Arbeitsrecht

Lohndiskriminierung

Eine Arbeitnehmerin konnte eine geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung glaubhaft machen, da ihr Nachfolger teuerungsbereinigt einen um 25 Prozent höheren Anfangslohn als sie erhalten hat. Doch gelang es dem Arbeitgeber, den Beweis zu erbringen, dass die unterschiedlichen Berufserfahrungen die Lohndifferenzen begründeten. Somit lag gemäss Bundesgericht (Urteil 4A_614/2011 vom 20. März 2012) keine Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts vor. 

Bis zum Abschluss eines gleichwertigen Jusstudiums haben die beiden Angestellten folgende Ausbildungen bzw. Arbeitserfahrungen gemacht: Die Beschwerdeführerin hat die Wirtschaftsmatura absolviert und während des Studiums 3 Jahre lang als Sachbearbeiterin im Inkasso- und Mahnwesen bei einer Immobilienverwaltung gearbeitet, während des Semesters jeweils zu 40% und in den Ferien zu 80%, was einem durchschnittlichen Pensum von ca. 50% für 3 Jahre entspricht.

Der Nachfolger hat zwei Semester Wirtschaft studiert und hat während des Jusstudiums während 10 Monaten an einem UBS-Projekt mitgearbeitet, zudem ist er während 2,5 Monaten bei der ÖKK und während zweier Sommersaisons als Bademeister tätig gewesen. Auch hat er während gut 3 Monaten im Militär als Zugführer gedient. Seine Erfahrungen aus dem UBS-Projekt sowie die administrativen Erfahrungen bei der ÖKK und die Führungserfahrung aus dem Militär hat der Nachfolger in die Stelle einbringen können, während der Beschwerdeführerin ihre Kenntnisse im Miet- sowie im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, die sie bei ihrer Tätigkeit für die Immobilienverwaltung erworben hat, zu Gute gekommen sind. Insgesamt wurden die von beiden Arbeitnehmern bis zum Studienabschluss erworbenen Arbeitserfahrungen mit Blick auf die konkrete Tätigkeit als etwa gleichwertig bewertet. 

Unterschiedliche Berufserfahrungen

Nach dem jeweiligen Studienabschluss haben die beiden Angestellten folgende Praxiserfahrungen gemacht: Die Beschwerdeführerin hat ein 5-monatiges Volontariat bei der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft absolviert und anschliessend ein 21-monatiges Volontariat in einem Anwaltsbüro. Danach hat sie sich auf die Anwaltsprüfung vorbereitet und anschliessend ihre erste feste Anstellung als Juristin bei der Beschwerdegegnerin angetreten.

Demgegenüber hat der Nachfolger ein 3-monatiges Volontariat bei der kantonalen Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung Basel-Stadt, ein 9-monatiges Praktikum beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, ein 7-monatiges Anwaltspraktikum und ein 3-monatiges Praktikum bei der Schlichtungsstelle für Mietangelegenheiten Basel-Landschaft absolviert. Zusätzlich ist er 8,5 Monate Legal Trainee bei der ABB Schweiz AG und 3 Monate bei der Cytrix Systems International GmbH gewesen. Anschliessend ist er als Legal Counsel 8 Monate für die Swissgrid AG und 13 Monate für die Daniel Swarovski Corporation AG tätig gewesen. 

Ein Gesamtvergleich der berufsspezifischen Erfahrungen nach dem Lizentiat zeigt, dass die Beschwerdeführerin 26 Monate Volontariat absolviert hat, während ihr Nachfolger insgesamt 54,5 Monate als Volontär, Legal Trainee und Legal Counsel gearbeitet hat. Ungeachtet, ob das Legal-Trainee-Programm einem Volontariat gleichzusetzen ist oder nicht, hat bei Stellenantritt die Berufserfahrung des Nachfolgers 28,5 Monate mehr als jene der Beschwerdeführerin betragen. Zudem hat der Nachfolger vor Beginn seiner Tätigkeit für die Beschwerdegegnerin bereits während insgesamt 21 Monaten als Legal Counsel in zwei internationalen Firmen gearbeitet.

