Mit Mut, Köpfchen und Zahlenflair an die Spitze einer Männerdomäne
Sich bewusst vernetzen, konsequent handeln und Probleme anpacken, so lautet das Motto von Clivia Koch, ehemalige CEO der Pensionskasse Energie. In Unternehmen werden die Vorteile von Frauen in Führungspositionen noch nicht ausreichend genutzt. Sie kennt das aus eigener Erfahrung und engagiert sich mit Nachdruck für Frauen in der Wirtschaft.
Clivia Koch: «Wir dürfen die Männer nicht vergessen. Sie sitzen schliesslich dort, wo wir Frauen hinwollen.» (Foto: Sabine Schritt)
«Zu wenig Unterstützung von den Männern.» So lautet Clivia Kochs knappe und klare Antwort auf die Frage, warum sie ihre angesehene Position als CEO der Pensionskasse Energie (PKE) zum November letzten Jahres aufgegeben hat. Zwar habe sie erfolgreich ihre Aufgaben wahrgenommen, erzählt Koch, doch als Frau werde man einfach anders behandelt. Der Verwaltungsrat sei nur mit Männern besetzt gewesen, das habe es ihr nicht einfacher gemacht. Der Abschied sei ihr nicht sehr leicht gefallen, habe sie doch einiges erreicht und die PKE auch in schlechten Zeiten auf Kurs gehalten. Während sie erzählt, schaut sie in die Ferne. Von ihrer Terrasse hat Koch eine gute Aussicht auf den Zürichsee und auf die moderne Überbauung im Wert von 90 Millionen Franken, die sie als CEO der PKE realisierte. «Für andere habe ich mittlerweile so viel Wohnraum geschaffen», sagt sie. «Irgendwann will ich mir ein eigenes Haus bauen.»
Das Engagement für Frauen rührt aus persönlichen Erfahrungen
Erstaunt waren die Männer schon, als sie mitten in der Krise ihre Stellung hinschmiss. «Das war typisch Frau – wir sind eben in vielerlei Hinsicht viel konsequenter als Männer und halten untragbare Situationen nicht nur aus Prestigegründen aufrecht. Für uns muss es einfach stimmen.» Es wundere sie nicht, dass auch die meisten Scheidungen von Frauen eingereicht würden. Angst, ohne Job zu sein, hat sie nicht, bei Männern sei der Druck da schon viel grösser. «Trotzdem wäre es gut, wenn mehr Männer auch mal sagen würden: ‹Schluss, das mache ich jetzt nicht mehr mit!›» Ihre neue Herausforderung sieht Koch – wie kann es anders sein – wieder in der Versicherungs- oder Finanzbranche und ist bereits in Gesprächen. Dabei war dieser Weg nicht so vorgezeichnet. Nach der Handelsmittelschule begann ihre berufliche Laufbahn erst in der Textilbranche. Doch sie hat schnell gemerkt: «Da gehöre ich nicht hin.»
Die Lehrerin sagte der kleinen Clivia einst: «Der schönste Tag im Leben einer Frau ist die Hochzeit.» Das erzählte sie gleich ihrer Mutter, und die sagte: «Willst du nur einen schönsten Tag im Leben?» Das sei ihr eine wirkliche Lehre gewesen.
Aufgewachsen ist die heutige Versicherungsexpertin mit drei Schwestern im Aargau, ihr Vater besass ein Baugeschäft. «Wie gerne hätte ich das Unternehmen übernommen, aber ein Mädchen in diesem Metier – für meine Familie war das damals noch undenkbar.» Da auch kein Schwiegersohn in Sicht war, der die Firma hätte übernehmen können, verkaufte der Vater. Die Eltern meinten, ein Mädchen solle etwas Kaufmännisches lernen. «Das habe ich nicht ganz so gesehen», meint Koch. Allen Unkenrufen zum Trotz hat die zierliche Brünette trotzdem ihren Weg in einer Männerdomäne gemacht. Zahlen sind ihre Welt. Wenn sie darüber spricht, leuchten ihre Augen. Ihr Faible für Zahlen trieb sie nach diversen beruflichen Stationen schliesslich in Richtung Versicherung, nach und nach wurde sie zur Sozialversicherungsexpertin. Die nötigen Weiterbildungen absolvierte sie berufsbegleitend.
Seit vorigem Jahr ist Koch die erste gewählte Präsidentin des Verbandes «Wirtschaftsfrauen Schweiz*», in dem sie sich schon seit Jahren aktiv für die Förderung von Frauen in Führungspositionen einsetzt. Dass sich Koch so intensiv für Frauen in der Wirtschaft engagiert, hat auch mit ihrer ganz persönlichen Erfahrung zu tun. Wenn sie an ein frühes Bewerbungsgespräch zurückdenkt, schmunzelt sie. «Sie haben mein Dossier angeschaut und mir eine Stelle im Archiv angeboten. Jemand ist mit mir also dort herumgelaufen -– zurück in der Personalabteilung habe ich dann getobt. Ob sie überhaupt fähig seien, meine Unterlagen zu lesen?» Das Resultat war eine gute Stellung in diesem Unternehmen. Koch rät Frauen, sich durchzusetzen und eine adäquate Stellung mit angemessenem Lohn zu fordern. «Immer wieder werden Frauen im Lohn gedrückt», sagt sie. Frauen sollten darauf bestehen, für die gleiche Position auch den gleichen Lohn zu bekommen wie die männlichen Kollegen.
