"Nach einem Coming-out ist der Alltag einfacher"
Kürzlich hat sich Ex-Fussballer Thomas Hitzlsperger unter grossem medialen Getöse als schwul geoutet. Homosexualität ist scheinbar immer noch ein Tabuthema im Sport, insbesondere im Fussball. Auch in der Wirtschaft? Homosexuelle Topmanager sind in der Schweiz jedenfalls kaum bekannt.
Das Coming-out des Ex-Fussballers Thomas Hitzlsperger (Mitte) sorgte für Furore. (Bild: Keystone)
In vielen Ländern werden Homosexuelle regelrecht kriminalisiert. Traurige Berühmtheit erlangte diesbezüglich in letzter Zeit Russland: Präsident Wladimir Putin hat ein Gesetz unterzeichnet, das sogenannte Homosexuellen-Propaganda im Beisein von Kindern verbietet. Das Gesetz hat weitreichende Folgen: Nur schon das Sprechen über gleichgeschlechtliche Liebe ist im Beisein von Kindern verboten, wenn sie als positiv oder neutral dargestellt wird. In 70 Ländern weltweit ist Homosexualität ein Straftatbestand, in sieben Ländern droht gar die Todesstrafe. Ganz zu schweigen von der gesellschaftlichen Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben: Beschimpfungen und Prügelattacken sind nichts Ungewohntes.
In der Schweiz sind wir privilegiert, Zustände wie in Russland undenkbar. Dennoch ist auch hierzulande die sexuelle Orientierung von in der Öffentlichkeit stehenden Personen ein Thema. So titelte etwa der «Blick» vor der Wahl von Corine Mauch ins Zürcher Stadtpräsidium: «Eine Lesbe als Stapi?» Und auch der Fall Hitzlsperger hat grosse mediale Aufmerksamkeit erregt. Wie würde die Öffentlichkeit auf einen homosexuellen Top-Manager reagieren? Fakt ist: Bis jetzt hat sich noch kein ranghoher Firmenboss als schwul geoutet. Dass es im Top-Management schlicht keine homosexuellen Führungskräfte gibt, ist jedoch relativ unwahrscheinlich. Einen möglichen Grund, warum sich keiner outet, nennt Max Scheidegger, Geschäftsführer der Zürcher Gesellschaft für Personal-Management: «In den Unternehmen ist die Toleranz gegenüber Schwulen tiefer als in der Politik», sagte er gegenüber «20 Minuten». HR Today hat diese Aussage zum Anlass genommen, um dem Thema Coming-out von Topmanagern nachzugehen.
Irreversibler Schritt
«Ein Coming-out ist ein irreversibler Schritt», sagt Oliver Fritz, Präsident von Network, dem Verein schwuler Führungskräfte. «Danach wissen es alle und man ist in der Kategorie ‘homosexuell’ abgelegt.» Die Folgen, etwa die Reaktionen der Arbeitskollegen, seien a priori nicht vorhersehbar. Fritz glaubt aber, dass sich Homosexuelle nach ihrem Coming-out besser fühlen. «Der Alltag wird viel einfacher.» Er vertritt sogar die These, dass Homosexuelle danach ihren Job besser machen: «Sie müssen keine Energie mehr darauf verwenden, ihre sexuelle Orientierung zu verheimlichen.» In einer sehr diskreten Umgebung sei es vielleicht möglich, sein Privatleben für sich zu behalten. Doch in einem - heute üblichen - sozialen, offenen, interaktiven Umfeld, in dem man sich über den Alltag austausche, sei es sehr anstrengend, sich dauernd Ausreden einfallen lassen zu müssen. «Nach dem Coming-out ist man deshalb produktiver», so Fritz.
Der Network-Präsident rät zudem, sich möglichst früh zu outen. Sonst komme nämlich die unangenehme Frage: Warum hast du das nicht früher gesagt? Und darauf gebe es nur zwei ebenso unangenehme Antworten: Entweder ist das – homophobe – Umfeld schuld, was einen Vorwurf an die Kollegen impliziert, oder man hat sich nicht getraut. «Letzteres passt nicht zu einer Führungskraft, die authentisch und integer sein sollte.»
