Vertreter der hohen Kontextkultur hingegen drücken sich eher implizit aus und lassen damit sehr viel mehr Raum für Interpretationen ihrer Aussagen. Zur «high context culture» zählt Hall weitgehend den asiatischen und arabischen Sprachraum. Halls Erklärungsansatz dürfte einen Aha-Effekt auslösen bei Europäern, die derzeit vermehrt in China oder Indien Geschäfte machen und oftmals nicht wissen, wie sie die Aussagen ihrer Gegenüber dekodieren sollen. Seine Theorien von 1969 sind jedoch auf den heutigen Stand der fortgeschrittenen Globalisierung besonders zu relativieren. Denn ein Deutscher, der über Jahre im arabischen Raum lebt, passt sich den Kommunikationsformen seiner neuen Heimat an und ist nicht mehr unbedingt nur einem Kulturkreis zuzuordnen.
Der Soziologe Geert Hofstede, Professor an der Universität Maastricht, kategorisiert fünf Kulturdimensionen in Gegensatzpaaren:
- individualistische versus kollektivistische Gesellschaften,
- spontan agierende versus risikominimierende, planerische Gesellschaften,
- maskuline versus feminine Kulturen,
- langfristige Orientierung versus Suche nach schnellen Resultaten,
- hierarchisch versus unhierarchisch orientierte Gesellschaften.
Hofstedes Konzept ist unter www.geert-hofstede.com zu finden, wo er unter anderem detailliert einzelne Länder den jeweiligen Gegensatzpaaren zuordnet.
In Ergänzung zu beiden Theorien ist allerdings zu beachten, dass in jedem Kommunikationsaustausch zwischen Vertretern verschiedener Kulturen auch der Kontext, in dem das Gespräch stattfindet, zu analysieren ist. So finden Handlungen selten in interessen- und machtfreien Räumen statt, sondern sie stehen innerhalb eines Kontextes, der eine Vorgeschichte hat. Das ist deshalb so bedeutend, weil Interkulturalität erst dann problematisch wird, wenn es Interessen- und Meinungsverschiedenheiten gibt oder Kosten- und Zeitdruck.
Interkulturelle Trainings nur für homogene Gruppen sinnvoll
Interkulturelle Trainings schaffen zwar in zahlreichen Rollenspielen oftmals diesen Kontext, jedoch wird insbesondere in diesen Rollenspielen mit Kursteilnehmern selten berücksichtigt, dass diese Teilnehmenden individuellen Wissensbackground haben, eine starke oder eher schwache Persönlichkeit sind, zwischen 20 und 60 Jahre alt sein können, unterschiedliche Kompetenzen und verschiedene Interessen haben. Zudem spielt die Geschlechterrolle mit ein (siehe Grafik).
Wenn in einem interkulturellen Seminar beispielsweise ein älterer Amerikaner die Rolle eines US-Linienchefs einnimmt und mit dem Klischee des selbstbewussten, unverbesserlichen, führungsstarken amerikanischen Managers spielt und eine junge deutsche Seminarteilnehmerin als fiktive Global-HR-Chefin den Auftrag hat, die globale HR-Strategie für ihr Unternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt auch in den USA auszurollen, dann mag das für einen Teil der Seminarteilnehmer von Nutzen sein. Für den anderen Teil mit vielleicht längerer Managementerfahrung, höherem Alter und mehr Selbstbewusstsein hat es weniger Nutzen. Denn jeder Teilnehmende würde sich im Rollenspiel allein wegen der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen anders verhalten. Interkulturelle Trainings sind somit für heterogene Teilnehmergruppen weniger optimal.
Unterschiedliche Interpretationen trotz gleicher Kultur
Um die Komplexität interkultureller Verhaltensweisen mit einem authentischen Beispiel zu unterstreichen, folgende Geschichte aus einem Londoner Büro: Ein libanesischer Mitarbeiter sagt seiner hierarchisch gleich gestellten europäischen Kollegin auf dem Gang nach längerer Konversation mit ihr: «Sie sind ja ganz intelligent, dafür dass Sie eine Frau sind.» Die Europäerin weiss nicht recht, wie sie diese Aussage deuten soll: Entweder er meint es als echtes Kompliment, er will sie ärgern oder/und er hat keine Ahnung, was diese Aussage in Europa auslösen kann. Am kommenden Tag geht die Mitarbeiterin zu vier anderen libanesischen Mitarbeitenden im gleichen Haus. Sie alle kennen den Verursacher ihrer Verwirrung. Sie möchte deren Interpretation hören. Alle vier geben komplett unterschiedliche Tipps ab. Der eine glaubte die Geschichte gar nicht erst. Ein anderer zweifelte an der Anpassungsfähigkeit des Kollegen in London. Die dritte Person, eine libanesische Frau, war entsetzt und der Vierte meinte, dass er es nur gut meinte.
