Porträt

«Muss ich da hin?» – Unprätentiöse 
Unternehmerin auf Erfolgskurs

Welche Frau träumt nicht von Schuhen? Barbara Artmann hat sich diesen Traum erfüllt und eine eigene Schuhmanufaktur 
gekauft. Mit Künzli übernahm die Deutsche ein traditionsreiches Schweizer Unternehmen – und musste, als sie neben den orthopädischen Schuhen eine Modelinie herausgeben wollte, gegen einen amerikanischen Riesen kämpfen.

Eines wird sofort klar: Glamour ist nicht die Welt der Barbara Artmann. Derber Ledergeruch und laute Maschinengeräusche dringen aus der Werkstatt herüber. Dann kommt die Chefin angerauscht. Sportlich elegant in einem langen schwarzen Rock und an den Füssen schwarz-weisse Ballerinas – natürlich aus der eigenen Produktion.

Die Bankerin wusste genau, was sie tat, als sie im Januar 2004 die Firma Künzli kaufte. Die ausgebildete Psychologin begann ihre berufliche Karriere bei Procter & Gamble im Produktmanagement. Zuletzt arbeitete sie bei der UBS. Zu viel Politik, zu wenig fach
liche Auseinandersetzung – «so, wie es in allen Unternehmen nun mal ist», sagt sie – 
gaben schliesslich den Ausschlag zum Wechsel.

Welche Frau würde nicht gerne ihre eigenen Schuhe entwerfen? Artmann lacht. Obwohl sie sich ihre Wunschmodelle kreieren könnte, ist sie viel zu sehr Geschäftsfrau. «Hier geht es nicht um mich.» Es werde gemacht, was der Markt verlange. «Manchmal denke ich aber schon, ach, das Modell hätte ich noch gerne in Rot oder Schwarz. Das lasse ich dann mit einfliessen», gibt sie verschmitzt zu. Ansonsten ist sie mehr der Überblicksmensch: Hier fehlt noch eine Farbe, da ein Stück Leder. Das sei ihre Stärke und auch ihre Rolle.

«Nein, ich habe es alleine gemacht. Soll es geben, auch bei Frauen»

Als sie begann, hatte sie keine Ahnung von der Schuhherstellung. «Aber daran denkt man in dem Moment nicht», sagt sie. Was andere eher ausgebremst hätte, hat sie wohl noch angespornt. «Man muss einfach fühlen, dass es richtig ist», sagt sie. Und es brauche auch Mut. Artmann setzte alles auf eine Karte, gab ihr komplettes privates Vermögen für den Schritt in die Selbständigkeit aus. Das reichte nicht, und so sprach sie mit Banken. Mit vielen Banken. Letztlich an sie geglaubt hat die Aargauische Kantonalbank. «Und ich denke, mittlerweile sind sie auch ganz zufrieden damit …» Auf die Frage, wer ihr geholfen habe, kontert sie sofort: «Na, das fragt man auch nur Frauen, oder?» Erwartungsgemäss müsse sie natürlich jetzt sagen: ihr Freund. «Nein, ich hab’s alleine gemacht. Soll es geben, auch bei Frauen.»

In der Firma fand sie eine Riesenkompetenz vor. «Man muss nur fragen und gut zuhören», sagt sie. Heute weiss sie, wie top genähte Schuhe aussehen müssen. Zwar nimmt die Chefin nicht mehr jedes Stück selbst ab, aber im Zweifelsfall sind ihr Rat und auch ihre Entscheidung gefragt. Jeden Tag lernt sie dazu. Medizinische Schuhe herzustellen, die hohen Ansprüchen genügen müssen, ist kein Spaziergang. «Ich lerne jeden Tag dazu.» Was neue Technologien für den orthopädischen Bereich angehe, müsse man stets up to date sein. Sie sieht ihre Aufgabe eher in der grossen Linie als im Detail. Die Positionen in ihrem Führungsgremium hat sie kompetent besetzt. «Ich vertraue dem Team, nur bei Richtungsänderungen gehe ich ins Detail.»

Mit ihren Mitarbeitern pflegt sie einen kollegialen Umgang auf Augenhöhe. Die Tür ihres Büros ist während unseres Gespräches geöffnet, so als wolle sie stets auf Tuchfühlung bleiben. Das signalisiert auch den Mitarbeitern: Ich bin da, wenn ihr mich braucht. Und schon unterbricht sie das Interview für einige Vertragsunterzeichnungen. Sie lässt sich nicht hetzen, da müssen auch Journalisten mal warten. Zeit, sich umzuschauen. Im Regal stehen die Modelle der aktuellen Sneaker-Kollektion. Vor ihrem Büro herrscht reger Betrieb. Hier werden Schuhe verpackt, dort begutachtet. Unspektakulär, aber gemütlich sind die Räumlichkeiten, die zwar schon bessere Zeiten gesehen haben. Doch darüber sieht die Chefin hinweg. Hauptsache, der Inhalt stimmt und der Cappuccino ist gut. Kuchen und Cappuccino, zwei Dinge, denen die 49-Jährige gar nicht widerstehen kann.

