Der Erfolg ist keine Einzelleistung
Spricht sie von Unternehmenskultur, meint Albisser denn auch vor allem eins: ein starkes Teamgefühl. Den Preis «Entrepreneur 2007», mit dem sie im letzten Oktober von Ernst & Young ausgezeichnet wurde, nahm sie mit den Worten entgegen: «Mich freut dieser Preis vor allem für das Unternehmen. Allein sind Sie nichts. Sie brauchen Mitstreiter, die die gleichen Ziele verfolgen.» Nach ihrer eigenen Person befragt, wirkt Albisser im Gespräch einen Augenblick verloren, antwortet zwar willig, findet aber schnell zurück zu einem spannenderen Sachgebiet, über das zu reden es sich ihrer Meinung nach offenbar mehr lohnt. Auch in Interviews betont sie lieber die Teamleistung als ihre eigenen Erfolge: «Kein CEO kann etwas alleine erreichen. Seine Aufgabe ist es, die richtigen Leute an Bord zu nehmen – der Rest ist die Teamleistung.»
Ihr Team scheint es ihr mit einem vertrauensvollen Umgang zu danken und mit langjähriger Loyalität. Ihre engste Mitarbeiterin, Esther Tschumi, scheint auf Nachfrage selbst etwas überrascht über ihr inzwischen mehr als sechsjähriges ununterbrochenes Engagement. «In meinen Vorgängerfirmen bin ich nie so lange geblieben.» Dies, bestätigt sie, dürfe durchaus als Zeichen dafür interpretiert werden, dass die Zusammenarbeit mit ihrer Chefin selbst nach so langer Zeit immer noch spannend und befriedigend sei.
Chancengleichheit statt Quotierung
Frauen haben ohnehin guten Grund, bei CLS zu bleiben. Schliesslich verschreibt sich das Unternehmen konsequent der Chancengleichheit und setzt diese auch durch: Die Hälfte der Geschäftsleitungsmitglieder sind weiblich. Einen geschlechterpolitischen Vorteil daraus zu schlagen, liegt Albisser fern. «Reiner Zufall», beteuert sie. Quoten könne sie nichts abgewinnen, betont sie, sie sei eine leidenschaftliche Verfechterin des Prinzips «Best person in the best position». Teilzeitarbeit, Jobsharing, Telearbeit – all die Segnungen einer modernen, flexiblen Arbeitspolitik würden von Frauen und Männern gleichermassen in Anspruch genommen, selbstverständlich auch in Führungspositionen. «Es gibt sehr viele fähige Frauen im Management», gibt sich Albisser überzeugt, «man muss sie einfach arbeiten lassen.»
Konkret heisse das für sie, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Damit beide Geschlechter zumindest die Möglichkeit hätten, dieselben Erfahrungen zu machen, sei vor allem die Kinderbetreuung sicherzustellen – durch geeignete Institutionen wie Tagesschulen etwa. Albisser räumt ein, dass viele Einzellösungen im Betrieb den Koordinationsaufwand für das Personalmanagement erhöhen, geht aber auch dieses Detail mit der für sie offenbar typischen Haltung an: «Es gibt für fast alles eine Lösung.» Lösungsorientiert, visionär, spritzig, so wird sie von Bekannten beschrieben. Gefragt, was sie jüngeren Managerinnen raten würde, sagte sie einst in einem Interview: «Just dare it and do it – trau es dir zu und zieh es einfach durch.»
Durchsetzungsstarke Geschäftsfrau
Kaum vorstellbar, dass die gelernte Übersetzerin in ihrer Laufbahn auch schwierige Zeiten erfuhr, die sie bremsten oder gar zu stoppen drohten. «Doch, natürlich», betont sie und wird für einen Augenblick ungewöhnlich still. Der Nutzen der Erfahrung sei das Wissen, selbst grössere Turbulenzen letztlich überstehen zu können, sagt sie und fügt lakonisch hinzu: «Man muss auch Rückschläge einstecken können». Mit diesem Satz scheint ihre trockene Seite durch, diejenige wohl, die ihr in der Schweizer Übersetzerbranche den Ruf der «toughen Geschäftsfrau» eingetragen hat.
Wer heute mit Übersetzungen sein Geld verdienen will, muss schneller, günstiger und zuverlässiger sein als die Konkurrenz, macht Albisser unmissverständlich klar. Schliesslich stamme diese infolge der Globalisierung immer öfter aus dem kostengünstigeren Ausland, aus Deutschland oder den anderen Nachbarländern. Wer mit dem von CLS vorgegebenen Tempo nicht mithalten kann – kleine Übersetzungsbüros oder Freelancer etwa – spricht schon mal von Lohndrückerei. Die erfahrene Managerin kontert gelassen: «Den Kostendruck, der auf der Branche lastet, müssen alle mittragen.» Als untrügliches Zeichen für den aktuellen Konsolidierungsprozess, der die Branche erfasst habe, wertet sie die Tatsache, dass sich immer wieder kleinere und mittelgrosse Firmen gegenüber CLS zum Kauf anbieten.
Vitales KMU auf dem Weltmarkt
Am Morgen vor dem Gespräch mit HR Today gab die UBS ihren Rekordverlust bekannt. Eine Gefahr für eine Firma wie CLS, die mit ihren Kunden wächst? Schliesslich könnte sie auch mit ihnen schrumpfen. «Natürlich fallen weniger Übersetzungsaufträge an, wenn die Kunden aus internen Sparmassnahmen weniger Publikationen herausgeben», erklärt Albisser. Ihren unternehmerischen Auftrag verstehe sie aber so, weder ein Klumpenrisiko noch generell zu grosse Risiken einzugehen. «Wir sind ab und zu rauen Winden ausgesetzt», umschreibt die Hobby-Seglerin den Geschäftsalltag.. Dort, wo bei anderen CEOs meist angesagte Kunst im Grossformat prangt, erinnern in ihrem Büro ein paar kleine persönliche Urlaubsbilder an ruhige Gewässer und Sonnenuntergänge Ein Unternehmen wie die CLS, scheinen sie zu sagen, ist keine Bohrinsel, sondern ein wendiges Boot, das in den Wellen schwankt. Seine Hauptsache ist: unterwegs sein. CLS ist momentan sehr gut unterwegs, nicht zuletzt dank der fähigen Frau auf der Brücke – auch wenn es diese vorzieht, von Schiff und Mannschaft zu sprechen.
Doris Marty-Albisser
1959 in Luzern geboren, schloss 1985 das Übersetzerdiplom an der Zürcher Hochschule Winterthur (ehemals DOZ) ab und 1993 das Executive MBA der Universität St. Gallen. Nach einigen Jahren Übersetzungstätigkeit für Stäfa Control Systems wechselte sie zur Schweizerischen Bankgesellschaft als Projektleiterin für Sprachtechnologien und später Leiterin des Sprachendienstes. Dann arbeitete sie einige Zeit selbständig als Sprachtechnologieberaterin. 1995–97 bereitete Doris Albisser als Direktionsmitglied des Schweizerischen Bankvereins dessen Sprachendienst auf das Outsourcing vor. Seit Juli 1997 führt sie als CEO und VR-Delegierte die CLS Communication AG. Sie engagiert sich in internationalen Berufsverbänden und sitzt im Verwaltungsrat der Osec. Neben dem Segeln verbringt Doris Albisser ihre Freizeit am liebsten mit Kochen, Wandern und Tanzen. Sie spricht fünf europäische Sprachen, mit Chinesisch liebäugelt sie zurzeit noch.