«Man sollte sich im Klaren sein über die inneren Werte einer Aufgabe»
Nicht nur geradlinige Karriereverläufe führen ins Topmanagement. Susanne Kohouts Berufsbiografie zeigt, dass selbst ein Umweg über ein Südsee-Atoll zum Erfolg führen kann. Der Grundsatz der heutigen Europachefin von Ciba Vision: «Leistung ist wichtiger als Taktik und Kalkül.»
Susanne: Kohout: «Westeuropäer sind viel zu kritisch. Wir loben zu wenig.» (Bild: Zvonimir Pisonic)
Wer Susanne Kohouts Büro verlässt, hat gute Chancen, um ein paar Erkenntnisse reicher zu sein. Zum Beispiel um diese: Von allen Europäern sträuben sich die Italiener am meisten dagegen, eine Sehhilfe zu tragen – sei es eine Brille oder seien es Kontaktlinsen. Oder um diese: Farbige Linsen verkaufen sich am besten in arabischen Ländern. Und zuletzt: Ein Hotel im Inselparadies der Südsee zu führen, lehrt viel über Führung und Motivation von Mitarbeitenden.
Mut zur eigenen Art
Der Mangel an Hotelerfahrung hat sie damals nicht davon abgehalten, den geplanten dreitägigen Besuch auf der Insel Fafa im Inselstaat Tonga in einen veritablen Job umzuwandeln, im Gegenteil: «Ich hatte keine Ahnung, ob das klappen wird. Und genau deshalb hat mich diese Herausforderung so gereizt.» Die Lust am Eigensinn und das Beharren auf dem eigenen Weg dürften in ihrer Natur liegen. Während ihre Schulkameradinnen nach dem Gymnasium Lehrerinnen wurden, schrieb sich Susanne Kohout für Betriebswirtschaft ein.
Eine «Ausschluss-Wahl» nennt sie diese Entscheidung, vielleicht deshalb getroffen, weil ihr Vater über Betriebswirte schimpfte, weil diese die Grenzen so eng steckten und so wenig visionär dachten und – das wurmte den Ingenieur ganz besonders – technische Innovationen nicht zu fördern schienen. Wollte Susanne, die jüngste Tochter, es ihrem Vater zeigen? «Ich wusste nicht ganz genau, was ich wollte», erinnert sie sich, «doch die Vorstellung, eines Tages eine Unternehmung zu leiten, hat mich schon sehr früh gereizt.»
Dieses Fernziel erklärt auch ihre etwas exotisch anmutende Fächerkombination: Organisation, strategische Planung und Informatik. «Am Ende des Studiums konnte ich erst einmal gar nichts», lacht sie. Welche Berufsanfänger befassen sich schon mit strategischer Planung? Rückblickend geht die Rechnung aber auf: Gerade die Fähigkeit, strategisch zu denken und zu planen, dürfte auf dem Weg ins Topmanagement hilfreich gewesen sein. Und zumindest Procter & Gamble traute der jungen Absolventin etwas zu und engagierte sie im Brand Management.
Ihre Angewohnheit, sich den Dingen zuzuwenden, von denen andere lieber die Finger lassen, dürfte ihr auch zu jener Aufgabe verholfen haben, die ihr grösster Erfolg bei P&G wurde: die Einführung der Damenbinde «Always» in Belgien und Skandinavien. Ihre Vorgesetzten seien Männer gewesen, die sich die Komplexitäten von Damenbinden lieber gar nicht erst vorstellten. «Wenn ich am Montagmorgen in der Sitzung über Damenbinden sprechen wollte, musste ich einfach gute Argumente haben», erinnert sich Susanne Kohout. So sachkundig, wie sie heute über Tages- und Monatslinsen oder auch kosmetische Linsen spricht, wird sie damals die Fakten der Damen-Hygiene-Produkte vor den Herren ausgebreitet haben: die nationalen Eigenheiten von Damenunterhosen (amerikanische sind weniger tief eingeschnitten als europäische), die Vorlieben der Bindenträgerinnen (sie bevorzugen dünne) und ihre Ängste («Sind die sicher?»). Sie machte «Always» zum erfolgreichsten Produktstart in Europa der Konzerngeschichte.
