Könnte die HR-Abteilung des Unternehmens X per Mausklick erkennen, welche Kosten ein ungelöster Konflikt verursacht, wäre der Nutzen für die Führungsebene gross. Denn eine transparente Darstellung aller Konfliktkosten würde es ermöglichen, den Konflikt für einmal aus einer ökonomischen Perspektive zu betrachten und zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt die Klärung aus wirtschaftlicher Sicht notwendig wird. Finanzielle Argumente haben gemeinhin eine hohe Durchschlagskraft und können ein aktives Konfliktmanagement begünstigen.
Der Schaden kann in die Millionen gehen
Ist es überhaupt möglich, sämtliche Folgekosten von Konflikten zu erfassen und zu berechnen? Dieser Frage haben sich in den letzten Jahren mehrere Studien gewidmet, auch diejenigen der international tätigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen PWC (Konfliktmanagement als Instrument wertorientierter Unternehmensführung, 2013, S. 32 ff.) und KPMG (Best Practice Konflikt(kosten)-Management 2012, Konfliktkostenstudie 2009).
KPMG lancierte bereits 2009 die bislang grösste Umfrage zum Thema Konfliktkosten. 111 Industrieunternehmen aus Deutschland und der Schweiz nahmen daran teil. Der internationale Wirtschaftsprüfer hat herausgefunden, dass bei Unternehmen allgemein ein grosser Informationsmangel über die eigenen Konfliktkosten herrscht.
Aufgrund der KPMG-Studie ist davon auszugehen, dass bei Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitenden jährliche Konfliktkosten zwischen 120 000 Franken und 600 000 Franken anfallen. Diese könnten mit einigen Massnahmen jedoch um 25 bis 50 Prozent reduziert werden. Fallen in einem Unternehmen mit 300 Mitarbeitern jährliche Konfliktkosten von über 1 000 000 Franken an, beträgt das Einsparungspotential 250 000 bis 500 000 Franken. Die Investition von 50 000 Franken in ein präventives Konfliktmanagement wird sich in einem solchen Unternehmen lohnen, da der Return on Investment bei mindestens 500 Prozent liegt. Ist der Fokus neben der reinen Kostenersparnis auch darauf gerichtet, wie das kreative Potenzial von Konflikten ein Unternehmen positiv beeinflussen kann, wird ein noch höherer Return on Investment erzielt.
Der Konfliktkostenrechner
Aufgrund des Bedarfs, Konfliktkosten besser zu erfassen, hat Oliver Ahrens im Rahmen seiner Abschlussarbeit zum Wirtschaftsmediator 2012 einen Konfliktkostenrechner (www.reconciliare.de) entwickelt, der sich insbesondere auf die Studie von KPMG stützt. Der Rechner soll Unternehmen helfen, die eigenen Konfliktkosten systematisch zu erfassen und führt die Anwender durch die sieben häufigsten möglichen Konfliktauswirkungen (Mitarbeiterwechsel, Krankheit und Fehlzeiten, Schaden am Betrieb, Kundenfluktuation, Teamprobleme, Prozessprobleme, Sanktionen). Der Konfliktkostenrechner hilft, die Kosten zu erfassen, die potenziell anfallen, und unterscheidet zwischen Sachkosten, vergeblich aufgewendeten Personalkosten und Opportunitätskosten.
Im Folgenden sollen die Kosten des Konflikts – wie er sich im besagten Unternehmen X mit rund 3000 Mitarbeitenden abgespielt hat – erfasst werden. Die einzelnen Kosten wurden gemeinsam von drei involvierten Führungskräften ermittelt, wobei konservativ geschätzt wurde.
Ohne Anspruch auf eine Frankengenauigkeit zeigt der Konfliktkostenrechner auf, in welcher Grössenordnung sich die Kosten des Konflikts bewegen. Es wird sofort ersichtlich, welche Kosten besonders hoch sind und ob es sich um Sach- oder Personalkosten handelt.
Letztere wären noch höher, wenn der Konfliktkostenrechner den Effizienzverlust der beiden neuen Mitarbeiter in deren Einarbeitungsphase berücksichtigen würde. Zudem fehlt eine Rubrik für entgangene Einsparungen. Bei diesen handelt es sich um Opportunitätskosten, die im Beispiel gerade besonders hoch sind (rund 1 000 000 Franken). Das Fehlen dieser zwei wichtigen Kostenarten zeigt klar, dass die heutige Version des Konfliktkostenrechners noch Entwicklungspotenzial hat.
Positive Rückmeldungen
Die bisherigen Anwender schätzen es sehr, dass durch diese systematische Überprüfung das Bewusstsein für versteckte Kosten geschärft wird. Es wird auch sofort sichtbar, in welchem Verhältnis mögliche Interventionskosten, beispielsweise für eine Mediation, zu den bisher angefallenen Konfliktkosten stehen. Dies gibt Aufschluss darüber, ab welchem Zeitpunkt eine Intervention sinnvoll und wirtschaftlich notwendig wird.
Unternehmen, die die Kosten aller Konflikte – nicht nur die der eskalierten – während eines Jahres erfassen, erhalten zudem einen Überblick über die jährlichen Kosten. So wird beleuchtet, in welchen Geschäftsbereichen die Kosten von Konflikten besonders hoch ausfallen. Das ist insbesondere für das Risikomanagement des Unternehmens von grossem Interesse. Dieses identifiziert, schätzt und überwacht die relevanten Risiken.
Die PWC-Studie vom vergangenen Jahr enthält deshalb die Empfehlung, das Konfliktmanagement mit dem Risikomanagement zu verzahnen. Die Studie hebt auch hervor, dass das im Konfliktkostenrechner vorgegebene Schätzverfahren methodisch zu einer Objektivierung beitrage. Auch der Autor der KPMG-Studie bezeichnet den Konfliktkostenrechner als ausgereiftes technisches Hilfsmittel, um die Konfliktkosten sichtbar zu machen (Mediation aktuell, Konfliktkosten 2.0 – mit dem Konfliktkostenrechner zur Konfliktkompetenz, Dr. A. Insam, C. Fischer, 4.6.2013).
Kein Allheilmittel
Ein Konfliktkostenrechner ist sicherlich kein Allheilmittel gegen Reibungsverluste in Unternehmen. Er lädt die Anwender aber ein, den Konflikt für einmal aus einer wirtschaftlichen Perspektive zu betrachten und das so präzise wie möglich. Führungskräfte und vor allem auch Mitarbeiter der HR-Abteilungen sind mithilfe des Rechners in der Lage, ihr Bauchgefühl in Zahlen auszudrücken. Dies bedeutet unweigerlich eine Stärkung der HR-Mitarbeitenden, da diese ihre Argumente nun auch wirtschaftlich untermauern und damit einen Mehrwert für das Unternehmen schaffen können.
Wer erkennt, welche Auswirkungen ungelöste Konflikte auf ein Unternehmen haben, weiss auch, dass eine positive Konfliktkultur nicht nur die Konfliktkosten reduziert, sondern die Wertschöpfung eines Unternehmens steigert. Sie erhöht die Zufriedenheit der Mitarbeiter und schlägt sich in einer höheren Leistungsbereitschaft nieder. Zudem fühlen sich zufriedene Mitarbeiter emotional stärker an das Unternehmen gebunden.