HR Today Nr. 1&2/2019: Im Gespräch

Im Kreuzfeuer

Max Göldi arbeitet für ABB in Libyen und soll dort eine Geschäftsstelle aufbauen, als er ins Visier des Gaddafi-Clans gerät und zwei Jahre lang im Land festgehalten wird. In seinem Buch «Gaddafis Rache» schildert er die Umstände seiner Gefangenschaft.

Herr Göldi, Sie haben unter anderem für ABB in Ländern wie Pakistan oder dem Irak gearbeitet. Länder, die heute politisch instabil sind. Was hat Sie dazu bewogen, dorthin zu gehen?

Max Göldi: In fremden Kulturen zu arbeiten, war für mich immer eine bereichernde Erfahrung. Zu Beginn meiner Karriere in den 80er-Jahren war ich für die damalige BBC als Ingenieur beispielsweise im Irak, in Pakistan, Saudi-Arabien, Algerien, Oman, Kenia und Ghana tätig. Dort habe ich Kommunikationsanlagen für Elektrizitätswerke in Betrieb genommen.

Später habe ich Managementfunktionen in verschiedenen Ländern ausgeübt, etwa in China, wo ich ein Joint-Venture aufgebaut habe. Mit 52 Jahren und nach zehn Jahren als Abteilungsleiter an den ABB-Standorten in Baden und Turgi habe ich 2008 eine neue Herausforderung gesucht. Mit der Stelle in Libyen bot sich die Gelegenheit, Länderchef zu werden. In dieser Funktion wurde ich auch beauftragt, in Libyen eine neue ABB-Niederlassung zu gründen und aufzubauen.

Inwieweit waren solche Probleme wie Ihre Entführung absehbar?

Zur Einschätzung der Gefahrenlage gibt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) regelmässig Reiseempfehlungen ab oder warnt davor, in bestimmte Länder zu reisen. Kritisch sind meist Krisengebiete oder Länder, in denen Unruhen herrschen. Das EDA hat damals nicht vor einer Reise nach Libyen gewarnt.

Auch bei ABB war Libyen bei der Risikoeinschätzung nicht auf dem Gefahrenradar. Das Nachbarland Algerien hingegen schon. Ich selbst habe ebenfalls keine besondere Gefahr gesehen. Diese bestand für mich höchstens darin, schwer zu erkranken oder mit dem Auto zu verunfallen und medizinisch unterversorgt zu sein, weil die medizinische Infrastruktur in Libyen eher rudimentär ist. Dass sich die diplomatischen Beziehungen zur Schweiz innert kurzer Zeit derart verschlechtern würden, war für niemanden absehbar.

Hinzuzufügen ist, dass die heutige Situation im Nahen und Mittleren Osten nicht mit derjenigen der 80er-Jahre zu vergleichen ist. Seither sind viele arabische Länder militanter geworden. Heute kann man in vielen Gebieten kaum noch gefahrlos arbeiten und leben. Im Irak zu reisen ist praktisch unmöglich geworden. Auch in Libyen sind fast alle Botschaften geschlossen. Keiner geht mehr dorthin.

Wie wurden Sie auf Ihren Aufenthalt vorbereitet?

Normalerweise durchläuft man bei ABB eine interkulturelle Schulung. Das war für mich nicht nötig, weil ich die libysche Kultur durch meine frühere Ingenieurtätigkeit kannte. Zudem war ich schon geschäftlich in Libyen gewesen. Das dortige Leben gestaltete sich vielleicht etwas schwieriger als in touristisch ausgerichteten Staaten wie Tunesien oder Ägypten – aber grundsätzlich nicht viel anders als in anderen arabischen Ländern.

Wann haben Sie den Zusammenhang zwischen Ihrer Verhaftung und der Verhaftung des Gaddafi-Sohns in Genf erkannt?

Als die Schweizer ABB-Niederlassung vier Tage nach Hannibal Gaddafis Verhaftung am 19. Juli 2008 von den libyschen Behörden geschlossen wurde, habe ich einen Zusammenhang vermutet. Nach meiner Verhaftung traf ich im Gefängnis auf andere Schweizer Geschäftsleute, die alle am selben Tag wie ich verhaftet worden waren. Das rüttelte mich wach. Allerdings realisierte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie gravierend die Situation für mich war.

Sie wurden insgesamt zwei Jahre in Libyen festgehalten. Inwiefern haben Sie sich von ABB unterstützt gefühlt?

ABB hat sich sehr für meine Freilassung eingesetzt und hat alles Mögliche unternommen, um meine Situation zu verbessern und eine diplomatische Lösung zu begünstigen. In den zwei Jahren meiner Gefangenschaft war die Konzernleitung in stetigem Kontakt mit dem EDA und ist beim Sekretariat für Wirtschaft (Seco) vorstellig geworden.

