Lohn war nicht angemessen: Handelsreisender muss Provisionslohn-Akontobeiträge nicht zurückzahlen
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Januar 2010 (ZR 110 [2011], Seite 15 ff.).
Das Urteil
Die Klägerin richtete einem ihrer Handelsreisenden mit dem Vermerk «Abzug Vorschuss» monatliche Akontozahlungen von 4000 Franken, insgesamt 45 000 Franken, aus. Gemäss Vertrag hatte er Anspruch auf einen Provisionslohn in der Höhe von 23 Prozent des Verkaufsumsatzes. Ein zusätzlicher Fixlohn oder monatliche Akontozahlungen waren nicht vereinbart. Tatsächlich hätten dem Beklagten inklusive 13. Monatslohn und Ferienentschädigung insgesamt nur 18 227 Franken beziehungsweise monatlich 929 Franken zugestanden. Nach Abrechnung des tatsächlichen Provisionsanspruchs verlangte die Klägerin deshalb vom Beklagten die Rückzahlung von 26 773 Franken. Die Klägerin stellte sich auf den Standpunkt, dem Beklagten habe bewusst sein müssen, dass er die Akontozahlungen zurückzahlen müsse, wenn sein Provisionslohn geringer ausfallen würde, und dass es durchaus möglich gewesen wäre, einen angemessenen Provisionslohn von weit über 3000 Franken zu erzielen, wäre der Beklagte tüchtiger gewesen.
Das Obergericht ging davon aus, dass die Leistung der Akontozahlungen ohne vertragliche Grundlage erfolgt war. Da der Beklagte das Geld für seinen Lebensunterhalt aufgebraucht hat und entsprechend nicht mehr bereichert ist, entfällt eine Rückerstattungspflicht nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung.
Aber auch unter Annahme einer vertraglichen Grundlage für die Akontozahlungen wäre der Beklagte nicht rückerstattungspflichtig. Denn grundsätzlich ist es zwar erlaubt, einen Arbeitnehmer ausschliesslich durch Provisionen zu entlöhnen, allerdings muss ein Provisionslohn gemäss Art. 349a OR immer ein angemessenes Einkommen garantieren. Ein durchschnittlicher Provisionslohn von 929 Franken monatlich ist für eine Vollzeitanstellung – vorausgesetzt, der Arbeitnehmer verfügt über durchschnittliche Fähigkeiten – sicherlich nicht angemessen. Entsprechend wäre ein Verstoss gegen Art. 349a OR anzunehmen, und eine Rückerstattungspflicht würde entfallen.
Konsequenz für die Praxis
Bei der Leistung von Akontozahlungen für Provisionsansprüche ist sicherzustellen, dass eine vertragliche Grundlage besteht. Es ist davon abzuraten, aus Kulanz Akontozahlungen vorzunehmen, weil ansonsten bei einer allfälligen späteren Rückforderung die un günstigeren Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zum Zuge kommen.
Ausserdem ist die Arbeitgeberin dafür verantwortlich, dass der Arbeitnehmer ein angemessenes Entgelt erwirtschaften kann. Sobald ein Provisionslohn offensichtlich nicht angemessen ist, sollte die Arbeitgeberin von sich aus darauf aufmerksam machen; insbesondere müsste sie auch regelmässig darauf hinweisen, dass allenfalls zu viel ausbezahlte Akontozahlungen zurückerstattet werden müssen. Wenn der Provisionslohn mittel- bis langfristig nicht zu einem angemessenen Entgelt führt, sollte das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden.