Der Entscheidungsprozess für die Übergabe und die Übernahme ist eng mit dem Rollenverständnis und der Rollenübernahme bzw. -aufgabe als Unternehmer verbunden. Er umfasst somit nicht nur die eigentliche Phase der tatsächlichen Entscheidung. Entscheidungsrelevante Entwicklungsschritte sind in der Lebensspanne zu beobachten und zeigen sowohl bei den Übergebenden wie bei den potenziellen Nachfolgenden charakteristische Muster der Rollendefinition und -übernahme als Unternehmer auf. Bei den potenziellen Nachfolgenden geht es um die Übernahme der Rolle als Unternehmer, bei den Übergebenden um das Loslösen von dieser Rolle. Teil der Betrachtung der Phasen der Unternehmensnachfolge stellt somit der Prozess der Rollendefinition und der Motivation dar.
Die betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten in der Unternehmensnachfolge sind vielfältig. Je nach Phase der Unternehmensübergabe oder -nachfolge und dem «Fit» zwischen den Prozessen von Übergebenden und potenziellen Nachfolgenden sind verschiedene Lösungskonzepte und Handlungsmöglichkeiten denkbar und situationsadäquat. Voraussetzung für die Entwicklung tragfähiger betriebswirtschaftlicher Lösungen ist die Klärung individueller und familiärer Erwartungen und Ansprüche.
Der Entwicklungsprozess in der Perspektive des Übergebenden
Die Prozessphasen der Unternehmensnachfolge gestalten sich wie im Folgenden dargestellt (vergleiche Grafik). Typische Muster im Prozess der Rollendefinition und des Entscheidungsprozesses beim Übergebenden sind:
- Der Einstieg und der Aufbau der Unternehmung, verbunden mit Erfolgen und Rückschlägen sowie mit Situationen, in welchen einem «das Wasser bis zum Hals steht».
- Die Etablierung als Unternehmer mit dem damit verbundenen finanziellen Erfolg, aber auch dem gesellschaftlichen Status.
- Die Phase der Gedanken nach dem «Wie weiter?», meist verbunden mit dem näher rückenden 60. Geburtstag, teilweise auch verbunden mit Ermüdungserscheinungen, dem Wunsch nach mehr Freizeit oder dem Erreichen von Kompetenzgrenzen.
- Die Einführung des potenziellen Nachfolgenden im Unternehmen, verbunden mit der Definition der eigenen Position im Unternehmen und jener des potenziellen Nachfolgenden mit der Übergabe von Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen, aber auch mit der Prüfung der Eignung des potenziellen Nachfolgenden für die Übernahme.
- Die Phase der Entwicklung der Nachfolgelösung, verbunden mit allen emotionalen und technischen Faktoren.
- Die Phase des Lebens als Ex-Chef, verbunden mit dem Suchen und Finden von neuen Lebensinhalten und -aufgaben, mit mehr zeitlicher Freiheit, neuen Rollen in Gesellschaft und Familie und auch mit dem Gefühl der Entlastung.
Die Entwicklungsschritte des potenziellen Nachfolgenden
Typische Muster und Phasen im Entscheidungsprozess und in der Rollenübernahme des potenziellen Nachfolgenden sind:
- Kindheit und Jugend mit starker Präsenz der Familienunternehmung, oft verbunden mit Ferien oder Freizeitjobs.
- Die Zeit der Ausbildung, welche sich bereits stark an der Tätigkeit des Familienunternehmens ausgerichtet hatte oder auch bewusst unabhängig davon gewählt wurde. Bereits während ihrer Ausbildungszeit haben die Nachfolgenden oft das Familienunternehmen nebenher unterstützt, vor allem in IT-Fragen.
- Die Zeit der beruflichen Eigenständigkeit bzw. des Sammelns von eigenen beruflichen Erfahrungen.
- Die Phase der Gedanken nach dem «Wie weiter?», verbunden mit Überlegungen zur eigenen beruflichen Zukunft, mit unterschiedlichen Optionen und mit Lust auf einen weiteren, neuen beruflichen Entwicklungsschritt sowie allfällig verbunden mit dem Entscheid über den Einstieg in die Unternehmung.