Sie sei ein Vorausrenner. Aber sie lasse sich von ihrem Team auch mal bremsen, bleibe stehen und sage sich: «Des wor fei ned guad.» Artmann ist im bayrischen Dorf Oberammergau aufgewachsen, berühmt für seine Passionsspiele. Als Zehnjährige hatte sie, «das muss schon sein», eine Laienrolle. Bei all ihrer Liebe zum Gastland Schweiz bleibt Oberammergau ihre Heimat. «Es ist ein besonderes Fleckchen Erde.» Die Tradition, die aufrechtgehalten und trotzdem in die Moderne getragen wird, findet sie faszinierend und hat sie auch ein Stück weit geprägt. Ihr 96-jähriger Vater lebt dort, und sie fährt immer mal wieder zu ihm zu Besuch. Dass das einst kühne blonde Mädel in der Schweiz mit ihrer Schuhfirma mittlerweile prominent ist, spielt in dem idyllischen Dorf kaum eine Rolle.

Wie ein zu weiter Himmel dazu führen kann, eine Unternehmerin zu werden

Nach einigen beruflichen Stationen in Deutschland kam Artmann 1996 in die Schweiz und nahm ein Angebot der Zürich Versicherung an. Mit ausschlaggebend für 
die Entscheidung war der Standort. Wieder näher an die Berge rücken, diese Sehnsucht wurde immer stärker. Seit einigen Jahren lebte sie im flachen Hamburg, wo ihr immer wieder «der Himmel auf den Kopf fiel». Den Entschluss, ein Unternehmen zu kaufen, fasste sie ganz alleine. Wo die Reise genau hingehen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. «Ich wusste nur, dass es ein Produktionsbetrieb sein sollte», erzählt sie.

Als das Traditionsunternehmen Künzli zum Verkauf stand, griff sie zu, arbeitete Businesspläne aus, zog Sachverständige und Anwälte hinzu. Beim Beratungsunternehmen McKinsey hatte sie schliesslich gelernt, Unternehmen zu bewerten, das kam ihr jetzt zugute. Überhaupt will sie keine Station ihrer 
Karriere missen. «Dort habe ich das gelernt, was ich heute kann.» Auch eine Produktentwicklung in einer Bank habe durchaus ihren Reiz, sagt sie. Tauschen wolle sie aber nicht mehr. Sie geniesst die Entscheidungsfreiheit als Unternehmerin. Die Arbeit und den Umgang mit den Mitarbeitern kann sie nun selbst bestimmen.

Die Unternehmerin trägt selbstverständlich ausschliesslich Künzli-Schuhe. Davon habe sie viele, gibt sie zu. Das sei ja gar nicht zu vermeiden. Teil ihres unternehmerischen Plans war, neben der orthopädischen und der sportlichen Linie auch eine Modelinie herauszubringen. Stolz zeigt sie ihre neue Kollektion. Markenzeichen seit Gründung der Firma immer noch: die fünf Künzli-Streifen. Bereits im ersten Jahr als Inhaberin der Firma brachte sie modische Freizeitschuhe im Hochpreissegment auf den Markt. Und lief prompt ins Messer. Der amerikanische Schuhhersteller 
K-Swiss sagte ihr den Kampf um die fünf Streifen an. In den Sechzigerjahren erwarb der ehemalige Künzli-Importeur unter dem Namen Künzli-Swiss die US-Patentrechte für die Künzli-Sportschuhe aus der Schweiz. Weil die Amerikaner Künzli nicht aussprechen konnten, wurde daraus K-Swiss. Und eben dieser machte Artmann die Künzli-Erfindung der fünf Streifen streitig, hat aber nicht mit der smarten und kämpferischen Unternehmerin aus dem Aargauischen Windisch gerechnet.

Diese setzte sich mit aller Kraft zur Wehr, zeigte dem Riesen die Zähne. «Es gab», so sagt sie, «keinen Grund, es nicht zu tun. Wir haben’s erfunden, und da muss man eben kämpfen.» Wichtig war ihr nur, alles genau mit ihrem Team zu besprechen. Sie haben gemeinsam entschieden und wussten, was auf sie zukommen könnte. Die Geschichte hat mehr als nur Nerven gekostet und hätte das Ende von Künzli sein können. «Rein rechnerisch hätte ich das gar nicht wagen dürfen», sagt Artmann heute.

In der dritten Instanz gewann sie die Klage von K-Swiss in Deutschland. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen mündeten schliesslich in der Konsequenz, dass es 
K-Swiss-Schuhe mit den fünf Streifen in der Schweiz nicht mehr geben darf. Ein weiteres, schlagendes Argument spricht für Artmann: In Künzli-Schuhen ist – im Gegensatz zu K-Swiss – wirklich Schweiz drin. Eine Herkunftsangabe Swiss im Namen muss strenge Voraussetzungen der Herstellung in der Schweiz
erfüllen. Mittlerweile ist die erste Modekollektion von «fünf Schühlein» – wie sich Artmann gerne erinnert – erwachsen geworden.

