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Mit sozialer Netzwerkanalyse 
den Talenten auf die Spur kommen

Nicht jeder potenzielle Mitarbeitende ist Mitglied in virtuellen Netzwerken wie Xing, LinkedIn, Plaxo Pulse oder Facebook, doch die gegenseitige Vernetzung gewinnt in der Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung. Ein Zürcher Jungunternehmen hat ein System entwickelt, das soziale Netzwerke von zukünftigen oder bestehenden Mitarbeitenden aufzeigen kann. 
Geschäftsführer Michael Böni erläutert die Vorteile speziell für talentsuchende HR Manager.

HR Today: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Netzwerkanalyse-System?

Michael Böni: Es ist unser Ziel, das soziale Kapital von Personen nutzbar zu machen. Wir können beispielsweise die Ressourcen der bestehenden Mitarbeitenden aufzeigen, indem wir deren Beziehungen zu Organisationen oder Gruppen transparent machen. Da es generisch aufgestellt ist, hat das System keine Limite an Informationen, welche nicht verarbeitet werden können. Der Fokus liegt jedoch klar auf dem professionellen externen oder internen Beziehungsmanagement wie in der Kundenbetreuung, in der Beziehungspflege oder im Talent Search.

Nach welchen Kriterien recherchieren Sie solche Daten?

Die Recherche der Daten basiert auf sozial-psychologischen Erkenntnissen und sozialer Netzwerkanalyse. Die Kriterien können je nach Kunde oder Bedürfnis variieren. Im Recruitment können folgende Daten sinnvoll sein: demografische Daten der Personen, Informationen über Ausbildungen, Projektarbeiten, Nebenjobs oder Personen, mit denen sie bereits zusammengearbeitet haben, sowie das Verhältnis, welches sie zur Firma und zu Vorgesetzten pflegen.

Welche Informationskanäle nutzen Sie zum Erfassen dieser Informationen?

Die Recherche erfolgt meist zusammen mit dem Auftraggeber. Die Daten können bereits in Datenbanken des Kunden vorhanden sein. Falls Daten öffentlich zugänglich sind, können wir diese über das Web oder weitere Datenbanken sammeln. Wir haben Kunden, die diese Möglichkeit der Datenbeschaffung vorziehen. Andere Kunden nehmen die Gelegenheit wahr, eine interne Mitarbeiterumfrage zu veranlassen, oder man fordert mögliche Mitarbeitende auf, einen Fragebogen gezielt auszufüllen. Die Daten können in jeder Form in der Software eingelesen werden.

Wie differenzieren Sie die Recherche über Menschen? Ich könnte endlos viele Details über Personen erhalten, die ich vielleicht nicht brauche ...

Es ist extrem wichtig, zu Beginn der Informationsbeschaffung die jeweiligen Ziele zu definieren. Dabei zählt grundsätzlich die Kernfrage: Welche Daten brauche ich, um welches definierte Ziel zu erreichen?

Könnte ich diese Daten nicht auch über Google einholen?

Der Vergleich mit Google wird ziemlich schwierig, da Google von Grund auf einen anderen Anwendungsbereich bedient. Während Google die Fähigkeit hat, Keywords und Daten zu suchen und diese priorisiert nach der Anzahl Aufrufe, ist Connect – die Software, mit der wir arbeiten – konzipiert, um in einem bestimmten Benutzerkreis die wichtigste Person in einem internen Netzwerk erkennbar zu machen. Die wichtigste Person – sozusagen der Hub – wird durch ihre Einbettung in das Netzwerk respektive die Anzahl und Qualität der Beziehungen gewertet. Es geht also um eine qualitative Analyse.

Wie könnten HR Manager von dieser qualitativen Analyse profitieren?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In einem Unternehmen, für das wir diese Analyse machten, kristallisierte sich heraus, dass sich bestimmte Gruppen und sogar  Abteilungen nicht miteinander ausgetauscht haben. Die inoffizielle, natürliche  interne Kommunikation fehlte, was sich langfristig weniger positiv auf den Wissensaustausch ausgewirkt hat. Ohne die Software hätte das Management dieses Defizit nicht schwarz auf weiss erkennen können.