Diese Erfahrung hat er bei der Beschwerdeführerin einbringen können. Die grössere Berufserfahrung des Nachfolgers stellt ein objektives Kriterium dar, das gemäss Bundesgericht einen höheren Anfangslohn gegenüber jenem der Beschwerdeführerin rechtfertigt. Abgesehen davon ist der Nachfolger bei Stellenantritt 10 Jahre älter gewesen als die Beschwerdeführerin. Diesem Kriterium kommt gemäss Bundesgericht allerdings nur zweitrangige Bedeutung zu. 

Anwaltspatent als zusätzliche Qualifikation

Die Beschwerdeführerin wollte den Umstand, dass sie nach Antritt der Stelle das Anwaltspatent erlangt hat, als wichtige Qualifikation berücksichtigt haben. Die Beschwerdegegnerin erachtete das Anwaltspatent zwar als eine gute Zusatzausbildung, jedoch nicht als unabdingbare und verwertbare zusätzliche Qualifikation für die zu erbringende Arbeit. Gemäss Bundesgericht legt eine grössere Gewichtung der praktischen Erfahrung im Beruf keine Geschlechtsdiskriminierung nahe, auch wenn die Erlangung des Anwaltspatents der Beschwerdegegnerin zum Nutzen gereichte. Insoweit ist keine Rechtsverletzung auszumachen.

Keine Expertise zur Gleichwertigkeit der Arbeit im Betrieb

Die Beschwerdeführerin machte zudem geltend, um ein beweiskräftiges Ergebnis zu erlangen, seien drei bis fünf Vergleichsmöglichkeiten erforderlich. Eine einzige Vergleichsperson des andern Geschlechts reiche zwar aus, um eine geschlechtsbezogene Diskriminierung durch eine Lohndifferenz trotz vergleichbarer Position glaubhaft zu machen, nicht aber für den der Arbeitgeberin obliegenden vollen Beweis der fehlenden Diskriminierung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Gericht gemäss dem Untersuchungsgrundsatz im Einzelfall zu prüfen, ob ein zur Rechtfertigung eines Lohnunterschiedes angerufenes objektives Kriterium tatsächlich der Grund für die Ungleichbehandlung bildete. Dieser Nachweis ergibt sich, wenn für eine ganze Berufsgruppe eine Einstufungsregelung existiert, am ehesten aus der Betrachtung der Gesamtpraxis, weshalb grundsätzlich alle Angestellten mit der gleichen Tätigkeit in die Abklärung einzubeziehen sind.

Ein vollständiger Vergleich der Löhne der Arbeitnehmenden mit gleicher Arbeit ist aber hinreichend, wenn sich daraus klar ergibt, dass für Angestellte beiden Geschlechts gleiche Lohnkriterien gelten. In diesem Fall darf der Nachweis der Lohngleichheit als erbracht erachtet werden, ohne dass mittels Expertise gleichwertige Arbeit im Betrieb zu ermitteln und zum Vergleich heranzuziehen ist. Die Beschwerdeführerin brachte nicht vor, dass neben ihr und ihrem Nachfolger weitere Arbeitnehmer in gleicher Stellung in derselben Abteilung tätig gewesen wären, deren Löhne zur Erweiterung der Vergleichsbasis hätten dienen müssen, und sie behauptete nicht, dass in der von ihr versehenen Position typischerweise, das heisst statistisch markant überwiegend, Frauen tätig sind. Gemäss Bundesgericht hat demnach die Vorinstanz ihre Untersuchungspflicht nicht verletzt, wenn sie keine Expertise zur Gleichwertigkeit der Arbeit der Verkaufsleiter oder anderer Angestellter der Managementstufe einholte.

  • Dieser Text entstammt der Publikation «Arbeitsrecht» Nr. 160 des Centre Patronal.
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Peter Schüpbach, lic. iur., ist verantwortlicher Redaktor der Publikation «Arbeitsrecht» des Centre Patronal.