«Ich habe nie Unterstützung von Männern bekommen», sagt Koch rückblickend. Die erste Kaderstelle hat sie nur als Interimslösung für ein Jahr antreten dürfen. Es hiess, dies sei doch eine sehr zahlenlastige Position, da müsse sie sich aber zunächst bewähren. «Das hätte man einem Mann nie gesagt.» Auf ihrem beruflichen Weg sind ihr einige kuriose Dinge passiert. Ein Verwaltungsratspräsident hat sich einmal darüber aufgeregt, dass sie Stöckelschuhe trägt. «Eine Frau wird heute immer noch kritisch als Exot beobachtet, wenn sie erfolgreich im Beruf ist.» Da seien eher Frisur oder Kleidung Gegenstand von Kommentaren als die Leistung. «Wenn es mehr Frauen in hohen Positionen gibt, relativiert sich das», ist Koch überzeugt. Sich gut zu vernetzen, sei für Frauen extrem wichtig. Frauen tun das viel bewusster. Sie selbst nutzt auch die Social Networks im Internet, aber immer nach dem Prinzip: Lieber weniger Kontakte, dafür aber intensive. «Aber wir dürfen auch die Männer nicht vergessen. Sie sitzen schliesslich dort, wo wir hinwollen.»
Sie will nicht alles wissen: Zu viel Information schafft Verunsicherung
Beim zehnjährigen Jubiläum der Wirtschaftsfrauen im Oktober kritisierte Koch, dass nur vier Prozent aller Geschäftsleitungsmitglieder in der Schweiz Frauen sind. Frauen würden überdies die weiblichen Vorbilder in den Führungsetagen fehlen. In der Politik sind die Frauen in der Schweiz relativ weit gekommen, in der Wirtschaft ist das nicht der Fall. In Zukunft wollen die Wirtschaftsfrauen daher noch enger mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. «Das Wichtigste: Wir müssen gute Frauen sichtbar machen.»
Frauenförderung sei auch im Hinblick auf den Generationswechsel ein Thema. «Unternehmen, die es nicht schaffen, gute Frauen nachzuziehen, werden in der Zukunft ein Problem haben.» Frauen gingen Probleme anders an, so Koch. «Männer wollen sich eines Problems möglichst schnell entledigen, während Frauen intensiv diskutieren und nach Lösungen suchen und die Probleme anpacken. Männer können das nicht so gut. Das beobachtet man auch immer wieder, wenn es um Entlassungen geht.»
Projekte, in denen sie etwas bewegen kann, reizen Koch besonders. Das Drei-Säulen-System der Schweiz findet sie in einigen Punkten verbesserungswürdig. «Es greift nicht alles ineinander. Wer durch Unfall invalid wird, ist gut abgedeckt.» Wesentlich häufiger würden die Menschen jedoch durch Krankheit invalid. «Da könnte die Vorsorge angepasst werden.» Koch arbeitet im Schnitt 10 bis 12 Stunden pro Tag. Ihr Erfolgsrezept: Man muss seine Arbeit gerne machen, speziell in der Führung muss man Menschen mögen und sich der Komplexität bewusst sein. Durchhaltewillen und Biss seien weitere gute Voraussetzungen. Mühsam findet sie es, immer und überall informiert zu werden. Darauf könnte sie gut verzichten. «Als damals die Russen in Afghanistan einmarschierten, war ich 20 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt. Wäre ich über alles genau informiert gewesen, hätte ich sicher Angst gehabt. Ich denke, viel Information schafft auch viel Verunsicherung.»
«Frauen müssen lernen, nicht für alle verantwortlich sein zu wollen»
Erholung findet Koch in guter Gesellschaft, bei einem interessanten Buch oder einem feinen Essen. Wann immer es geht, zieht es sie in die Natur, zum Joggen oder zum Golfspielen. Sie weiss, dass andere Leute oft in ihr die starke Frau sehen. Dem kann sie jedoch nicht bedingungslos zustimmen. «Viele Dinge gehen mir einfach zu nahe.» Was sie jungen Frauen raten würde? «Herausfinden, was sie wirklich wollen.» Gerade Frauen übernähmen immer zu viel Verantwortung für alles. Sie fühlten sich verantwortlich dafür, dass es den Eltern gut geht, den Kindern, dem Partner und dem Arbeitgeber. «Irgendwo muss es eine Grenze geben.» Koch sieht gelassen in die Zukunft. Und: In fünf Jahren will sie endlich ihr Haus gebaut haben. Mit einer guten Sicht über den See.
* Die Wirtschaftsfrauen Schweiz vereinigen Unternehmerinnen, Kaderfrauen und Managerinnen aus der Wirtschaft, Chefbeamtinnen aus Behördeninstitutionen, Kaderfrauen aus NPOs sowie Nachwuchstalente aus diesen Bereichen. Ziele sind die Unterstützung, Interessenvertretung und Vernetzung von Frauen in aktiven Wirtschaftspositionen sowie die Förderung und das Mentoring von Nachwuchstalenten. Weitere Informationen unter www.wirtschaftsfrauen.ch.
Clivia Koch
wuchs mit drei Schwestern in Bremgarten im Aargau auf, besuchte die Kantonsschule und später die Handelsmittelschule. Zunächst arbeitete sie in der Textilbranche im Einkauf, wechselte dann in die Versicherungsbranche. Nach der Einführung des Obligatoriums der 2. Säule im Jahr 1985 wurde sie mit der Geschäftsleitung zweier Vorsorgestiftungen der Migros Bank betraut. Von 2004 bis 2009 war sie CEO der Pensionskasse Energie. Das Rüstzeug hierfür erarbeitete sie sich unter anderem sowohl im Produktemanagement für Pensionskassen-Dienstleistungen als auch in leitender Stellung im Vorsorgeumfeld von Banken und Versicherungen. Parallel zu ihrem beruflichen Aufstieg absolvierte sie die Verwaltungsfachschule für Personalvorsorge und machte ihren Abschluss als Betriebsökonomin.