Ein anderes Beispiel betrifft die Organisationsentwicklung. Wir konnten bei einem Beratungsunternehmen deutlich demonstrieren, dass dort das mittlere Management qualitativ sehr viel tiefere, verbindlichere Kontakte mit den Kunden pflegte als die Partner – ihre Chefs –, die mit den Topmanagern dieser Kundenunternehmen regelmässig Golf spielen. Daraus können HR Manager wiederum folgern, dass sie alles daransetzen müssen, diese – netzwerktechnisch gesehen – Top Performers auf jeden Fall zu halten.(1)

Wer nicht bei Xing, LinkedIn, Facebook oder Plaxo Pulse vertreten ist, möchte wahrscheinlich auch nicht vernetzt sein. Laufen Sie und Ihre Kunden dann Gefahr, das Persönlichkeitsrecht eines Individuums einzuschränken?

Wir leben heute im Informationszeitalter. Informationen zu erhalten und weiterzu- geben ist zu einer der wichtigsten Ressourcen geworden. Nehmen wir den Rekrutierungsprozess: Würde ich nicht Informationen von mir bekannt geben und mein Talent offen legen, würde ich mit minimierter Chance von bestimmten Firmen gefunden werden und somit nicht meinen Traumjob erhalten, für den ich mit meinem Nischenwissen am besten geeignet wäre. Heisst: Die Wahrscheinlichkeit, die passenden Talente für bestimmte Positionen zu finden, erhöht sich, je stärker diese Talente vernetzt sind.

Die Daten, die durch unsere Software zu finden sind, helfen dem HRM, die richtige Person mit der richtigen Arbeit zu verlinken. Ob das für interne Wechsel, Projektaufgaben oder Neuanstellung ist, spielt keine Rolle. Das System ist zudem nicht öffentlich. ShiftThink-Connect ist eine serverbasierte Software und steht nur dem Unternehmen selbst zur Verfügung. Deshalb können wir als Beratungsunternehmen unsere Kunden nur auf die allfällige Gefahr der Verletzung des Persönlichkeitsrechts hinweisen.

Fragen Sie Menschen um Erlaubnis, ihre sozialen Netzwerke zu offenbaren? Wie koordinieren Sie die Vorgehensweise mit den Auftraggebern?

Als Erstes setzen wir uns mit dem Auftraggeber zusammen, um zu verstehen, welches Ziel dieser mit den Daten verfolgt. Danach erarbeiten wir ein Konzept, wie wir mit der Datensammlung vorgehen. Nebst bereits bestehenden Daten aus den Unternehmensdatenbanken kann sich ein Auftraggeber auch für eine interne Umfrage entscheiden. Um die Qualität der Daten zu garantieren, ist es wichtig, dass die involvierten Personen die Wichtigkeit der Daten verstehen. Eine transparente Kommunikation wird vorausgesetzt.

Nachdem die Daten im System eingelesen sind und die Keywords oder Tags definiert sind, ist das Unternehmen bereit, die Daten zu analysieren und zu managen. Der Prozess wird von unserer Seite beratend begleitet. Daneben trainieren wir die Software-User und stehen für jeglichen Support zur Verfügung. Alle Benutzer verfügen über eine «privacy control» ihrer Daten.

Mit welchen Argumenten arbeiten Sie, wenn Personen es ablehnen, ihre Daten analysieren zu lassen?

Grundsätzlich sind diese Entscheide strategische Entscheide einer Firma. Bis anhin hatten wir keine Probleme in diese Richtung. Wenn die Zielgruppen ihre Daten aus bestimmten Gründen nicht preisgeben möchten oder der Prozess schleppend vor sich geht, helfen oft die klare Weisung der Geschäftsleitung und eine transparente Kommunikation. Monetäre Anreize werden zeitweise ebenfalls eingesetzt. Aber die Datenbeschaffung könnte natürlich auch eine ganz klare Zielvorgabe bei den Account oder Relationship Managers sein.

