Arbeitsrecht

Nachtarbeit – wichtige Neuerungen bei der medizinischen Untersuchung

Rund 20 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten abends oder nachts. Ab 25 Nachtschichten pro Jahr müssen Arbeitgebende eine medizinische Untersuchung anbieten, teils sogar obligatorisch. Was die wichtigsten Neuerungen sind – und wie sie gehandhabt werden müssen.

Nachtarbeit über einem bestimmten Mass erfordert eine medizinische Untersuchung des Personals. (Bild: iStock / Ranta Images)

Grob gesagt verlangt das Gesetz vom Arbeitgeber, dass für alle Arbeitnehmenden, die nachts zwischen 23 und 6 Uhr arbeiten, ab 25 Nächten pro Jahr mindestens alle zwei Jahre eine medizinische Untersuchung angeboten wird. Diese Untersuchung wird obligatorisch, wenn zum Beispiel allein gearbeitet wird oder gefährliche Arbeiten in der Nacht durchgeführt werden. Die Untersuchung ist präventiver Natur und zielt darauf ab, bestehende gesundheitliche Risiken abzuschätzen und vor einer Verschlechterung der Gesundheit durch die Nachtarbeit zu bewahren. Die Details dazu findet man in den Broschüren des SECO (siehe Box) oder im Arbeitsgesetz.

Die Arbeitgebenden haben einen grossen Spielraum, um diese Verpflichtung zu erfüllen. Je nach Unternehmen kann diese Aufgabe durch Ärztinnen beziehungsweise Ärzte intern oder durch ein Mandat extern übernommen werden. 

Gemäss Gesetz muss die untersuchende Ärztin oder der untersuchende Arzt den Betrieb und die ausgeführten Arbeiten kennen. Er oder sie muss sich mit dem Arbeitsprozess, den Arbeitsverhältnissen und den arbeitsmedizinischen Grundlagen vertraut gemacht haben (Art. 43 Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz). Die konkrete Arbeitssituation der zu untersuchenden Mitarbeitenden ist also ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Beurteilung, um Belastungen und Risiken richtig einschätzen zu können. Wird diese Untersuchung durch die jeweiligen Hausärztinnen und -ärzte der Arbeitnehmenden durchgeführt, muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass die drei Anforderungen oben erfüllt sind, da ohne diese Informationen der Fachperson die Kenntnisse über den Betrieb und die ausgeführten Arbeiten fehlen.

Zwecke der medizinischen Untersuchung:  

  • Erkennung von Gesundheitsproblemen, die infolge von Nacht- und Schichtarbeit entstehen können (Screening-Untersuchung).
  • Erkennung von für eine Nacht- beziehungsweise Schichttauglichkeit relevanten vorbestehenden Erkrankungen (Eignungsabklärung).
  • Beratung bezüglich gesundheitlicher Probleme der Schichtarbeit, um diesen vorzubeugen (Prävention).

Die medizinische Untersuchung bei Schicht- und Nachtarbeit ist eine Kontrolle des allgemeinen Gesundheitszustands; sie richtet sich nach der Tätigkeit, den Gefährdungen am Arbeitsplatz und der Häufigkeit der Nachtarbeit. Um die Gefährdungen richtig abschätzen zu können, ist eine individuelle Beurteilung notwendig, in die auch die persönliche Situation der oder des Mitarbeitenden einfliesst. Frauen haben Anspruch auf medizinische Untersuchung und Beratung durch eine Ärztin.

Neu wird für die Untersuchung eine Blut- statt eine Urinanalyse gefordert. Zudem werden durch die untersuchende Ärztin respektive den untersuchenden Arzt individuelle Risikofaktoren stärker gewichtet, um die Eignung zu bestimmen.

Schicht- und Nachtarbeit ist ungesund


Der Gesetzgeber verlangt eine Untersuchung, weil Arbeiten in der Nacht ungesund ist. Die fehlende körperliche und geistige Erholung hat Auswirkungen auf den gesamten Körper – insbesondere auf das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel und die Psyche.

Der zirkadiane Rhythmus (innere Uhr) des Menschen sieht vor, am Tag wach zu sein und in der Nacht zu ruhen. Dieser variiert von Person zu Person und beträgt ungefähr 24 Stunden. Viele Körperfunktionen sind eng an die innere Uhr gekoppelt, wie zum Beispiel Herzfrequenz, Blutdruck, Verdauung, aber auch Zellteilung und psychische Leistungsfähigkeit. Arbeiten gegen die innere Uhr ist deshalb belastend und kann sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken.

Schicht- und Nachtarbeit erhöht gesundheitliche Risiken für viele Symptome und Erkrankungen, die alle durch grosse wissenschaftliche Übersichtsarbeiten belegt sind. Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen (zum Beispiel erhöhter Blutdruck), das metabolische Syndrom, Diabetes, Übergewicht und Fettleibigkeit und erhöhte Blutfettwerte entstehen dadurch häufiger, genauso wie Erkrankungen des Verdauungsapparats (zum Beispiel saures Aufstossen) und Appetitverlust aufgrund der schlechteren Ernährung. 

