Milizdienst für alle?
Soll der Staat alle – also Männer, Frauen sowie niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer – verpflichten, ein Jahr gemeinnützige Arbeit zu leisten? Was spricht dafür, was dagegen? Unsere Gastautorin und unser Gastautor nehmen Stellung.
Ist es ungerecht, wenn nur Männer ins Militär müssen? Oder wäre es nicht ganz fair, wenn sich die Dienstpflicht auf Frauen und niedergelassene Ausländer ausdehnen würde? (Bild: Diego Gonzalez/Unsplash)
Esmir Davorovic
HR Strategies Consultant bei HR Campus AG & Communitylead bei HR Cosmos
Bevor man einen Milizdienst für alle fordert, sollte man klären, was man unter Milizdienst versteht, wen man mit «alle» meint und was man damit bezwecken möchte. Im deutschsprachigen Raum ist der Milizdienst in unterschiedlichen Formen bekannt. In der Schweiz ist er besonders stark verankert als Militär- oder Zivildienst, weshalb am Inhalt des Diensts wenig gerüttelt wird. Der kleinste gemeinsame Nenner der betroffenen Personen: Es handelt sich um (junge) Männer. In der Schweiz beginnt die Diskussion hier. Neben Personen mit Behinderung oder ohne Staatsbürgerschaft liegt das Hauptaugenmerk auf der grössten nicht inkludierten Population: den Frauen. Soll man nun also den Kreis der Milizdienstpflichtigen erweitern? Dialektisch gesehen wäre die Erweiterung begrüssenswert, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, hatten die letzten Jahrzehnte doch eine Singularisierung in der Gesellschaft (Andreas Reckwitz) zur Folge.
Wäre es aber auch gerecht? Frauen leisten heute einen Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit. Das ist ein Dienst an der Allgemeinheit, der zu wenig honoriert wird. Die Verteilung von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern wird wahrscheinlich nie ganz ausgewogen sein. Der (nicht existente) Milizdienst für Frauen ist logischerweise nicht die Ursache des Problems, sondern hausgemachte benachteiligende Strukturen (schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gesellschaftliche Rollenerwartungen etc.). Würden diese Störfaktoren gemindert werden, spräche mehr für eine Ausweitung des Milizdiensts als dagegen. Solange wir aber als Gesellschaft noch nicht so weit sind (und das werden wir so schnell auch nicht), kann man auf anderen Ebenen ansetzen.
Es ist an der Zeit, dass auch Unternehmen ihre gesellschaftliche Rolle stärker wahrnehmen und ihren Mitarbeitenden ermöglichen, sich sozial zu engagieren (zum Beispiel mit freien Tagen für die Teilnahme an sozialen Projekten). Die Abkopplung ökonomischen Handelns von gesellschaftlichen Interessen trägt mehr zur Singularisierung in der Gesellschaft bei als fehlender Milizdienst.
Andrea Nemes
Rechtsanwältin bei Schiller Rechtsanwälte in Winterthur
«Milizdienst» bedeutet, dass Personen freiwillig oder gestützt auf eine gesetzliche Pflicht öffentliche Ämter oder Aufgaben meist nebenberuflich ausüben. Da auch die Schweizer Armee nach dem Milizprinzip organisiert ist, wird unter dem Begriff Milizdienst insbesondere die Wehrpflicht verstanden, und zwar sowohl der Militärdienst als auch der Zivildienst, der Schutzdienst und die Abgabepflicht.
Gemäss der Bundesverfassung gilt diese Pflicht nur für Schweizer Männer (Art. 59 und Art. 61 BV). Für Schweizerinnen ist der Wehrdienst freiwillig; Ausländerinnen und Ausländer sind davon ausgenommen. Derzeit wird diskutiert, ob die Dienstpflicht auf Schweizerinnen und/oder Ausländerinnen und Ausländer ausgeweitet werden kann und soll. Die Frage, ob die Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau mit der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsgleichheit vereinbar ist, hat das Bundesgericht im Jahr 2010 noch mit der Begründung bejaht, dass sie durch biologische Unterschiede gerechtfertigt sei. 2018 hielt es dagegen fest, dass die Ungleichbehandlung dem Diskriminierungsverbot widerspreche. Der Widerspruch sei aber gerechtfertigt, da die Bundesverfassung selbst vorschreibe, dass die Wehrpflicht auf Männer beschränkt sei. Ob diese Regelung sinnvoll oder zu ändern sei, habe nicht das Bundesgericht, sondern der Verfassungsgeber zu entscheiden. Damit verweist das Bundesgericht in dieser Frage zu Recht auf den Grundsatz der Gewaltenteilung. Eine Verfassungsänderung, zum Beispiel durch eine Volksinitiative, könnte eine formelle Gleichstellung bewirken.
Fraglich ist, wie eine faire Ausgestaltung aussehen müsste, insbesondere wie dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass Ausbildungszeiten immer länger werden und für Frauen – zumindest Mütter – ohnehin zusätzliche Absenzen am Arbeitsplatz entstehen. Hinsichtlich einer Dienstpflicht für Ausländerinnen und Ausländer wäre zu berücksichtigen, dass zu den jeweiligen Pflichten auch die entsprechenden Rechte gehören. Die Frage der Erteilung des Stimmrechts wäre in die Diskussion miteinzubeziehen.