So fährt Künzli in den vergangenen Jahren auf Erfolgskurs, als sie Anfang des Jahres einen Anruf vom Schweizer Fernsehen bekommt. Sie sei für den Swiss Award in der Kategorie Wirtschaft nominiert. Spontan fragte sie, ob sie da zurücktreten könne, das sei nun wirklich nicht ihr Ding. Natürlich war das nicht möglich. «Und einfach nicht hingehen wär ja auch blöd gewesen.» Also ging das ganze Führungsteam von Künzli hin, und sie hielt zum Schluss den Preis in den Händen, setzte sich gegen die männliche Konkurrenz durch. Sichtlich bewegt dankte Artmann den Gründern der Firma, Werner und Kurt Künzli, sowie Molli, ihrer Mutter, und, nicht zu vergessen, der Schweiz – «dem Land, in dem ich Gast bin».

Von gutem Stil, Kompromissen und allem, was glücklich macht

Während vielen Deutschen in der Schweiz im Moment ein scharfer Wind um die Nase weht, winkt Artmann ab. «Ich habe keine Probleme.» Aber wie man in den Wald hineinrufe, so schalle es bekanntlich heraus. «Es gibt vielleicht manche Landsleute, die ein bisschen laut sind und ein bisschen wenig zuhören.» Bewusst habe sie in ihrer Rede gesagt, dass sie hier Gast sei. «Das bedeutet, ich muss mich der Kultur erst einmal annähern und mich auch anpassen. Wenn man das macht, sind die Schweizer sehr offen. Und wenn sich ein Minister hinstellt und den Menschen im Nachbarland als Indianer mit der Kavallerie kommen will, ist das kein guter Stil. Mich hat das geärgert.»

Auch Artmann hatte anfangs lernen müssen, dass in der Schweiz eine andere Grundhaltung herrscht als anderswo. Im täglichen Geschäft sei sie – bildlich gesprochen – nach Mehrheitsentscheiden losgerannt. «Und als ich mich umschaute, war keiner da.» Ihre  Erklärung: «Hier muss der Einzelne überzeugt sein, man rennt nicht einfach so mit.» Das schätzt sie sehr. Die Schweiz ist ihrer Meinung nach anders gestrickt als der Rest der Welt. Während überall die Mehrheit das grösste Gut sei und Mehrheitsentscheidungen richtungsweisend seien, lege die Schweiz Wert darauf, die Eigenart und die Individualität der Menschen zu erhalten. «Ich bin auch nicht gerade das Durchschnittslebewesen und finde es schön, wenn das akzeptiert wird.»  Sie findet es sehr angenehm, dass das Individuum stark berücksichtigt werde. «Es ist zu hoffen, dass dies erhalten bleibt.» Artmann setzt sich beruflich mit Herzblut für den Standort Schweiz ein. Am 1. April eröffnet Künzli einen Flagshipstore in Zürich, in der trendigen neuen Einkaufsmeile «Im Viadukt». Ein Meilenstein, wie sie sagt.

Einen Preis muss sie für ihren Lebens
traum als Unternehmerin schon zahlen. Auch wenn sie inzwischen nicht mehr 16 Stunden am Tag arbeitet, ist ihr Privatleben sehr eingeschränkt. Die Familie habe sie quasi «outgesourct», lacht sie. Und meint: Ihre alleinerziehende Schwester hat zwei Töchter von 9 und 13 Jahren, zu denen sie als «coole Tante» eine starke Bindung hat.

Das heisse nicht, dass Kinder und Familie weniger Bedeutung hätten, nur habe sie eben so entschieden. «Ich hätte ja etwas ändern können, wenn ich es gewollt hätte.» So sind nun die Schwester und die Nichten ein fester Pol in Artmanns Privatleben. Es wird sicher einmal ein Leben nach Künzli geben, aber darüber nachdenken will Artmann jetzt noch nicht. «Ich bin am richtigen Platz angekommen», sagt sie. Mit der Firma habe sie alles bekommen, was sie glücklich mache.

Barbara Artmann

ist Jahrgang 1961. Sie studierte Psychologie an der Universität Mannheim mit dem Nebenfach Betriebswirtschaft. Nach Beendigung des Studiums im Jahr 1986 arbeitete sie sechs Jahre im Marketing, bei Procter & Gamble und im Foodbereich, anschliessend wechselte sie als Beraterin zu McKinsey. Dann leitete sie den Lifestyle-Verlag PRINZ in Hamburg. 1996 zog sie in die Schweiz und war zwei Jahre als Projektleiterin für Finanzprodukte bei der Zürich Versicherung verantwortlich. Von 1998 bis 2002 war sie als Leiterin strategische Projekte im Asset-Management der UBS tätig. Im Januar 2004 kaufte sie das Schweizer Traditionsunternehmen Künzli und beschäftigt derzeit 28 Mitarbeiter. Der grösste Teil der Produktion erfolgt in den Betriebsräumen in Windisch AG. Artmann ist ledig und lebt im Aargau.

 

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