«Jeder, der entlassen wird, hat ein Problem»
Manager müssen immer öfter in der Blüte ihrer Karriere gehen. Nicht wenige beanspruchen dann ein Outplacement. Warum es nicht alle schaffen, ohne Hilfe zu einem neuen Job zu kommen, erklärt Riet Grass, Gründer der Grass & Partner AG und Urgestein der Outplacement-Branche.
Riet Grass: «Früher lief ein Outplacement, bis der Kandidat eine Lösung gefunden hatte. Das ist echtes Outplacement.» (Foto: Sabine Schritt)
Herr Grass, Sie waren selbst Personalleiter bei Studer in Regensdorf und haben sich dort selbst entlassen. Hätten Sie sich da auch ein Outplacement gewünscht?
Riet Grass: Ja sehr, aber es war nicht möglich. In dieser Funktion geht man als Letzter und begünstigt vorher die anderen. Für mich hat es nicht mehr gereicht, da gegen Schluss die finanzielle Situation es nicht mehr erlaubte.
Sie haben jetzt seit bald 15 Jahren Ihre eigene Outplacement-Firma aufgebaut. Was sind die grössten Änderungen in der Branche von damals im Vergleich zu heute?
Früher kamen unsere Kunden vor allem aus dem industriellen Umfeld. Seit rund zwei Jahren ist mit Abstand die Finanzindustrie im Vordergrund. Viel wichtiger erscheint mir aber ein Blick in die Zukunft: Es gibt einige Branchen, die kurz vor gravierenden Umwälzungen stehen: Die Finanzindustrie musste ja hunderte Leute für die Regulierung einstellen. Die bringen keinen Mehrwert und kosten recht viel. Dadurch kommen die Banken bald unter Druck. Auch das Gesundheitswesen wird künftig vermehrt reduzieren müssen – und auch die Verwaltung und die Behör-den werden nicht mehr ungeschoren bleiben.
Abgesehen von den Branchen, welche Veränderungen macht Ihre Dienstleistung demnächst noch durch?
Hier sehen wir eine starke Differenzierung. Künftig werden nicht nur Kaderleute in den Genuss von Outplacement kommen, sondern praktisch alle Hierarchiestufen; von Produktion und Administration bis hin zum oberen und obersten Management. Und das macht auch Sinn: Oft wird Entlassenen ja eine Abfindung geboten. Aber Geld bringt keine Problemlösung. Die Leute brauchen einen neuen Job.
Aber nicht jeder, der freigesetzt wird, hat auch ein Problem. Manch einer macht sich sicher eine schöne Zeit mit dem Geld und findet dann ganz ohne Hilfe einen neuen Job.
Ja, das gibt es sicher auch, aber selten.
Bei Ihnen landen also die, die ein Problem haben?
Da bin ich nicht ganz einverstanden. Aber jeder, der entlassen wird, hat – ohne Ausnahme – ein Problem. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Menschen, als nicht mehr gebraucht zu werden. Plötzlich ist man niemand mehr und das ist, psychologisch betrachtet, ein riesiges Problem.
Wieso schaffen es gestandene Manager nicht, sich selbst einen neuen Job zu suchen?
Einige von ihnen haben zwölf Stunden am Tag gearbeitet und zwei wichtige Dinge vernachlässigt: das Netzwerken und die Selbstreflexion. Der CEO einer Firma in der Innerschweiz zum Beispiel sagte mir, er habe keine Zeit für etwas anderes als Arbeiten gehabt. Diese Menschen sind wie eingesperrt in ihrem Job. Dabei verlieren sie ihre Kontakte und verlernen auch, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und sich zu verkaufen.
Und landen im Ernstfall dann bei Ihnen ...
Es gibt solche, bei denen diese Probleme auftreten. Zum Teil waren sie 10 oder 15 Jahre beim gleichen Unternehmen und haben mit der Zeit nicht Schritt gehalten.
Werden Sie immer erst gerufen, wenn das Kind schon im Brunnen liegt?
Bisher ja. Aber vermehrt leisten wir jetzt auch im Voraus Hilfe dabei, sich von höheren Managern ohne Rechtsstreitigkeiten und ohne grosses Aufsehen zu trennen. Da können Unternehmen viel Geld und Ärger sparen.
Es heisst, Outplacement sei eine Art Feuerwehr für die Unternehmen, an die sie oft Verantwortung abschieben ...
Das hat wohl einen Funken Wahrheit. Die Unternehmen wollen sich schnell wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und sind froh, wenn sie solche Probleme übertragen können. Dabei geht es sicher um Einsparung von Arbeitszeit, aber sicher auch um das Delegieren von Problemen. Denn Manager auf oberem Niveau haben manchmal nicht den Mut, die Wahrheit zu sagen. Den Mitarbeitenden wird dann irgendein Grund genannt, warum sie ausscheiden müssen, aber die zugrunde liegenden persönlichen Themen werden ab und zu nicht genannt. Und wir haben dann die schwierige Aufgabe, den Betroffenen aufzuklären, damit er etwas lernen kann. Denn ein Trennungsprozess ist die grösste Chance der Persönlichkeitsentwicklung.
