HR Today Nr. 1/2023: Grenzüberschreitung

Komplexe Grenzüberschreitung

Wer Grenzgänger beschäftigt, die an ihrem Wohnsitz teilweise im Homeoffice arbeiten, muss sich mit den Rechtsvorgaben des jeweiligen Wohnsitzlandes auseinandersetzen. Wo Fallstricke lauern.

Unter Grenzgängern mit Schweizer Arbeitsvertrag gibt es viele Mitarbeitende, die kaum oder gar nicht in der Schweiz, sondern vielmehr im Homeoffice in ihrem Wohnsitzstaat arbeiten. Aufgrund der vielfältigen Regelungen in EU/EFTA werden diese Grenzgänger aktuell aber unterschiedlich behandelt. Das führt zu einer erhöhten Komplexität bezüglich Sozialversicherungsunterstellung und Quellensteuern. Aktuell betrifft das in der Schweiz 374 304 ausländische Grenzgänger (Stand 3. Quartal 2022, BFS): 63 950 aus Deutschland, 208 586 aus Frankreich, 89 742 aus Italien und 8635 aus Österreich. Mit steigender Tendenz.

Sozialversicherungen bei Homeoffice

Da die Covid Ausnahmevereinbarung mit der EU bis zum 30.6.23 verlängert wurde, bleiben Mitarbeitende bei unbeschränktem Homeoffice im Wohnsitzstaat weiter in der Schweiz sozialversichert. Vor Covid galt eine 25-Prozent-Regelung: Bei einer Homeofficetätigkeit von 25 Prozent mussten Mitarbeitende bei einer 100-Prozent-Anstellung im Wohnsitzstaat sozialversichert werden. Die EU will diese Grenze auf voraussichtlich 40 Prozent erhöhen. Anzunehmen ist, dass Grenzgänger ab dem 1.7.23, spätestens aber ab dem 1.1.24, die bei einer 100-Prozent-Anstellung bis zu 40 Prozent im Wohnsitzstaat im Homeoffice arbeiten, weiterhin in der Schweiz sozialversichert bleiben.

Bei einer Teilzeitanstellung müssten diese 40 Prozent proportional heruntergebrochen werden. So wären bei einer 50-Prozent-Anstellung maximal 20 Prozent Homeoffice im Wohnsitzstaat erlaubt. Die EU diskutiert zudem ein Optionsrecht, wie es die Grenzgänger der angrenzenden Staaten bei der Krankenversicherung kennen: Arbeiten sie nicht mehr als 40 Prozent im Homeoffice im Wohnsitzstaat, könnten die Beschäftigten zu Beginn einer Anstellung in der Schweiz wählen, in welchem Land sie sozialversichert werden möchten. Wer schon länger als Grenzgänger arbeitet, wird voraussichtlich von einer Übergangsphase profitieren. Diese neue Regelung gilt nur für Grenzgänger im Homeoffice mit Einzel-, jedoch nicht mit Mehrfachanstellung in zwei Staaten.

Sozialversicherungen bei Mehrfachanstellung

Für Mitarbeitende mit einer Mehrfachanstellung, beziehungsweise mit einer zusätzlichen Anstellung im Wohnsitzstaat, sind keine Änderungen vorgesehen. Für sie bleibt die 25-Prozent-Grenze weiterhin bestehen. Die zu erwartende neue EU-Regelung ab 2023/2024 kann in diesem Fall nicht angewandt werden.

Beispiel: Eine Mitarbeiterin wohnt in Köln und ist dort 20 Prozent bei der Feuerwehr sowie 50 Prozent bei einem Arbeitgeber in Basel als Sachbearbeiterin angestellt, wo sie physisch vor Ort sein muss. Total arbeitet sie 70 Prozent (gesamte Anstellung) und davon 28,5 Prozent in Deutschland. Der Schweizer Arbeitgeber muss sie also in Deutschland sozialversichern. Für diese Sozialversicherungsunterstellung ist eine A1-Bestätigung aus dem Wohnsitzstaat erforderlich, welche der Schweizer Ausgleichskasse vorgewiesen werden muss, um sie von den Schweizer Sozialversicherungen zu befreien. In diesem Fall sind die deutschen Sozialversicherungen in der Schweizer Lohnabrechnung durch den Schweizer Arbeitgeber abzuziehen.

Quellensteuern

Während Sozialversicherungen in der EU einheitlich gehandhabt werden, haben viele Länder bei der Ausscheidung der Homeoffice-Tage eine eigene Regelung für Grenzgänger. Ausschliesslich im Homeoffice im Wohnsitzstaat arbeitende Angestellte mit Schweizer Arbeitsvertrag verlieren ihren Grenzgängerstatus.

Frankreich

Momentan müssen 40 Prozent Homeoffice-Anteil bei einer 100-Prozent-Anstellung im Wohnsitzstaat nicht ausgeschieden werden.

Deutschland

Bei Grenzgängern, die wöchentlich an ihren Wohnort in Deutschland zurückkehren, werden die Homeoffice-Tage im Wohnsitzstaat ausgeschieden. Das Gehalt von Grenzgängern, die täglich an ihren Wohnort zurückkehren, wird bei einer 100-Prozent-Anstellung pauschal mit 4,5 Prozent beim Schweizer Arbeitgeber quellenbesteuert.

