HR Today Nr. 1&2/2021: Debatte

Lernende für Hilfsjobs einsetzen?

Kaffeekochen, kopieren, einkaufen gehen: Zählen diese Hilfsjobs bereits zu den «berufsfremden ­Arbeiten» oder nicht? Was kann einem Lernenden zugemutet werden? Eine Debatte.

Janis Lorenzo, KV-Lernender, HR Campus AG: «Meine Tätigkeit ist kein Hilfsjob, sondern Teil des Stellenprofils.»

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Ich heisse Janis, bin 17 Jahre alt und absolviere seit dem 19. August 2019 die kaufmännische Lehre bei HR Campus in Dübendorf. Während meiner Lehrzeit durchlaufe ich verschiedene Abteilungen – vom Empfang zum Marketing übers HR zum Sales bis hin zur Finanz- und Lohnbuchhaltung. Als Lernender habe ich beobachtet, dass wir häufig verschiedene Aufgaben von anderen Mitarbeitenden übernehmen, die sich in dieser Zeit anderen Aufgaben widmen können. Wir erleichtern somit den Mitarbeitenden den Geschäftsalltag. Demnach ist meine Tätigkeit kein Hilfsjob, sondern ein Teil des Stellenprofils. Etwas, das einfach gemacht werden muss. Zu Beginn meiner Lehre hörte ich einige Male: «Das kann ja unser Lernender machen.» Ich habe jedoch rasch verstanden, dass das nicht so ernst gemeint war, sondern als Witz. Trotzdem habe ich schon einige Hilfsjobs erledigt, beispielsweise während meiner Zeit am Empfang. Dort fragte ich die Gäste jeweils, ob sie etwas trinken möchten, und habe ihnen Kaffee oder Wasser serviert. Später in der Marketingabteilung habe ich den Bestand der Werbemittel im Keller gezählt, da dies die anderen Mitarbeitenden aufgrund eines Zeitmangels aufgeschoben hatten. Das Beständezählen im Keller langweilte mich mit der Zeit etwas, da ich an diesen Tagen so gut wie nichts anderes machte und mir die Abwechslung fehlte. Für eine Marketingaktion faltete ich zudem einmal 100 Origami-Kraniche. Zu Beginn machte mir das Spass, mit der Zeit wurde es jedoch eintönig. Hier stellt sich die Frage, ob alle Arbeiten immer einen Bezug zum Lehrberuf haben sollten. Wenn ich heute darüber nachdenke, ist es so, dass all diese Tätigkeiten Teil der jeweiligen Abteilungsaufgaben waren. Hätte ich sie nicht erledigt, hätte es jemand anderer aus dem Team gemacht. Ich finde es toll, wenn ich meine Kolleginnen und Kollegen unterstützen kann, und schätze daher einen gesunden Mix von Hilfs- und anderen Aufgaben. Denn ich möchte während meiner Lehre möglichst viel lernen und mich entwickeln.

Rebecca Isenegger, Rechtsanwältin, Wicki Partners AG: «Sofern Vorbereitungs- und Aufräumarbeiten einen beruflichen Zusammenhang haben, handelt es sich nicht um berufsfremde Arbeiten.»

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Die Besonderheit eines Lehrverhältnisses besteht in der Aus­bildungspflicht des Arbeitgebenden. Die zugewiesene Arbeit an ­lernende Personen begrenzt sich dabei grundsätzlich auf ausbildungsrelevante Inhalte und umfasst drei Teilbereiche: die ­Ausbildungsarbeit, die Berufsarbeit sowie die nichtberufliche ­Arbeit. Die Ausbildungsarbeit dient ausschliesslich dem Erlernen berufsspezifischer Fähigkeiten ohne konkreten Nutzen für den Arbeitgebenden. Die Berufsarbeit umfasst Arbeiten, die nicht primär dem Ausbildungszweck dienen. Und bei der nichtberuflichen Arbeit muss mindestens ein Zusammenhang zum erlernenden Beruf bestehen. Berufsfremde Arbeit darf Lernenden indes nicht zugewiesen werden. Sofern also Vorbereitungs- und Aufräumarbeiten einen beruflichen Zusammenhang haben, handelt es sich nicht um berufsfremde Arbeiten. Vorausgesetzt also, es liegt ein beruflicher Zusammenhang vor, sind Auto waschen, Werkzeuge putzen oder Abfalleimer leeren Bestandteile der Arbeit und somit Inhalt eines Lehrverhältnisses wie die eigentliche Ausbildungs­arbeit. Besteht die Lehre allerdings nur aus solchen Arbeiten, sollte der Lernende den Arbeitgebenden schriftlich abmahnen. Hilft das nicht weiter, kann rechtliche Unterstützung beigezogen werden. Kann die lernende Person die Grundausbildung aufgrund einer unzulässigen Arbeitszuteilung nicht ordnungsgemäss abschliessen, hat dies eine Abmahnung durch das kantonale Bildungsamt bis hin zur Haftung auf Schadenersatz zur Folge.

Gina Brucker, Bereichsleiterin HRM, Heime Uster: «Verlange nicht etwas von einem Lernenden oder anderen Personen, was du selbst nicht machen würdest.»

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Hilfsjob? Was ist bitteschön ein Hilfsjob? In meiner Ausbildungszeit habe ich nebenher viel gejobbt, als Reinigungskraft, im Service in der Gastronomie oder im Büro. Dabei wurde das erledigt, was gerade angefallen ist. Kaffee bringen und Botengänge erledigen gehörten meist dazu. Aber ist das nun eine Hilfsarbeit, die man Lernenden nicht zumuten darf? Impliziert der Begriff «Hilfsjob» etwa, dass dieser Job weniger wert ist? Haben solche Tätigkeiten nicht auch einen gewissen Lerneffekt? Bleiben wir beim Kaffee-Beispiel. Persönlich hatte ich kein Problem damit, Kaffee zu holen, solange die Bitte respektvoll formuliert war. Das ist eine Grundhaltung, die mich bis heute begleitet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein Gast in einem Gastro­betrieb einen Kaffee bestellt oder ich meinem Chef einen Gefallen tue – von beiden darf man Respekt erwarten. Und ja, ich hole in meiner heutigen Funktion gerne mal den Kaffee, genauso wie mein Vorgesetzter das ebenfalls tut. Doch was ist jetzt ein Hilfsjob? Google hilft und verweist mich auf die Homepage des VPOD (Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste). Dort steht als Definition «berufsfremde Arbeiten». Da ist die Rede vom Putzen, Kaffeeholen und dem Erledigen von persönlichen Einkäufen für Vorgesetzte. Tätigkeiten, die ich während meinen Aushilfsjobs ausgeübt habe, ohne den Eindruck, dass mir dies persönlich geschadet hätte. Liest man den Artikel weiter, gibt der VPOD einige Anhaltspunkte für die Häufigkeit solcher Tätigkeiten: «Die Regel ist, dass du dafür nicht häufiger eingesetzt werden darfst als andere Mitarbeitende. Also auch Kopieren oder Archivieren darf demnach nicht zu oft verlangt werden.» Diese Erklärung trifft für mich den Kern: Verlange nicht etwas von einem Lernenden oder anderen Personen, was du selber nicht machen würdest. Dieser Respekt kombiniert mit «c’est le ton qui fait la musique» erlaubt es in meinen Augen, Lerndende hin und wieder zu bitten, einen Kaffee zu holen.

 

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