Die ernüchternde Moral dieser Geschichte ist: Menschen gleicher kultureller Herkunft scheinen Aussagen und Verhaltensweisen, die auf kulturellen Unterschieden basieren, unterschiedlich interpretieren zu können. Stereotypen über allenfalls aus westlicher Sichtweise «rückständige Libanesen» haben also wie in diesem Fall keine Chance.
Muss ein Boss immer eine Meinung haben?
Stereotype über gute Führung hingegen beinhalten oftmals, dass eine Führungsperson, die nicht gleich eine eigene Meinung über bestimmte Dinge äussert und sich somit zumindest nach aussen mit einer eigenen Wertung zurückhält, als schwach schubladisiert wird. Die Erwartungshaltung unserer westlichen Gesellschaft, dass ein Chef «immer alles weiss» und über alles eine Meinung deklarieren muss, sollte im heutigen multikulturellen Zeitalter überholt sein. Gutes interkulturelles Leadership bedeutet intensiver der wachsenden Meinungsvielfalt zuhören, gemeinsam im interkulturellen Team analysieren, um erst dann Entscheidungen zu fällen oder Meinungen offiziell zu vertreten. Das kostet Zeit.
Südafrika wurde auch nicht über Nacht eine Demokratie. Die beiden sehr unterschiedlichen südafrikanischen Staatsmänner de Klerk und Nelson Mandela, die mit einer Diversität von allein neun schwarzen Volksstämmen, Indern, Buren und anderen aus einer Diktatur eine demokratische Republik geschaffen haben, taten dies Schritt für Schritt, mit gegenseitigem Zuhören, gegenseitigem Respekt und Toleranz für die oppositionelle Seite. «Der Stolz über unsere Diversität sollte sich in unserem Bildungssystem und unseren Medien zeigen, aber wir sind noch weit davon entfernt, alle Bevölkerungsschichten gleichermassen zu integrieren», sagte de Klerk in Interlaken. Es sei ein langer schwieriger Prozess, räumte der inzwischen bald 76-Jährige ein.
Unternehmen, die mit Diversity-Programmen arbeiten, sind im Prinzip nichts anderes als demokratische Gebilde, Kleinstaaten für sich. Und der Aufbau oder die Umstrukturierung eines multikulturellen Unternehmens, in dem absolute Gleichbehandlung herrscht, braucht ebenso Zeit, Geduld und vor allem den Willen, wie der Neuaufbau einer Republik.
Diversität ausländischer Chefs in der Schweiz
Das Executive-Search-Unternehmen Guido Schilling & Partner AG hat in seiner Studie von September 2007 folgende Daten erhoben:
- Ausländische Manager sind zu 40 Prozent in den Geschäftsleitungen vertreten. Bei den SMI-Unternehmen sind es sogar 60 Prozent.
- 33 Prozent der CEOs in der Schweiz sind Ausländer. Bei den SMI-Unternehmen sind es 50 Prozent.
- 50 Prozent der 2006/07 ernannten CEOs sind Ausländer.
Diese Executives kommen gesamthaft aus 33 Ländern und aus allen fünf Kontinenten. Die grössten Gruppen darunter stellen Deutsche, Amerikaner und Franzosen. Nur die Hälfte der französischen Executives sind in der Romandie tätig. Die Tendenz der asiatischen Topmanager ist steigend. Executive Searcher Guido Schilling spricht von einem «epochalen Schritt, Nichtschweizer frisch aus dem Ausland als CEOs einzusetzen».
Die in Zürich beheimatete Guido Schilling & Partner AG untersucht jährlich die Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Unternehmen beziehungsweise deren GL-Mitglieder. Als Schweizer Unternehmen gelten dabei Firmen, die ihren Hauptsitz in der Schweiz haben. Als Kriterium für die Grösse zählt die Anzahl Mitarbeitender, welche die Firma weltweit beschäftigt. Im Sample 2007 sind 113 Unternehmen beziehungsweise 833 Führungskräfte enthalten. Laut Schilling wird sich der Trend zu einem weiter zunehmenden Anteil an ausländischen Executives in der Zukunft verstärken.
- (1) Mehr dazu in: Helga Losche, Interkulturelle Kommunikation, 2003
- (2) Edward T. Hall, The hidden Dimension, 1969 Geert Hofstede, Culture’s Consequences, 2. Aufl. 2001 Geert Hofstede, Cultures and Organizations, 2. Aufl. 2005 (dt.: Lokales Denken, globales Handeln, 3. Aufl. 2006)