Italien

Ab 1.2.23 müssen Homeoffice-Tage in Italien bei den Schweizer Quellensteuern ausgeschieden und in Italien besteuert werden.

Österreich

Zwischen der Schweiz und Österreich gab es nie eine Covid Ausnahmevereinbarung. Das bedeutet, dass Homeoffice-Tage schon während Covid in Österreich ausgeschieden werden mussten.

Prozess Quellensteuern

Arbeitgebende müssen sich entscheiden, ob sie Homeoffice-Tage aufzeichnen und je nach Wohnsitzland ausscheiden oder das gesamte Einkommen ihrer Mitarbeitenden bei der Quelle in der Schweiz besteuern. Die zweite Variante ist für Arbeitgebende einfacher und weniger arbeitsaufwendig. Sie kann aber zulasten der Arbeitnehmenden ausfallen, da sie in Folge zur Doppelbesteuerung der Homeoffice-Tage in der Schweiz und im Wohnsitzstaat führen könnte.

Die betroffenen Mitarbeitenden können die Schweizer Quellensteuern bei einer Doppelbesteuerung jedoch zurückfordern. Dafür müssen sie bis am 31. März des Folgejahres einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Steuerbehörde am Sitz des Arbeitgebers oder bei wöchentlichen Grenzgängern am Schweizer Wohnort stellen. Sollte der Steuerbescheid des Wohnsitzlandes bis Ende März des Folgejahres nicht vorliegen, können die Unterlagen (G Bewilligung, Lohnausweis, Kalendarium*) trotzdem bis 31.3. eingereicht werden, damit der Fall beim Quellensteueramt eröffnet wird. Der Steuerbescheid vom Wohnsitzstaat kann bis spätestens einen Monat nach Erhalt nachgereicht werden.

Betriebsstätten-Risiko im Ausland

Nach dem OECD-Musterabkommen (MK) 2017 zur Auslegung von DBA (Doppelbesteuerungsabkommen) kann eine «Homeoffice-Betriebsstätte» in Form einer festen Geschäfts­einrichtung vorliegen, wenn das Homeoffice regelmässig und dauerhaft vom Arbeitnehmenden für die Unternehmenstätigkeit genutzt und die Tätigkeit auf Verlangen des Arbeitgebers im Homeoffice ausgeübt wird. Dann ist davon auszugehen, dass das Homeoffice dem Unternehmen zur Verfügung steht und die für eine Betriebsstätten-Begründung erforderliche Verfügungsmacht gegeben ist. Kann der Arbeitnehmende im Unternehmen jedoch einen Arbeitsplatz nutzen, liegt nach Ansicht der OECD auch bei seiner Verrichtung der Arbeit im Homeoffice keine Verfügungsmacht des Arbeitgebers über das Homeoffice vor, da dieser die Nutzung des Homeoffice nicht verlangt. (Quelle: Handelskammerjournal).

Folgende Massnahmen können das Betriebsstätten-Risiko minimieren:

  • Betroffene Mitarbeitende müssen einen Arbeitsplatz in der Firma haben. Der primäre Arbeitsplatz muss im Arbeitsvertrag festgehalten werden.
  • Homeoffice kann als Möglichkeit im Arbeitsvertrag festgehalten werden.
  • Die Arbeitgebenden dürfen keine Verfügungsmacht über das Homeoffice, das Büro am Wohnsitz, haben.
  • Die Arbeitgebenden sollten keine Kosten für das Homeoffice im Ausland tragen.
  • Arbeitstätigkeiten im Ausland wie Managementfunktionen und Unterschrift von Verträgen sollten vermieden werden. Bei Unsicherheit, ob eine Betriebsstätte begründet wird, kann in vielen Ländern vom lokalen Steueramt eine Bestätigung anhand der entsprechenden Stellenbeschreibung eingeholt werden.

Zusammenfassung und Empfehlung

Arbeitgebende, die Homeoffice im Ausland anhand anzuwendender Ausnahmevereinbarungen gewähren, sind eher reaktiv unterwegs. Jene, die eigene Richtlinien zum Homeoffice im Ausland herausgeben, sind unabhängiger von verschiedenen Weisungen der Länder. Manche Firmen mit vielen Grenzgängern gewähren heute bei einer 100-Prozent-Anstellung maximal 40 Prozent Homeoffice im Wohnsitzstaat, verbieten eine Mehrfachanstellung oder gewähren diese nur in Ausnahmefällen. Zudem lassen sie den gesamten Lohn in der Schweiz quellenbesteuern. Für jeden Grenzgänger sollte ein gültiges A1 im Personaldossier abgelegt werden, ausser bei jenen, die ausschliesslich im Wohnsitzstaat arbeiten und nie in die Schweiz kommen.

* Kalender nach OECD-Richtlinien, in dem Auslandtage aufgeführt werden. Für die Steuerbehörden muss dieser vom Arbeitnehmenden und vom Arbeitgebenden unterzeichnet werden.

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Dagmar Richardson ist Inhaberin und ­Geschäftsführerin der International HR Services AG und ­unterstützt Firmen bei kürzeren oder längeren Arbeits­einsätzen im In- und Ausland. Zudem ist sie unter anderem für die ZGP und die ZHAW als Referentin tätig.

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