Risikofaktor Personal

Management komplexer Systeme: 
Effiziente Kommunikation ist das A & O

Risiken entstehen oft durch unberechenbare Zusammenhänge. Auch das beste Risikomanagement kann daher nicht alle Eventualitäten kontrollieren. Eine zielgerichtete Kommunikation und starke Vernetzung helfen jedoch, Missverständnisse auszuräumen und Kräfte für das gemeinsame Ziel zu bündeln. Dabei spielt HR eine zentrale Rolle.

Allmählich wird es klar, was vor der Explosion auf «Deepwater Horizon» zu diesem Super-GAU in der Geschichte der Erdölindustrie geführt hat beziehungsweise nicht passiert ist. Seit Jahren hat es, wenn wir die Berichte der Überlebenden lesen, Hinweise von Experten auf ein stark erhöhtes Risiko gegeben. Die Maschinen waren veraltet, es gab immer wieder Probleme am Bohrloch und gleichzeitig Streit über das richtige Vorgehen, die Mannschaft war unruhig. Schlimmer noch: So lief es schon seit Jahren, der hoch riskante Zustand war schon fast normal. Traurigerweise ist dies praktisch dieselbe Situation, wie sie damals 
in Tschernobyl war. Solche riskanten Situationen werden immer wieder entstehen, weshalb es an der Zeit ist, dass Risikomanagement nicht nur als technisches Problem, sondern vor allem als Herausforderung an unsere höchsten menschlichen Fähigkeiten verstanden wird. Solche Katastrophen machen deutlich, dass die Verantwortlichen sehr unterschiedliche Risikoklassen managen müssen.

Risiken ausschalten macht keinen Sinn, denn Risiko bringt Fortschritt

Planungsrisiken entstehen, wenn die beteiligten Experten es nicht schaffen, ein umfassendes Verständnis für komplexe Probleme aufzubauen. Diese beinhalten neben den sachlichen immer auch soziale, kulturelle und psychologische Aspekte. Dieser Mangel wird zu einem realen Risiko, wenn die Entscheidungsfindung ähnlich unvollständig, übereilt und oft unter sachlichem oder persönlichem Druck von aussen abläuft. Die Probleme, die dann in der Bearbeitung auftreten, sind nur eine logische, sehr teure Folge. Das heisst aber auch: Katastrophales Risiko entsteht nicht in den Beteiligten, Geräten oder Abläufen, sondern in der mangelhaften Kommunikation und Interaktion zwischen ihnen. Das bringt uns zur nächsten, schwereren Risikoklasse.

Schnittstellenrisiken entstehen, wenn Kommunikation und Leadership versagen. Dann werden eventuell noch Informationen als «objektive» Daten weitergegeben, aber die tiefere Bedeutung und damit die Ziele und Bedingungen bleiben auf der Strecke. Aus Daten wird kein Handlungswissen, wenn wir mit unseren Vorgängern und Nachfolgern im Ablauf ebenso wenig kommunizieren (können oder dürfen) wie mit denen, die von den Auswirkungen indirekt betroffen sind. An diesen Bruchstellen muss aus Prozess-, Projekt- oder Risikomanagement Leadership werden. Führung in diesem Sinne denkt und handelt nicht linear und kurzatmig, sondern ist eine «Helikopterkompetenz». Damit sind wir bei der dritten, schwierigsten Risikoklasse.

Komplexitätsrisiken entstehen, weil ich nichts tun kann, was nur eine geplante Wirkung hat. In komplexen Systemen bestehen vielfache, aufdringlich starke oder hinterhältig schwache Vernetzungen und Abhängigkeiten. Die Knoten, an denen diese aufeinandertreffen, sind ausserdem noch dynamisch; sie verändern sich, obwohl ich gar nichts getan habe und ohne nach meinen Plänen zu fragen. Darüber hinaus kann ich sie nicht vollkommen verstehen; sie scheinen nach untergründigen Prinzipien zu funktionieren, die eher an Eigennutz als an Kooperation interessiert sind, jedenfalls nicht meine sind. Aus lokalen Problemen, deren Vernetzung nicht erkannt wird, entsteht eine gemeinsame Katastrophe. Von dieser kann dann danach jede beteiligte Person, aus ihrer Sicht völlig zu Recht, sagen, dass sie nichts tun konnte und auf keinen Fall verantwortlich ist.

Es ist ein erster Schritt zu wissen, wie Risiken entstehen. Was aber können wir dagegen tun? Nun kann Risikomanagement nicht heissen, dass wir versuchen sollten, alle Risiken auszuschalten. Ohne Risiko gibt es keinen Fortschritt, kein Vordringen in neue Bereiche. Allerdings brauchen wir, neben den bisherigen Massnahmen und Methoden, Kompetenzen, die über technisches Denken und Handeln hinausgehen und den unterschiedlichen Risikoklassen gerecht werden. An dieser Stelle hat HR eine zentrale Funktion.

