Lohnende Alternative zur Führungskarriere
Fachkarrieren bieten den Mitarbeitenden eine Alternative zur Führungslaufbahn. In wirtschaftlichen Krisenzeiten ist die Fachkarriere vor allem für grössere Unternehmen in der technischen Branche ein Instrument, um gute Fachkräfte zu pflegen und zu binden. In den KMU wird sie noch kaum angeboten.
(Illustration: uk)
Wer Karriereleiter erklimmt, investiert bald mehr Zeit in Sitzungen und Mitarbeiterqualifikationen als in die Arbeit auf seinem Fachgebiet. Eine Alternative dazu stellt die Fachkarriere dar. Mit dieser bieten Unternehmen den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich beruflich weiterzuentwickeln, ohne in das Management zu wechseln. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten legen viele Firmen besonderen Wert auf Fachkarrieren, die den Vorteil bieten, das Fachwissen zu sichern, das in Linienlaufbahnen oft verloren geht.
Besonders in Berufen, die ein hohes Mass an spezialisiertem Wissen erfordern, sind Fachkarrieren eine sinnvolle Möglichkeit, Talente zu fördern: in den Fachbereichen Ingenieurswesen, Product Management oder Forschung und Entwicklung. «Im Talent Management stellt sich die Frage, ob langfristig angelegte, hierarchisch bedingte Karriereversprechen Talente an ein Unternehmen zu binden vermögen», sagt Pamela Langenegger, wissenschaftliche Assistentin und Lehrbeauftragte am Lehrstuhl Human Resource Management des Instituts für Strategie und Unternehmensökonomik der Universität Zürich. Sie setzt sich in ihrer Forschungsarbeit zurzeit mit dem Thema Talent Management auseinander.
Das Karriereverständnis habe sich über die letzten Jahre hinweg verändert, so Pamela Langenegger. Es sei zu beobachten, dass Freizeit und Familie gegenüber karrierebedingtem Ruhm und Ansehen zunehmend stärker gewichtet würden. «Daher bieten neue Karrieremodelle wie die Fachlaufbahn eine willkommene Alternative zur klassischen Führungskarriere, um Talente an das Unternehmen zu binden, Leistungen zu fördern und Fach- oder Methodenkompetenzen zu entwickeln.»
Pamela Langenegger weist zudem auf einen Punkt hin, der in der Diskussion um Fachkarrieren oft vernachlässigt wird: «Mit Fachkarrieren ist es auch möglich, Mitarbeitende zu fordern und zu fördern, die zwar über Fachkompetenzen, nicht aber über Führungsqualitäten verfügen. Zudem bieten sie Chancen für Mitarbeitende, für die keine entsprechende hierarchisch höhere Position frei ist.»
Kleine und mittlere Unternehmen thematisieren die Frage kaum
Bei Siemens Schweiz hat die Fachlaufbahn den gleichen Stellenwert wie eine Führungslaufbahn. Die Unternehmung hat einen Förderpool für Fachlaufbahnen eingerichtet, mit dem herausragende Mitarbeitende frühzeitig erfasst, während zwei bis drei Jahren speziell gefördert und auf eine Übernahme einer Fachfunktion im Führungskreis vorbereitet werden. Zirka ein Drittel der Mitarbeiter mit Fachkarrieren sind in diesem Führungskreis vertreten und gehören somit zum Kader.
Die Fachlaufbahn umfasst stets zwischen 10 und 20 Personen. «Daran ändert sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nichts. Das Entwickeln der Mitarbeitenden in diesem Kreis ist eine dauernde Aufgabe und darf sich nicht an kurzfristigen wirtschaftlichen Schwankungen ausrichten», sagt Claudine Zuber, Verantwortliche für das Management Development bei Siemens Schweiz AG. Vielmehr gehe es darum, längerfristig absehbare Bedürfnisse festzustellen und die Mitarbeitenden daraufhin vorzubereiten. «Wir müssen die richtigen Mitarbeitenden am richtigen Ort haben. Genau diese Kombination entscheidet darüber, ob wir echte Wettbewerbsvorteile erzielen können.»
