Mütter in der Chefetage?
Damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelingt, braucht es geeignete Rahmenbedingungen – und verständnisvolle Chefs und Chefinnen sowie die Bereitschaft, Vorurteile über Bord zu werfen, meinen unsere Gastautorinnen.
Wie bringt man Familie und Führung unter einem Hut? (Bild: iStock)
Simone Burgener
HR Services bei HR Campus
«Ehrlich gesagt stört mich der Titel «Mütter in der Chefetage»: Abgesehen von dem mittlerweile überholten und elitär anmutenden Begriff «Chefetage» stimmt mich nachdenklich, dass wir immer noch explizit über das Thema «Mütter in Führungspositionen» schreiben müssen und es nicht zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Obwohl sich die Rechte und Möglichkeiten von Frauen und Müttern in den letzten Jahrzehnten in der Arbeitswelt entwickelt haben, gilt in vielen Unternehmen immer noch die Norm, dass nur eine vollzeitbeschäftigte Person eine gute Führungskraft ist. Davon sind neben den häufig in Teilzeit arbeitenden Müttern auch Väter betroffen, die sich ein flexibles, familienfreundliches Arbeitsmodell wünschen.
Ich selbst bin in der privilegierten Lage, das von mir gewünschte Modell eines spannenden Berufs und einer Familie zu leben. Als Mutter zweier Kinder im Alter von zwei und vier Jahren arbeite ich als Führungskraft in einem 60-Prozent-Pensum und bin in der Geschäftsleitung von HR Campus vertreten. Dabei erlebe ich täglich, dass viele Faktoren wie Puzzleteile zusammenpassen müssen, damit ein solches Lebensmodell möglich wird. Allen voran braucht es einen flexiblen, fortschrittlichen Arbeitgeber. Genauso wichtig ist ein starkes und unterstützendes Privatumfeld, insbesondere ein Partner, der das gleiche Lebensmodell lebt. Somit sollten auch Väter bei Bedarf in Teilzeit arbeiten können.
Zu guter Letzt braucht es von Müttern auch sehr viel Engagement, Motivation und Flexibilität, um den herausfordernden Alltag zu bewältigen und dem entgegengebrachten Vertrauen des Arbeitgebers sowie der Familie gerecht zu werden. Der Aufwand lohnt sich für alle. Und vor allem: Für unsere Kinder ist dieses vorgelebte Modell der Normalfall, eine Selbstverständlichkeit.»
Selma Kuyas
Bewerbungsexpertin
«Die Präsenz von Müttern im Top-Management ist ein Thema von wachsender Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels und der Forderung nach mehr Diversity in der Arbeitswelt. So bringen Mütter neue Perspektiven ein, führen effektiv, sind einfühlsam, kommunizieren empathisch, bewältigen Krisen mit hoher Resilienz und können dazu beitragen, den Gender-Pay-Gap zu überwinden.
Die Vielfalt am Arbeitsplatz ist entscheidend für die Förderung von Innovation und Wachstum von Unternehmen. Mütter verfügen über eine einzigartige Perspektive, da sie ihre Problemlösungsfähigkeiten in der Elternzeit geschärft haben. Sie bringen kulturelle und strukturelle Vielfalt in Organisationen, besitzen ein scharfes Auge für Details und Ressourcen und sind es sich gewohnt, Dinge pragmatisch anzugehen. Mütter sind zudem darin geübt, mehrere Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu jonglieren, was sie zu hervorragenden Multi-Taskerinnen macht. Dazu haben sie die natürliche Fähigkeit, offen zu kommunizieren, ihrem Team zuzuhören und Krisen mit Mitgefühl und Geduld zu bewältigen. Diese Eigenschaften machen sie zu effektiven Führungskräften, die inspirieren und mit gutem Beispiel vorangehen. Einfühlungsvermögen ist eine der wichtigsten Führungsqualitäten. Mütter sind geschult, die Bedürfnisse anderer zu verstehen und sich in die Lage ihres Teams zu versetzen. Mit ihrem Einfühlungsvermögen können sie dazu beitragen, eine Atmosphäre des Verständnisses und der Akzeptanz zu schaffen, die zu einer besseren Problemlösung und Entscheidungsfindung führt.
Damit mehr Mütter den Schritt in die Führungsetage wagen, braucht es jedoch zwei Dinge: Arbeitszeitmodelle, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern, wie das Jobsharing-Modell. Aber auch die Bereitschaft, Vorurteile gegenüber Müttern in Führungspositionen loszulassen und ihnen Chancen zu geben, sich zu beweisen. Fest steht: Wenn wir mehr Mütter im Top-Management einsetzen, schafft das eine dynamische und kreative Arbeitsplatzkultur, was für jedes Unternehmen ein Gewinn ist.»
Sarah Steiner
CEO und Co-Founder, Tadah
«Vor kurzem sass ich auf einem Podium, um über «Kind und Karriere» zu diskutieren. Ich wurde eingeladen, weil auf meinem Visitenkärtchen CEO steht. Ich bin also eine Mutter in der Chefetage und habe – gemeinsam mit drei anderen Müttern – ein Unternehmen gegründet. Eines, das sich mit Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinandersetzt. Ich kenne Zahlen, Fakten, Massnahmen und Lösungen. Ich habe mit vielen Firmen darüber gesprochen und weiss, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – triggert mich das Thema. Wieso? Ist es der Neid auf Frauen in Managementpositionen grosser Corporates, die einen klassischen Karriereweg eingelegt haben? Sind es die Steine, die ich aus dem Weg räumen musste, um dahin zu kommen, wo ich heute bin? Oder ist es gar das schlechte Gewissen gegenüber meiner Familie, weil ich ihr nicht meine ganze Energie widme? Ich glaube, es ist nichts von alledem und gleichzeitig alles davon. Seit ich Mutter bin, hat sich vieles verändert und trotzdem nichts.
Alles ist möglich. Eine Aussage, die durch die Medien geht. Und eine, die ich für mich persönlich fast bestätigen kann. Ich habe das riesige Glück, ideale Rahmenbedingungen zu haben – eine Sache, die für viele keine Realität ist. Ideale Rahmenbedingungen braucht es auch für Frauen in Führungspositionen. Da hinken viele Unternehmen noch hinterher. Das zeigt sich bei nicht vorhandenen Teilzeitstellen und hört bei der Einstellung gegenüber Müttern auf. Ich selbst musste mir anhören: «Du bist jetzt Mutter, bist du sicher, dass du noch Verantwortung übernehmen kannst?» Schon mal überlegt, dass ich jetzt – wo ich Mutter bin – erst überhaupt begriffen habe, was Verantwortung heisst? Wieso macht sich die Wirtschaft die Fähigkeiten von Eltern nicht mehr zum Vorteil? Wieso nutzen Unternehmen nicht die vielen Skills dieser Frauen (und Männer)? Das Elternsein bedingt nämlich die Fähigkeit, das Kind mit allen Facetten zu managen. Das lässt sich auf den Betrieb übertragen.»