Für ihre Marketingkarriere habe sie damals sehr viel gelernt, meint sie, «einfach durch Trial and Error». Die intensive Zeit sei beileibe nicht nur von Erfolg geprägt gewesen, doch Rückschläge gehören ihrer Meinung nach dazu: «Wer nur gute Zeiten erlebt, wird nicht richtig gut. Allzu geradlinige Karrieren führen dazu, dass zu wenig reflektiert wird.» Das Reflektieren hält sie für wichtig und rät Karrierewilligen, nicht nur den nächsten Karriereschritt im Auge zu haben, sondern immer auch die persönliche Herausforderung darin zu suchen und zu erkennen. «Es geht nicht nur darum, noch mehr Leute zu führen oder noch mehr Umsatzverantwortung zu haben. Man muss sich auch im Klaren sein über die inneren Werte eines Aufgabenbereichs.»
Auf Fafa habe sie besonders in Sachen Führungserfahrung sehr viel gelernt, erzählt Kohout. Zum Geld habe man dort, Tagesreisen weit entfernt von Städten und Dörfern, ein ganz anderes Verhältnis als in Westeuropa. In Tonga komme die Familie auf für Leute, die nicht arbeiten können, und manche Anstrengung scheint angesichts der immer drohenden Hurrikane ohnehin nicht die Mühe wert. Sie habe nie gewusst, ob der Koch, die Kellner oder die Zimmermädchen nach ihren freien Tagen zurückkehrten. «Da habe ich begriffen, dass Arbeit auch Spass machen muss.» Es galt, Wege zu finden, die Leute für die Arbeit zu begeistern – selbst wenn das hiess, Bücher über die Kunst des Serviettenfaltens aus Deutschland zu importieren. «Die jungen Kellner erwarteten von mir täglich ein neues Servietten-Kunstwerk.» Dank ihrer ansteckenden Begeisterungsfähigkeit hat Susanne Kohout den Umsatz des Resorts um 33 Prozent und dessen Gewinn um 100 Prozent gesteigert.
Konkurrenzdenken nein – Diversity ja
Die Überzeugung, dass Arbeit auch Spass machen muss, ist ihr geblieben, bis heute. «Es sind oft Kleinigkeiten, die den Unterschied machen.» Geld biete auch in unseren Breitengraden keinen nachhaltigen Anreiz, ist sie überzeugt: «Die Leute wollen primär etwas bewirken.» Sie wollen Verantwortung und ein breites Aufgabenspektrum. Als Chefin müsse sie sich deshalb mit der Persönlichkeit ihrer Mitarbeitenden auseinandersetzen, ihr Fachgebiet studieren, um herauszufinden, wofür er oder sie sich begeistern und einsetzen könne, wo die Spielräume liegen. «Als Frau hat man da einen Vorteil», glaubt sie, «wir Frauen gehen das etwas breiter an, wir sehen die optimale Balance der Wertsteigerung für die Firma und für Angestellte gleichermassen. Es ist nicht nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen.»
Konkurrenzdenken oder dem internen Wettbewerb mag sie dabei nichts abzugewinnen. Aus dem Mund der Regionaldirektorin von Ciba Vision, einer Novartis-Tochter, die weltweit über 6000 Mitarbeitende in 40 Ländern verfügt und im Kontaktlinsengeschäft weltweit führt, klingt dies überraschend. Jemand, die mit dem «Global Leader of Tomorrow»-Preis des Weltwirtschaftsforums WEF ausgezeichnet wurde, will kein bisschen ehrgeizig oder machthungrig sein? «Ehrgeizig ja», räumt sie ein, doch von Ellbogeneinsatz und Machtgehabe hält sie nichts: «Die Leistung muss überzeugen, nicht irgendwelche Spielchen.» Wer allzu taktisch denkt und sich zu stark auf die eigene Karriere konzentriert, dürfte es mit ihr nicht leicht haben.