Ähnlich kling es bei Alstom. Das Unternehmen sei sich bewusst, dass die Fachkarriere und damit die Experten gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine besondere Beachtung verdienen. «Wissensmanagement braucht Wissensträger, die befreit von Linienaufgaben technische Verantwortung übernehmen können. Die Berechnung und Konstruktion unserer Produkte verlangt nach Ingenieuren, die sich über Jahre hinweg in ihr Fachgebiet vertiefen können», führt Peter Rufli aus, Chief Engineer Gas Turbines and Alstom Power Senior Expert.
Das kommt in der Regel auch den Spezialisten selbst sehr entgegen: «Die Fachkarriere bietet die Möglichkeit, im geliebten Detail zu arbeiten und dabei das Produkt in seiner Ausprägung zu beeinflussen», sagt Peter Rufli. Mit dem eigens geschaffenen Expertenprogramm, das sich an ausgezeichnete Ingenieure richtet, werden die Berufsleute nicht nur fachlich herausgefordert, sondern auch sichtbar gemacht und erhalten Anerkennung.
«Führungskarrieren gelten zwar nach wie vor als attraktiver als Fachlaufbahnen», räumt Fredy Diener ein, Leiter Talent Management bei ABB Schweiz. «Es gibt aber durchaus potenzielle Führungskräfte, die eine Fachkarriere bevorzugen, obwohl sie sich für eine Führungsaufgabe eignen würden.» Die ABB ist auf Fachlaufbahnen angewiesen, weil die Branche mit langlebigen und serviceintensiven Produkten und Anlagen zu tun hat. «Fachkarrieremodelle sind ein gutes Vehikel, um Wissen aufzubauen, zu multiplizieren und an jüngere Mitarbeitende weiterzugeben. Zudem helfen sie uns, den Mitarbeitenden bis zur Pensionierung interessante Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten», so Diener.
Klare Definitionen meist nur in grossen Unternehmen
Für Geberit ist die Wirtschaftskrise ebenfalls kein Grund, um im Bereich der Förderung der Fachkarrieren zu sparen. «Das wäre der falsche Ansatz. Es ist uns enorm wichtig, gute Fachkräfte mit interessanten Zukunftsperspektiven langfristig an das Unternehmen zu binden», bestätigt auch Gabriela Stehlin, HR-Verantwortliche bei Geberit International AG. Insbesondere in den Bereichen Entwicklung und Forschung ist die Unternehmung auf sehr gute Experten angewiesen, die es in der gesuchten Form häufig nur sehr wenig gibt. Mit dem Potentials-Management-Prozess werden daher potenzielle Führungs- und Fachkräfte eruiert und gefördert. Im Interesse, die Fachkräfte zu halten und aufzubauen, bietet Geberit darüber hinaus Entwicklungsmöglichkeiten an.
Trotz dieser scheinbar hohen Akzeptanz ergab die Salärumfrage des Berufsverbandes Swiss Engineering STV aus dem Jahr 2008, dass die Führungs- und die Fachkarriere nur von knapp einem Fünftel der Antwortenden als gleichwertig angesehen werden. Stefan Arquint, Generalsekretär bei STV, sieht einen möglichen Grund darin, dass die Unterscheidung zwischen Fach- und Führungskarrieren meistens nur in grösseren Unternehmen klar definiert und bei den Arbeitnehmenden propagiert wird. «In den vielen kleinen und mittleren Unternehmen oder spezialisierten Betrieben wird oftmals keine klare Grenze gezogen und die Frage nur wenig thematisiert.» Zudem führt die Fachlaufbahn, auch wenn sie angeboten wird, in KMU im Normalfall nicht so weit wie eine Führungslaufbahn.