 

«Schicht- und Nachtarbeit erhöht gesundheitliche Risiken für viele Symptome und Erkrankungen, die alle wissenschaftlich belegt sind.»

 

Schlafstörungen und Schlafmangel bei Schichtarbeitenden sind ebenfalls weit verbreitet, was zu einem erhöhten Risiko für Demenz führt und die innere Uhr zusätzlich aus dem Gleichgewicht bringt. Auch Unfälle kommen aufgrund der Müdigkeit häufiger vor. 

Auf psychischer Ebene steigt die Anfälligkeit für Nervosität, Unruhe, Stress, Angststörungen, Depression und Suchterkrankungen (zum Beispiel Tabak, Cannabis und Alkohol). Auch das Risiko für Brust-, Prostata- und Darmkrebs ist erhöht. Schichtarbeit hat auch einen Einfluss auf die Hormone. Bei Frauen kann sie zu Störungen des Menstruationszyklus und zu einer verfrühten Menopause führen, beim Mann zu einer Reduktion des Testosterons. Bei Schwangerschaft ist mit einem erhöhten Risiko für Probleme sowie Fehl-, Mangel- und Frühgeburten zu rechnen.

Die Risiken werden weiter erhöht, wenn allgemeine Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und/oder Bewegungsmangel dazukommen. Deswegen müssen die erhöhten Risiken insbesondere im Kontext von anderen Risikofaktoren individuell abgewogen werden. 

Kosten trägt der Arbeitgeber


Der Arbeitgeber trägt die Kosten für die medizinische Untersuchung und Beratung (Art. 17c im Arbeitsgesetz). Die Kosten richten sich nach den Empfehlungen des Stundensatzes der SGARM und sind nicht im TARMED abgebildet. Diese beinhalten eine Anamnese mit klinischer Untersuchung (inklusive Blutanalyse) und einer individuellen Beratung. 

Es handelt sich aber nicht um eine vertrauensärztliche Untersuchung, sondern um eine Screening-Untersuchung. Werden Erkrankungen während dieser Untersuchung festgestellt, müssen diese bei der Hausärztin beziehungsweise dem Hausarzt abgeklärt und behandelt werden, bevor eine Eignung ausgesprochen werden kann.

Soziale Effekte nicht unterschätzen


Neben den körperlichen und psychischen Effekten führt Schicht- und Nachtarbeit auch dazu, dass sozial wichtige Zeit knapp wird. Betroffene leben in anderen Rhythmen, was sich auf das persönliche Umfeld und das Familienleben auswirkt: Dies kann zu sozialen Problemen in der Familie oder im Freundeskreis führen. Bei hintereinanderliegenden Spät-­ und Nachtschichten ist die Teilnahme an gemeinsamer Aktivität am Abend mit Familie, Freunden und Bekannten (zum Beispiel in Vereinen) sowie eine Weiterbildung schwieriger. 

Die Betreuung von Kindern, Betagten oder pflegebedürftigen Angehörigen und die Haushaltsführung sowie andere Verpflichtungen können die Situation zusätzlich erschweren. Schichtarbeit erfordert es also, die Freizeit laufend zu planen. Dies stellt oft eine zusätzliche Belastung dar, was Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben kann. Umso wichtiger ist es, die Schichtpläne frühzeitig zu erstellen und den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, in die Planung mit einbezogen zu werden oder die Schichten untereinander abzutauschen, wie es in der Broschüre des SECO für die Schichtplanung empfohlen wird.

Das Beschäftigen von Schicht- und Nachtarbeitenden ist nicht nur eine organisatorische Aufgabe, sondern beinhaltet auch medizinische und soziale Abklärungen. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Arbeitnehmenden ist deswegen auch eine Herausforderung für das moderne Management.

Samuel Iff, FMH Arbeitsmedizin und FMH Public Health, ist Facharzt für Arbeitsmedizin und Prävention beim Staatssekretariat für Wirtschaft SECO. (www.seco.admin.ch

Informationsmaterial 

Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO stellt verschiedene Broschüren zur Information der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung. 

Leitfaden für die medizinische Untersuchung: www.seco.admin.ch/medizinische-untersuchung-beratung-nachtarbeit 

Broschüre für allgemeine Tipps bei Arbeit in der Nacht und in Schicht: www.seco.admin.ch/broschuere-schichtarbeit-nachtarbeit 

Broschüre Ernährungsempfehlungen bei Nacht- und Schichtarbeit: www.seco.admin.ch/broschuere-schichtarbeit-ernaehrung

Broschüre für die moderne Schichtplanung: www.seco.admin.ch/broschuere-schichtmodelle

 

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Text: Samuel Iff

Samuel Iff, FMH Arbeitsmedizin und FMH Public Health, ist Facharzt für Arbeitsmedizin und Prävention beim Staatssekretariat für Wirtschaft SECO.

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