In ihrer Führungspraxis setzt sie primär auf Coaching: «Die erste Aufgabe des Managers ist, seine Leute zu entwickeln», ist sie überzeugt. Dies gelinge, indem Chancen geboten und diejenigen Leute gefördert würden, die sie ergreifen wollten. Bei der Zusammensetzung von Teams achte sie auf kulturelle Vielfalt, weil diese den «selbstkritischen Blick auf die eigene Herkunft und Kultur» garantiere. Ein solcher sei nötig und auch befruchtend: «Westeuropäer sind viel zu kritisch», konstatiert sie und sagt bewusst «wir»: «Wir loben zu wenig. Besondere Leistungen verdienen besondere Anerkennung.»
Lieber Pendel als Balance
Dass sie selbst zu besonderen Leistungen fähig ist, hat Susanne Kohout in ihrer Karriere mehrfach bewiesen. Beitragen zu den Spitzenleistungen mag ihr höchst ungewöhnlicher Umgang mit beruflichem Stress: Wo andere durch den Wald traben oder auf Zen-Kissen ruhen, um den Kopf zu leeren und die Batterien neu zu laden, stürzt die aktive Managerin sich nach Feierabend lieber in neue Abenteuer. Während des Mergers von Ciba und Sandoz etwa, als sie ihre Zyma-Division in die neue Novartis-Tochter überführte, lernte sie fliegen und machte den Privatpilotenschein. Keine Kleinigkeit für eine, die, wie sie selbst erklärt, in technischen Dingen wenig Ahnung hat. «Das war anstrengend», bestätigt sie, «aber anders anstrengend als der Job.» Da wurde keine Energie von der Arbeit abgezogen, im Gegenteil, Stolz und Selbstvertrauen beflügelten sie.
Über schwache Nerven braucht sich Susanne Kohout offensichtlich nicht zu beklagen. Es ist auch nicht zu übersehen, dass sie gerne lebt und lacht. Als gesellig sieht sich die gebürtige Remscheiderin aber nicht, schon eher als «tough and fair». Im Gespräch am grossen Sitzungstisch in ihrem Büro wirkt sie jedoch gar nicht «tough». Kompetent ja, auch resolut und selbstsicher. Gerne traut man ihr eine bisweilen schonungslose Offenheit zu, klare Zielstrebigkeit, wo die Sache es erfordert. Als Besucher lernt man eine unverkrampfte, zugängliche Managerin kennen, die auf Förmlichkeit verzichtet und dafür ein ehrliches Interesse an ihrem Gegenüber bekundet. Die wichtigste Führungsqualität sei die Fähigkeit, zuhören zu können, hat sie irgendwann gesagt und im Gespräch mehrfach gezeigt, dass sie ihrem eigenen Anspruch genügt.
Susanne Kohout
Nach ihrem Abschluss in Betriebswirtschaft an der Universität zu Köln hat Susanne Kohout ihre Laufbahn bei Procter&Gamble im Brand Management gestartet. 1996 übernahm sie die Leitung von Zyma Deutschland, einer damaligen Ciba-Geigy-Tochter, und führte in dieser Position deren Zusammenschluss mit der Selfmedication- Abteilung von Sandoz in Novartis. Für Novartis Consumer Health leitete sie zuletzt die Global Head Marketing/Consumer Excellence. Seit 2007 ist sie Europachefin von Ciba Vision, führender Anbieter von Kontaktlinsen und Pflegemitteln. In ihrer Freizeit fliegt, segelt und taucht sie gerne. Sie träumt von einer Weltumsegelung.