
Muss HR seinen Wertbeitrag belegen?
HR ist in erster Linie eine Service- und Steuerungsfunktion – seien wir so ehrlich. Es ist eine Einheit, die dazu beiträgt, dass die Unternehmung ihre Strategie umsetzen und ihre Ziele erreichen kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ergo muss sichergestellt sein, dass unsere Arbeit strategiekonform, effizient und effektiv ist und sich unsere Massnahmen in das Gesamtgefüge einbinden. Aber ich meine nicht, dass wir quartalsweise den Wert unserer Arbeit nachweisen müssen. Das müssen andere Abteilungen auch nicht, und ich denke, da dürfen wir im HR ruhig auch etwas selbstbewusster sein.
Braucht es einen verbindlichen monetären Wert für das Humankapital?
Nein. Ich unterliege keinem Messwahn und bin überzeugt, dass man gewisse Dinge nicht messen kann. Themen wie Kultur, Zusammenarbeit oder soziale Interaktion lassen sich nur schwer in Zahlen pressen.
Sie haben knapp 30 000 Mitarbeiter. Ist es Ihnen nicht gerade in einem derart personalintensiven Unternehmen wichtig, zu wissen, welchen Wert die Mitarbeiter haben?
Die Kernfrage ist: Was erheben wir zu welchem Zweck? Das zu wissen, wäre schon gut. Dann steht in der Bilanz, dass unser Human Capital 12 oder 15 Milliarden wert ist. Aber was stellen wir mit diesem Wissen an? Ich habe mich ausführlich mit Modellen zum Human Capital Value beschäftigt. Aber momentan sehe ich darin keinen konkreten Nutzen.
Woran sehen Sie, ob Ihre Massnahmen Wirkung zeigen?
Die Korrelation zwischen Massnahmen und Wirkung ist leider nicht immer genau nachzuweisen. Gendermanagement ist ein gutes Beispiel. Wir haben insgesamt 14 Prozent Frauen bei der SBB, 8 Prozent im Kader. Das ist keine löbliche Grösse. Darum haben wir Massnahmen entwickelt, um das zu verbessern. In Schlüsselberufen wie dem Lokführer beispielsweise, der ja ein klassischer Bubentraum ist, arbeiten wir jetzt gezielt darauf hin, mehr Frauen zu gewinnen. Denn wenn mehr Frauen in den Zügen sitzen, hat das Signalwirkung.
Aber ob es letztlich die gezielte Ansprache war, die dazu führte, dass wir mehr weibliche Lokführer haben, oder die Tatsache, dass wir in der Öffentlichkeit als frauenfreundlich wahrgenommen werden, lässt sich kaum mehr überprüfen.
Ist es dann nicht müssig, sich damit zu beschäftigen?
Fakt ist: Unternehmen, die sich systematisch und intensiv mit der Qualität ihres Personalportfolios beschäftigen, sind erfolgreicher. Es gibt unzählige Studien, die das belegen.
Der Wirkungszusammenhang ist aber unklar: Sind sie erfolgreich, weil sie sich damit beschäftigen, oder beschäftigen sie sich intensiv, weil sie erfolgreich sind?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass bereits in der Vergangenheit viel an diesem Thema gearbeitet wurde, noch bevor man viel darüber geschrieben hatte. Wenn ich zum Beispiel vergleiche, wie bei der SBB vor Jahren junge Nachwuchskräfte gefördert wurden ... Davon können wir heute nur träumen. Damals wurden die Talentierten während 15 oder 20 Jahren gezielt aufgebaut. Davon sind wir heute wieder weit entfernt. Es ist also auch schon früher viel in diesem Bereich passiert. Heute systematisieren wir mehr und versuchen, das, was wir tun, wissenschaftlich zu basieren.
Führungsgrundsätze bleiben Papiertiger, solange die Qualität der Führung nicht gemessen und belohnt wird. Wie sehen Sie das?
Management Development ist die erste Stossrichtung unserer HR-Strategie. Dazu haben wir Kompetenzmodelle neu aufgesetzt und definiert, was uns bei der Führung wichtig ist. In der Messung sind wir allerdings noch nicht so richtig durchgedrungen. Wir erfassen zwar beispielsweise die Wirkung unseres Nachfolgemanagements und beurteilen systematisch das Qualifizierungsniveau. Zudem haben wir zum zweiten Mal ein 180°-Feedback zur Qualität der Führungsleistung des Topkaders durchgeführt. Aber die Wirkung der Führungsgrundsätze erfassen wir noch nicht. Es ist auch sehr schwer nachzuvollziehen, was davon wirklich beim einzelnen Zugbegleiter oder beim Gleisarbeiter ankommt.
Wie operationalisieren Sie die Erhebung qualitativer Faktoren?
Indem wir versuchen, sie mit quantitativen Messgrössen zu hinterlegen. Das klappt manchmal gut, aber ab und zu sind das gewagte Konstrukte.
Machen Sie ein Beispiel ...
Die Personalzufriedenheit. Die mündet letztlich in einer Kennziffer, die sich aus einer Pyramide von Einzelkennziffern zusammensetzt. Ich stelle zur Diskussion, ob sie wirklich geeignet ist, abschliessend etwas über die Zufriedenheit auszusagen. Vielmehr kann ich mir gut vorstellen, dass einzelne Aspekte wie positive oder negative Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit, Veränderungen im engen persönlichen Arbeitsumfeld oder Ähnliches die persönliche Wahrnehmung beeinflussen.
Wo sehen Sie noch Potenzial für Ihr HR-Controlling?
Das Ziel ist die lückenlose Abbildung unserer strategiebasierten Aktivitäten in einem HR-Cockpit. Vor allem würde ich mir schnellere Reaktionszeiten wünschen, damit wir zügiger sehen, wo etwas aus dem Ruder läuft. Vergangenes Jahr ist uns das zum Beispiel sehr gut gelungen: Während der Grippepandemie hatten wir das Controlling der Fehlzeiten pro Berufsgruppe mehr oder weniger tagesaktuell. Bei den relevanten Berufsgruppen haben wir immer gewusst, wo wir auf einen Engpass zusteuern, der den Betrieb gefährden könnte. Natürlich sind längst nicht alle Aspekte so unmittelbar zu steuern. Die Entwicklung unseres Frauenanteils ist zum Beispiel ein deutlich trägeres Thema.
Woran messen Sie Erfolg und Leistung in Ihrem eigenen Bereich?
Das hängt von den Funktionen ab. Bei unseren HR-Business-Partnern beispielsweise, also beim für den Kunden sichtbaren Bereich, sind wir zurzeit dabei, flächendeckend zu qualifizieren. Wir haben ein Programm aufgesetzt, an dem alle Business-Partner in diesem Jahr eine individuelle Standortbestimmung und mindestens fünf Tage eine Ausbildung machen und für sie wichtige Themen auffrischen. Ende Jahr wollen wir dann die Kunden nach ihrer Zufriedenheit befragen und so erfassen, ob sich in der Qualität der Arbeit des HR-Beraters etwas verändert hat. Aber lohnwirksam wird das vorerst nicht sein.
Markus Jordi
ist seit 2007 Leiter Human Resources bei der SBB AG und ist als Personalchef des Gesamtunternehmens für rund 30 000 Mitarbeiter verantwortlich. Zuvor war der 49-Jährige sechs Jahre lang bei der Bâloise ebenfalls als Leiter Corporate Human Resources tätig. Er absolvierte ein Jurastudium an der Universität Bern und ein Nachdiplomstudium in Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Jordi ist verheiratet und Vater von drei Kindern.