Planungsrisiken, die sich in unklaren Aufgaben und mangelhaften Entscheidungen äussern, können durch umfassende, effiziente Kommunikation gebändigt werden. Dabei müssen wir mit unseren Grenzen und Möglichkeiten sehr bewusst, geradezu strategisch umgehen. Das Problem: Wir verfügen über viel weniger Worte, als es Tatsachen und Objekte in der Welt zu beschreiben gibt. Ich meine sicher etwas anderes, als Sie sich vorstellen, wenn ich schreibe, dass ich die Entwicklungen in Indien sehr interessant finde. Aus unterschiedlichen Bedeutungen von Dingen entstehen ungewollte Missverständnisse zwischen Kollegen. Risiken erwachsen aus den daraus folgenden, zumeist wohlgemeinten, nicht abgestimmten Entscheidungen und Handlungen. Hier gilt das 4-Ohren-Prinzip (siehe Abbildung).

Persönliche Beziehungen färben 
Fakten emotional und unbewusst

Risikokommunikation konzentriert sich nicht nur auf die Fakten, sondern klärt zuerst das Bild, das ich von mir gebe, und dann meine Beziehung zum Empfänger. Persönliche Beziehungen färben Fakten emotional und unbewusst – und damit fast unauslöschlich.  Gewichten Sie die vier Seiten so, dass die Bedeutungen durch die persönlichen und kulturellen Filter nicht blockiert oder völlig verändert werden.

Schnittstellenrisiken verlangen darüber hinaus nach einer klugen Zusammenarbeit. Hier ist es nicht die Aufgabe des Managements, die Abläufe möglichst «effizient», das heisst meist unter äusserem Druck und ohne auf Nebenwirkungen zu achten, voranzutreiben. Stattdessen sollte gerade an den potenziellen Bruchstellen die höchste Intelligenz positioniert werden mit der Aufgabe, aus Erfahrungen zu lernen, gute Go-/No-Go-Entscheidungen zu treffen und das so angehäufte Wissen anderen Risikostellen zu kommunizieren. Auf diese Weise können nicht nur einzelne Funktionen durch Risiko klüger werden; durch die vernetzte Kommunikation lernt die ganze Organisation über das reine Problemlösen hinaus. Gerade durch die reflektierte Kommunikation von Risiken entwickelt sie innovative Stärken.

Auf der Ebene von Komplexitätsrisiken muss Management, das eher mit systematischen Analysen, Planungen und Vorgaben arbeitet, durch kommunikative Leadership angeleitet und geregelt werden. Denn gegen die im Untergrund wachsenden Risiken hilft vor allem systemisches Denken. Optimales Kommunizieren und Handeln in dieser Risikoklasse geschieht durch geklärte Beziehungen, miteinander verbundene Kräfte und die Berücksichtigung von indirekten Wirkungen. Die Aufgabe des Risikomanagements ist es, die übergeordneten Strategien umzusetzen und die direkt messbaren Wirkungen zu optimieren. Risk Leadership ist transformational: Sie richtet lokale Werte, Interessen, Ressourcen und Kräfte auf ein gemeinsames Ziel aus. Dabei bezieht sie sich auf die mit der 4-Ohren-Methode interpretierten Informationen. Auf dieser Basis kommuniziert Risk Leadership empathisch («Ihr seid mir wichtig»), authentisch («So bin ich») und transparent («Das will ich»). Damit ergänzt es die operative Aktivitätensteuerung des Risikomanagements durch eine strategische Beeinflussung des gemeinsamen Kontextes mit seinen fachlichen, persönlichen und kulturellen Elementen.

Das funktionale Management ist auf die Komplexität oft nicht vorbereitet

Nun muss man aber leider etwas zugeben: Das Umgehen mit Risiken, die in dieser umfassenden Weise verstanden werden, ist komplex. Das funktionale Management ist hierauf kaum vorbereitet und trotz aller Fehlschläge oft nicht willens, sich auf diese unberechenbaren Zusammenhänge einzulassen. An dieser Stelle ist es die Aufgabe der Personal- und Weiterbildungsverantwortlichen, die traditionelle Fachausbildung des Management durch ein Risk Leadership Development zu ergänzen. Das bedeutet die miteinander verbundene Entwicklung von Management-, Leadership- und Kommunikationskompetenzen. Auf diese Weise können bzw. sollen Risiken nicht ausgeschlossen werden. Aber HR kann dafür sorgen, dass die destruktiven Folgen, die in ihnen enthalten sind, systemweit so gebändigt werden, dass die konstruktive Energie sich entfalten kann. So kann HR durch das aktive Annehmen von Risiken direkt zur Wertschöpfung beitragen.

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Prof. Dietmar Treichel leitet das 
Institut für Kommunikation & 
Führung IKF am Global Leadership Institute GLI in Luzern.

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