Ob man sich outen soll oder nicht, sei abhängig von der Unternehmenskultur, findet Martina Hubacher, Geschäftsführerin, Politikerin und Member von Wybernet, dem Netzwerk für engagierte lesbische Berufsfrauen. «In der Verwaltung ist Homosexualität kein Problem, ebensowenig in Grossunternehmen, denn dort ist Diskriminierung gemäss Policies nicht erlaubt.» Teilweise gebe es sogar Schwulen- und Lesbennetzwerke in den Firmen. Ist der Chef homophob, sei ein Coming-out natürlich schwierig.
Auch findet Hubacher, dass bei Managern weniger die sexuelle Orientierung als vielmehr ihreLeistung im Vordergrund steht. Dem pflichtet Angelo Ciaramella bei, Headhunter mit Affinität zu Diversity-Themen: «Homosexualität in der Teppichetage ist weniger ein Tabuthema, sondern vielmehr kein Thema.» Die Komplexität lasse sich jedoch nicht in wenigen Sätzen beantworten oder gar generalisieren und hänge von vielen internen wie externen Faktoren ab, ergänzt Ciaramella. «Man könnte sich zwar outen, aber warum soll man? Geht es dabei um die eigene Befindlichkeit oder um eine wohlwollende Vorreiterrolle für das Unternehmen?»
In gewissen Kreisen ein Problem
Was für Folgen das Outing eines Topmanagers haben kann, ist offen. Dass der Stuhl einer lesbischen Chefin deshalb wackelt, glaubt Ciaramella nicht. «Ein Outing des CEOs kann allenfalls ein Problem sein, wenn die Firma in einem Land wie Russland Fuss fassen will.» Auch in konservativen Kreisen kann es eher missbilligend aufgenommen werden, wenn der Boss an Firmenanlässen mit dem Partner auftaucht.
Kommt hinzu, dass bei der Rekrutierung von Führungskräften oft das familiäre Umfeld mitbeurteilt wird. Da könne das klassische Mann-Frau-Kind-Setting von Vorteil sein, mutmasst Oliver Fritz. Allerdings sei dies längst nicht mehr in allen Branchen so, sagt Fritz und erwähnt etwa die Modebranche oder auch Apple, dessen CEO Tim Cook bekanntlich schwul ist. Oute sich beispielsweise der Topmanager einer Grossbank, werde sicher breit darüber berichtet. «Manche Kunden werden dann abspringen, aber andere könnte die Bank genau deswegen dazugewinnen», schätzt Fritz. Er kann sich auch nicht vorstellen, dass plötzlich die halbe Belegschaft kündigt.
Warum sich in der Schweiz noch kein namhafter Top-Manager geoutet hat, dafür hat Fritz keine abschliessende Erklärung. Er kann sich aber vorstellen, dass es einfach noch etwas Zeit braucht und sich die jüngere Generation mit dem Coming-out leichter tun werde: «Die, die schon lange oben sind, haben es schwieriger, die Hürde ist höher. Vielleicht haben sie den richtigen Zeitpunkt verpasst. Junge Aufsteiger haben es sicher einfacher.» Das glaubt auch Angelo Ciaramella. Die heutigen Manager sind noch aus der Generation Babyboomer. Als sie jung waren, war ein Coming-out kein Thema, weil gesellschaftlich noch tabuisiert, das zieht sich noch heute hin. «In 20 Jahren wird es niemanden mehr interessieren, welche sexuelle Orientierung ein Manager hat.»
Fritz kann sich vorstellen, dass es plötzlich schnell geht, wenn das Eis einmal gebrochen ist: «Wenn sich erst mal zwei, drei Topmanager outen, werden andere folgen.» Denn das Coming-out von Personen in Spitzenposititionen habe deutlich zugenommen, einfach noch nicht in der Schweiz. «Nach Hitzlsperger wird es der nächste Fussballer deutlich leichter haben.»
Generell sehen aber Hubacher, Ciaramella und Fritz durchaus, dass die Toleranz gegenüber Homosexuellen in unserer Gesellschaft zugenommen hat. Oliver Fritz vom Verein schwuler Führungskräfte zweifelt denn auch an Scheideggers Aussage, wonach die Toleranz in der Wirtschaft tiefer sei als in der Politik. «Aber klar machen sich Firmenchefs Gedanken, bevor sie sich outen, sie wollen ja auch ihre Firma nicht zu sehr exponieren.» Fritz sieht die Unternehmen in der Pflicht: «Diversity & Inclusion ist eine richtige und wichtige Sache. Firmen sollten sich vermehrt zu Diversität bekennen, denn dazu gehören nicht nur andere Kulturen und unterschiedliche Altersgruppen, sondern eben auch Schwule und Lesben.»