ABB hat überdies das Gespräch mit den Genfer Behörden gesucht und Vermittler engagiert, die sich für mich eingesetzt haben. Etwa den kürzlich verstorbenen Kofi Annan oder die ehemalige Frau des französischen Ex-Präsidenten Sarkozy. Letztere hatte sich für die bulgarischen Krankenschwestern eingesetzt, die vom libyschen Regime bezichtigt worden waren, Kinder mit Aids angesteckt zu haben, und deswegen acht Jahre in Libyen festgehalten wurden.

Sie wurden nach einem Schauprozess zu vier Monaten Haft verurteilt. Wie überlebt man eine solche Zeit?

Vor den Schauprozessen war ich entführt und während 53 Tagen an einem mir unbekannten Ort festgehalten worden. Während dieser Zeit hatte ich keinen Kontakt zur Aussenwelt. In einer solchen Situation fühlt man sich hilflos, man wird energielos und unkonzentriert. Selbst lesen fällt einem schwer. Mit dem fehlenden Komfort konnte ich mich hingegen arrangieren.

Schwieriger war vielmehr, dass die vier Monate Haft, die ich abzusitzen hatte, nicht in Stein gemeisselt waren. Ich konnte die Tage nicht abzählen. Der Entlassungstermin stand zwar fest, aber ob die Libyer ihr Wort halten würden, hing vom Verhandlungsfortschritt mit der Schweiz ab. Das war zermürbend. Diese Ungewissheit belastete mich am meisten.

Könnte das, was in Libyen geschah, überall passieren?

Im Prinzip überall, wo es Herrschende gibt, die sich angegriffen fühlen. Das hätte dementsprechend auch woanders geschehen können.

Haben Sie jemals daran gezweifelt, die Schweiz wiederzusehen?

Daran gezweifelt habe ich nie. Es gab aber Momente, in denen ich dachte, dass die Verhandlungen noch sehr lange andauern könnten, weil ich Parallelen zur Geschichte der bulgarischen Krankenschwestern sah, die sich fabrizierten Vorwürfen ausgesetzt sahen und erst nach acht Jahren freikamen.

Nach Ihrer Rückkehr in die Schweiz haben Sie eine fünfmonatige Arbeitspause eingelegt.

Ich wollte mir die Zeit nehmen, um wieder Tritt im Alltag zu fassen und mir zu überlegen, was ich beruflich machen will. Die ersten Wochen waren sehr ungewohnt. Denn während meiner Gefangenschaft musste ich jedes Mal klopfen, wenn ich auf die Toilette wollte, und bekam mein Essen vorgesetzt. Auf einmal musste ich wieder selbst entscheiden, wie ich meinen Tag einteile.

Es sind ganz banale Sachen, an die ich mich wieder gewöhnen musste. Von ABB habe ich in dieser Zeit verschiedene Jobangebote bekommen und mich schlussendlich für eine Marketingstelle in Japan entschieden.

Weshalb Japan?

Ich wollte mich weit weg von der Schweiz niederlassen und nicht mehr im Rampenlicht stehen. Ausserdem wollte ich keine Führungsaufgabe mehr. Meine einzige Bedingung war, dass ich in ein Land mit einem stabilen Rechtssystem gehen durfte. Die Marketingstelle kam mir deshalb gerade recht, denn in Japan kannte niemand meine Geschichte – mit Ausnahme einiger Kollegen.

Ist das Buch für Sie der Abschluss in der Verarbeitungsphase?

Die Verarbeitung eines solchen Vorfalls kann man nie ganz abschliessen. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht daran denke. Wenn ich arabisch höre, wird das Geschehene wieder präsenter, oder wenn ich am Fernsehen die vielen Flüchtlinge auf Booten sehe, denn ich hätte einer von ihnen sein können. Das Buch ist für mich sicherlich ein weiterer Schritt in der Verarbeitungsphase. Deshalb wollte ich es auch selbst schreiben.

Gaddafis Rache, Max Göldi

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Im Herbst 2008 wurde Hannibal Gaddafi, Sohn des damaligen libyschen Diktators Muammar Gaddafi, in Genf vorübergehend verhaftet. Der Vorwurf: Er und seine Frau hätten ihre Bediensteten misshandelt. Der Gaddafi-Clan sah dadurch seine Familienehre beschmutzt und begann einen Rachefeldzug gegen die Schweiz, der zwei Jahre dauern sollte. Um der Schweizer Regierung Zugeständnisse abzupressen, nahm das libysche Regime den Schweizer Max Göldi und den schweizerisch-tunesischen Doppelbürger Rachid Hamdani in Haft.

Im Buch erzählt Göldi von den Irrungen und Wirrungen, die sein Leben zur Hölle machten, von immer wieder zerstörten Hoffnungen und dem Überleben in libyschen Gefängnissen. Von Entführung, Einzelhaft, Lösegeldforderungen, Willkür und Schauprozessen. Er weiht den Leser in seine Fluchtpläne ein, erinnert sich an überforderte Beamte, schillernde Vermittler und standfeste Diplomaten. Und daran, wie es war, als er am 14. Juni 2010 in Begleitung der damaligen Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in Zürich landete.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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