In den Unternehmen sitzen also lauter Feiglinge?
Nein, sicher nicht – aber einige. Der Trennungsprozess wird dann unprofessionell gemanagt, denn manche Führungskräfte sind es einfach nicht gewohnt und haben keine Erfahrung im Umgang mit Trennungen. Dafür gibt es ja auch Spezialisten.
Aber es muss sich doch auch in den Unternehmen etwas ändern. Nicht jeder kann sich mit externen Dienstleistern behelfen, wenn es ans Entlassen geht ... Bislang ist Outplacement ja bloss eine Lösung für einen Bruchteil ...
Natürlich. Es sind nicht alle Firmen gleich reif und können sich Outplacement leisten. Wir stellen allerdings fest, dass jetzt doch vermehrt Unternehmen die soziale Verantwortung stärker beachten als früher.
Was ärgert Sie am Umgang mit Trennung vonseiten der Unternehmen am meisten?
Mich beschäftigt vor allem, dass der Trend in den Unternehmen dahin geht, Trennungen so schnell und vor allem so günstig wie möglich abzuwickeln. Die Programme haben sich dementsprechend in den letzten Jahren auch verändert. Früher lief ein Outplacement, bis der Kandidat eine Lösung gefunden hatte. Es ärgert mich, wenn Unternehmen heute kleine Programme mit drei bis vier Sitzungen anbieten und das dann Outplacement nennen. Das ist nicht mehr als Kosmetik und zum Fenster rausgeworfenes Geld.
Wenn es nach Ihnen ginge, sollte es also immer eine Erfolgsgarantie geben?
Ja, das ist echtes Outplacement.
Der Begriff wird kontrovers diskutiert und einige Anbieter sprechen neuerdings gern auch von Newplacement. Was meinen Sie?
Man sollte die Dinge beim Namen nennen. Jemand wird aus der Firma herausplatziert, also «out». Alles andere ist nicht ehrlich. Stehen wir doch zu unserer Geschichte: Es heisst Outplacement.
Laut Ihrer aktuellen Studie müssen viele Manager in der Blüte ihrer Karriere gehen ...
Ja, das war für uns auch sehr überraschend. Vor zehn Jahren waren unsere Kandidaten zwischen 50 und 60. Seit circa zwei Jahren haben wir 38-Jährige am laufenden Band. Dafür hat die Zahl der über 55-Jährigen abgenommen, da übernehmen die Firmen offenbar nun mehr Verantwortung. In Zukunft wird Outplacement immer mehr altersunabhängig sein. Da werden vermehrt jene entlassen, die mit dem Tempo nicht mithalten können. Denn von den Leuten wird heute unheimlich viel verlangt.
Wie kann man dem standhalten?
Viele müssen sich von ihrem Perfektionismus verabschieden, denn der kostet zu viel Zeit. Jemand, der nach der Pareto-Regel 80:20 fährt, wird eher die Nase vorn haben. Es nützt eben nichts, besser zu sein als andere, wenn das Tempo nicht stimmt. Das Gleiche gilt für Flexibilität. Wer sich nicht umstellen kann, fällt über Nacht raus. Ich hatte vor kurzem einen Manager, der sich seit 21 Jahren nicht weitergebildet hat. Dem hab ich gesagt, dass es sehr schwer für ihn wird. Da gilt auch die Ausrede nicht, keine Zeit gehabt zu haben.
Mitarbeiter kommen Statistiken zufolge immer öfter an einen Punkt, an dem sie nicht mehr mithalten können. Braucht es vielleicht ein Umdenken in den Unternehmen?
Das ist schwierig. Wir stehen im Wettbewerb mit der Welt und der ist hart. In China sind die Menschen bereit, zwölf Stunden und mehr zu arbeiten. Und damit müssen wir uns messen. Natürlich wird es dadurch extrem schwer, Beruf, Familie und Freizeit zu vereinbaren. Aber diese Wahl muss jeder treffen: Entweder man ist voll dabei oder man arbeitet Teilzeit und macht keine Karriere. Die Mitte gibt es nicht.
Riet Grass
ist Gründer und Gesamtleiter der Grass & Partner AG mit Geschäftsstellen in Zürich, Basel, Bern, St. Gallen, Zug und Pontresina Er hat eine betriebswirtschaftliche Ausbildung FH mit ergänzendem Studium in Psychologie und Mentaltraining. Nach 20 Jahren in leitenden HR-Positionen in verschiedenen Branchen und drei Jahren bei Outplacement-Firmen hat er sein Unternehmen 1987 gegründet. Grass & Partner AG gilt als führend im Segment obere und oberste Managerstufen.