Wie schützen Sie Kunden vor der Manipulation von Daten?

Hier gibt es viele Möglichkeiten. Wir können Muss-Felder einbauen. Das System ist so konzipiert, dass Userbefugnisse eingebaut werden können. So kann ein Manager Zugang zu allen Daten seiner Angestellten haben, ein Angestellter jedoch nur seine Daten sehen. Normalerweise werden die Daten im Team gemanaged. Das heisst, jeder Mitarbeitender kann selbst bestimmen, wem er Zugriff auf seine Daten gibt.

Wie identifiziere ich als HR-Manager die Netzwerkstärken meiner Mitarbeitenden?

Das ist der Kern unserer Analyse. Das Tool kann die «Hubness» sowie die «Betweenness Centrality» (BC) der Mitarbeitenden auswerten. Hubness zeigt den Grad an Vernetzung des Mitarbeitenden an. BC zeigt den Grad an, zu welchem der Mitarbeitende ein Verbinder von sonst nicht verbundenen Netzwerken ist. Daran erkennt man, wie hoch der so genannte Networking Value der Mitarbeitenden ist.

Wissen Menschen immer, welche Funktion sie in Netzwerken haben?

Die Mitarbeiter sowie die Manager sind sich oft der Rolle, die sie in einer Gesellschaft eingenommen haben, nicht direkt bewusst. Manche möchten sich in der Rolle eines Hub sehen und sind gar keiner, andere wiederum sind es und wissen das nicht, weil sie es unter Umständen nicht beabsichtigen. So erkennen wir in unserer Arbeit oft, dass vielleicht der Chef der Abteilung gar nicht der Einflussreichste ist. Der kleine Dienstweg ist nach wie vor in allen Firmen präsent und beeinflusst eine Organisation. Wir können genau dieses Kapital aufdecken.

Wie machen Sie einen menschlichen Hub sichtbar?

Ein Hub ist eine Person, die einen grossen Einfluss auf Personen in ihrer Umgebung ausübt. Einfluss kann folgendes bedeuten: kennt viele Personen, ist ein Meinungsmacher, kennt weitere wichtige Hubs, ist gut vernetzt. Am Hub hängen meist viele weitere Personen oder Organisationen, die Informationen durch den Hub beziehen oder streuen.

Wieso sollte beispielsweise ein Talent Searcher Sie engagieren?

Anhand von psychologischen Profilen und Tags erkennen wir, ob ein Kandidat oder eine Kandidatin auch durch ihre Einstellungen zu gewissen Themen oder im Umgang mit Mitarbeitenden in ein Team oder als Führungskraft passen würde. Wir können Talentrekrutierern helfen, ihr Netzwerk optimal zu nutzen und aktiver zu managen. Ein grosser Vorteil ist, dass das Tool es schafft, die einmal eingegebenen Daten durch Knopfdruck innerhalb von Sekunden auszuwerten.

Das Unternehmen:

Das zehn Köpfe zählende Jungunternehmen ShiftThink mit Sitz im Zürcher Technopark hat sich auf die Analyse sozialer Netzwerke im Business-Bereich spezialisiert. Die Firma arbeitet mit einer eigenen Software, die die Netzwerke von Menschen in oder ausserhalb von Unternehmen visualisiert -– ein bislang unkonventioneller Ansatz für die Rekrutierung sowie die Identifikation der Key Players in Unternehmen.

  • (1) 
Das im Beispiel erwähnte Beratungsunternehmen handelte und setzte diese Erkenntnis in die Praxis um. Es startete ein Alumni-Projekt, durch welches diese gut miteinander vernetzten Menschen auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Kontakt mit dem Beratungsunternehmen bleiben.
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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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