Lohnunterschiede

Lohndiskriminierung beginnt bei der Rekrutierung

Bewusste oder unbewusste Lohndiskriminierung liegt vor, wenn Lohnunterschiede nicht plausibel erklärt werden können. Häufig nimmt sie ihren Anfang schon im Bewerbungsprozess. Über Wahrnehmungsverzerrungen, Lohnverhandlungen und was sich im Recruiting dringend ändern muss.

Neu müssen Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden die Löhne von Frau und Mann auf Geschlechtergleichheit überprüfen lassen. Grund dafür ist, dass zwar zirka 60 Prozent der Lohnunterschiede aus volkswirtschaftlicher Sicht erklärbar sind, beim Rest jedoch eine Geschlechterdiskriminierung vermutet wird.

Zur Überprüfung der Löhne stellt der Bund dem Unternehmen das Standard-Analysemodell Logib gratis zur Verfügung. Dieses berücksichtigt das Ausbildungsniveau, die Dienstjahre und potentiellen Erwerbsjahre, das Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit und die Hierarchieebenen als Faktoren für legitime Lohnunterschiede – Angaben, die die meisten Unternehmen von ihren Mitarbeitenden wissen.

Wenn Lohnunterschiede aufgrund dieser und allfälliger weiterer Kriterien nicht plausibel erklärt werden können, bleibt die Vermutung, dass bewusste oder viel häufiger unbewusste Lohndiskriminierung vorliegen könnte. Stellt sich die Frage: Wie und warum entsteht sie?

Gleiches Verhalten, unterschiedliche Wahrnehmungen

Frauen und Männer unterliegen in unserer Gesellschaft unterschiedlichen Rollenerwartungen. Diese sind unter anderem geprägt durch historische und kulturelle Normen. Diese Rollenerwartungen führen dazu, dass gleiches Verhalten im Rekrutierungsprozess unterschiedlich wahrgenommen wird.

Eindrückliche Experimente, zum Beispiel der Yale University 2013 zeigten, dass gleiche Lebensläufe und sprachlich völlig identische Interview-Antworten zu einer schlechteren Einschätzung von Frauen führten. Kommuniziert eine Frau direkt, wirkt sie auf uns aggressiv. Bei einem Mann nehmen wir das gleiche Verhalten als durchsetzungsstark wahr. Kompetenzen und Belastbarkeit werden bei Frauen unbewusst häufiger angezweifelt als bei Männern. Wiedereinsteigerinnen machen hier noch pointiertere Erfahrungen. Ihnen traut man in der Regel noch weniger zu.

Wir alle unterliegen diesen Wahrnehmungsverzerrungen, sogenannten Unconscious Bias, die uns nicht wirklich bewusst sind. Bei der Beurteilung von Lebensläufen und bei Interviews sind Managerinnen und HR-Personen daher in ihrer Reflexionsfähigkeit gefordert, sonst wird aus einem Stereotyp («Frauen mit kleinen Kindern sind nicht karriereorientiert») rasch eine Diskriminierung («Frauen mit kleinen Kindern werden nicht für anspruchsvolle Führungspositionen eingestellt»). Ein Ergebnis solcher Unconscious Bias zeigt sich auch in tieferen Einstiegslöhnen.

Hinzu kommt das stereotype Bild des «Ernährers» und der «Zuverdienerin», dass selbst die junge Generation noch immer verinnerlicht hat. Wie eine Untersuchung von Andrea Maihofer zur Berufswahl junger Menschen in der Schweiz 2014 gezeigt hat, tragen diese Rollenbilder nach wie vor zu Lohnunterschieden und zu ungleichen Anstellungsbedingungen bei. Da auch Frauen von sich selbst dieses Bild haben, sind sie bei Lohnverhandlungen oft weniger konsequent. Der Vorwurf, Frauen seien an tiefen Lohnangeboten selbst schuld, scheint berechtigt.

Schlechte Lohnverhandlungen

Tatsächlich zeigt eine aktuelle Studie von Universum vom Jahr 2018, dass männliche Studienabsolventen höhere Löhne fordern als ihre weiblichen Kollegen. Im Hinblick auf Geschlechternormen wird von Frauen oftmals erwartet, dass sie sympathisch sind und an andere denken (Sandberg, 2013.).

Wenn Frauen dann für sich selbst eintreten, haben sie das Gefühl, der Geschlechternorm nicht zu entsprechen und schlechtere Karriereaussichten zu haben, weshalb sie lieber nicht über den Lohn verhandeln. Hannah Riley Bowles von der Harvard University konnte mithilfe von Experimenten nachweisen, dass Vorgesetzte eine Frau, die mehr Lohn möchte, automatisch als weniger sympathisch und ihre Ansprüche als übertrieben wahrnehmen (Hannah Riley Bowles, 2014).

Es ist also ein Balance-Akt, wie dezidiert und nachdrücklich Frauen den Lohn verhandeln sollen. Immerhin positiv zu vermerken ist, dass junge Frauen bei Lohnverhandlungen erfolgreicher sind als ältere. Mitarbeiterinnen unter 40 Jahren können die gleichen Lohnerhöhungen durchsetzen wie ihre gleichaltrigen männlichen Kollegen (Artz, Goodall & Oswald, 2016).

Zudem zeigt eine Studie der Harvard Kennedy School, dass die Lohnunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Kandidaten annähernd verschwinden, wenn sie über die Lohnbänder Bescheid wissen. Wenn also Transparenz herrscht und der Verhandlungsspielraum bekannt ist, erzielen Frauen und Männer bei Lohnverhandlungen ähnliche Resultate.

Transparenz und Sensibilisierung

Professionelle und «de-biased» Rekrutierungsprozesse können Unconscious Bias mildern. Klare und nachvollziehbare Anforderungen, getrennt nach Muss- und Nice-to-have-Kriterien, sind ein erster Schritt. Gemischte Auswahlgremien und Unconscious Bias-Trainings unterstützen ebenfalls.

Am einfachsten und kostengünstigsten ist der eigene Perspektivenwechsel. «Hätte mich diese Lohnforderung auch bei einem Mann irritiert?» oder «Hätte ich einem Mann mit gleichen Kompetenzen und Erfahrungen den gleichen Lohn angeboten wie der Bewerberin?» oder «Hätte ich einem jungen Vater den gleichen Lohn vorgeschlagen wie der jungen Mutter?». Diese und ähnliche Fragen helfen, unseren eigenen Wahrnehmungsverzerrungen auf die Spur zu kommen und gleiche Löhne schon beim Einstieg zu gewährleisten.

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Prof. Dr. Gudrun Sander ist Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Diversity Managements an der Universität St.Gallen. Sie ist Direktorin des Competence Centre for Diversity & Inclusion (CCDI) an der Forschungsstelle für Internationales Management (FIM-HSG) und Direktorin an der Executive School. Sie ist u.a. für die Management-Weiterbildung «Women Back to Business» verantwortlich und ausserdem Autorin zahlreicher Publikationen.

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Dr. Dominik Burger-Kloser ist Projektleiter am Competence Centre for Diversity & Inclusion (CCDI) der Universität St.Gallen, wo er massgeblich für quantitative Forschungsprojekte verantwortlich ist. Unter anderem leitet er das jährlich stattfindende St.Gallen Diversity Benchmarking für Banken und Versicherungen.

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