- Die Positionierung im Unternehmen und das Finden der eigenen Rolle und Position gegenüber dem Abgebenden, den Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten u.a. sowie das Erarbeiten eines eigenen Leistungsausweises.
- Die Entwicklung der Nachfolgelösung, verbunden mit allen emotionalen und technischen Faktoren.
- Die Übernahme der Verantwortung und der damit verbundene erhöhte Druck, aber auch unternehmerische Freiheit.
Grundlage zur Strukturierung von Coaching und Beratungsgesprächen
Dieses Phasenmodell zeigt typische Verläufe und Fragestellungen bei den Hauptakteuren der Unternehmensnachfolge auf. Man kann sich vorstellen, in welche Konflikte einzelne Akteure oder Familiensysteme geraten können, wenn die Entwicklungsphasen nicht «zueinander passen». Das Modell kann eine gute Grundlage zur Strukturierung von Coaching und Beratungsgesprächen liefern. Es zeigt dem Coach Themengebiete zur Gestaltung des Coachingsprozesses auf und ermöglicht ein lösungsorientiertes Vorgehen in der Prozessbegleitung der Unternehmensnachfolge. Dabei bietet es ein Bezugsmodell, in dem sich Übergebende und potenzielle Nachfolgende finden und das neben dem eigenen Klärungsprozess auch einen Dialog einleiten kann.
So ergab sich beispielsweise im Dialog mit einem potenziellen Nachfolger plötzlich, dass zwar alle möglichen steuerlichen und rechtlichen Aspekte des Unternehmens Thema in der Vater-Sohn-Diskussion waren, beide aber voneinander nicht wussten, «wo sie standen». Es war in der Familie völlig unklar, dass der Sohn trotz Studium das Unternehmen übernehmen wollte – allerdings erst später. Der Vater hatte sich noch nie zum Zeitpunkt seines Ausscheidens geäussert, obwohl er dieses bald tun wollte und davon ausging, dass er – mangels familieninternem Nachfolger – das Unternehmen «aufgeben» würde. Nach einer Klärung der persönlichen Vorstellungen und Wünsche war dann der Boden bereitet, um die konkreten Schritte für eine familieninterne Unternehmensnachfolge zu regeln. Im Beispiel oben empfiehlt es sich, etwa ein Ad-interim-Management mit klar definiertem Auftrag und Zeithorizont einzusetzen, damit sich der Vater zurückziehen und der Sohn gut vorbereitet zu einem späteren Zeitpunkt das Unternehmen übernehmen kann.
Tragfähige betriebwirtschaftliche und rechtliche Lösungen zu entwickeln, setzt voraus, dass eine Klärung der Interessen der Betroffenen stattgefunden hat und die Eckwerte eines gemeinsamen Lösungskonzeptes festgelegt worden sind. Dabei geht es oft nicht darum, «die Nachfolge einzuleiten», sondern eine Übergangsphase so zu gestalten, dass die Interessen der Betroffenen möglichst gut abgedeckt werden können und gleichzeitig das Unternehmen nicht destabilisiert wird und dessen Wert erhalten werden kann.
Quellen:
- PricewaterhouseCoopers AG (2005), Nachfolger gesucht!, Zürich, August 2005
- PricewaterhouseCoopers AG (2005), Nachfolger gesucht!, Zürich, August 2005; ZKB (2005), Unternehmen Zukunft, Zürich, 2005
- Die Interviewpartner wurden mit Hilfe der Standortförderung Region Winterthur selektiert. Das Expertenpanel setzt sich aus Vertretern der Wirtschaft, der Standortförderung, interdisziplinären Fachexperten der Forschung sowie Mitgliedern der Stiftung für unternehmerische Entwicklung zusammen. Das Forschungsprojekt wurde von der KTI gefördert und von der Stiftung für Unternehmensnachfolge finanziell unterstützt.