HR Today Nr. 5/2022: Arbeit und Recht II – Homeoffice

Wie viel Flexibilität ist erlaubt?

Wer im Homeoffice ohne Pause durcharbeitet, missachtet das Arbeitsgesetz. Wer den Homeoffice-Arbeitsplatz verlässt, weil er zum Arzt muss, begibt sich in eine Grauzone.

Oft wird angenommen, dass mit der Einführung des Home­office völlige Souveränität der Arbeitnehmenden in Bezug auf die Arbeitszeit besteht. Dem ist aber nicht so. Ist auf ein Arbeitsverhältnis das Arbeitsgesetz anwendbar – was die Regel ist –, so sind auch im Homeoffice die Arbeits- und Ruhezeitvorschriften des Arbeitsgesetzes zu beachten. Der Arbeitgeber ist für die Einhaltung verantwortlich.

Arbeitswoche

Während einer Arbeitswoche dürfen Arbeitnehmende höchstens an fünfeinhalb Tagen pro Woche arbeiten. Ausnahmen sind nur begrenzt möglich. Nicht überschritten werden darf die wöchentliche Höchts­arbeitszeit. Das Arbeitsgesetz unterscheidet bei den ver­schiedenen Berufsgruppen (Art. 9 ArG):

  • 45 Stunden für Arbeitnehmende in industriellen Betrieben, Büropersonal, technische und andere Angestellte (vor allem geis­tiger Bereich), Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels;
  • 50 Stunden für alle übrigen Arbeitnehmenden.

Als Arbeitszeit im Sinne des Gesetzes gilt die Zeit, während der sich der Arbeitnehmende zur ­Verfügung des Arbeitgebenden zu halten hat. Muss etwa ein im Homeoffice tätiger Arbeitnehmender auch während der Mittagspause verfügbar sein, ist diese Zeit in der Regel ebenfalls als Arbeitszeit zu betrachten.

Abend- und Nachtarbeit

Abendarbeit (von 20 bis 23 Uhr) ist bewilligungsfrei. Soll sie aber eingeführt werden, so muss die Arbeitnehmervertretung oder – sofern eine solche nicht besteht – die betroffenen Arbeitnehmenden angehört werden (Art. 10 Abs. 1 ArG). Die Tages- und Abendarbeit darf, inklusive Pausen und Überzeit, maximal 14 Stunden betragen. Aufgrund der zwingenden Pausen etc. führt das gemäss nicht unbestrittener Praxis des Seco zu einer maximalen effektiven Arbeitszeit von 12,5 Stunden pro Tag.

Hingegen ist die Arbeit in der Nacht, an Sonntagen sowie gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich verboten und nur mit einer entsprechenden Bewilligung erlaubt, welche nur aus besonderen Gründen erteilt wird. Das heisst, ohne Bewilligung ist die Tätigkeit in der Nacht, an Sonn- und an Feiertagen nicht erlaubt.

Arbeitgeber müssen einschreiten, wenn sie feststellen, dass ihre im Homeoffice tätigen Arbeitnehmenden die Arbeitsleistung auf die ganze Woche verteilen. Dies stellt einen ­Verstoss gegen die Dauer der Arbeitswoche sowie gegen das Sonntagsarbeitsverbot dar.

Pausenvorschriften im Homeoffice

Auch im Homeoffice sind die zwingenden Pausen gemäss Arbeitsgesetz einzuhalten:

  • 15 Minuten bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 5,5 Stunden
  • 30 Minuten bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 7 Stunden
  • 1 Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden
  • Pausen müssen um die Mitte der Arbeitszeit angesetzt ­werden; bei mehr als 5,5 Stunden Arbeitszeit ohne Pause sind zusätzlich 15 Minuten Pause zu geben (Art. 18 ArGV1).

Die Durchsetzung der Pausenvorschriften kann sich im Homeoffice als äussert schwierig erweisen – doch bleibt der Arbeitgebende verantwortlich.

Einem Arbeitnehmenden ist es nicht erlaubt, wenn etwa die Kinder die Wohnung um 7 Uhr für den Besuch einer Tagesschule verlassen und um 15 Uhr zurückkehren, durchgehend im Home­office zu arbeiten, damit er um 15 Uhr wieder voll für die Kinder verfügbar ist. Das würde einen Verstoss gegen die Pausenvorschriften darstellen. Da in diesem Fall mehr als 7 Stunden gearbeitet würde, müsste mindestens eine halbe Stunde als Pause eingeplant werden, die Arbeitszeit würde somit maximal 7,5 Stunden betragen.

Arbeitszeiterfassung

Auch im Homeoffice sind zwingend die Arbeitszeiten zu erfassen (sofern kein gesetzlicher Ausnahmetatbestand vorliegt). Gerade im Home­office ist dies besonders wichtig, will sich ein Arbeitgebender nicht mit dem Vorwurf des ­Verstosses gegen das Ar­beits­gesetz konfrontiert sehen. Die Arbeitszeiterfassung wird gerade im Homeoffice zum wichtigen Führungsinstrument.

Wann ist die Arbeit zu leisten?

Vorgängig wurden die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen aufgezeigt, welche auch im Homeoffice einzuhalten sind. Auf die Frage, wann genau die Arbeit zu leisten ist, geben sie allerdings keine Antwort. Hier ist das Obligationenrecht, insbesondere das Weisungsrecht ­relevant. Einigen sich die Parteien des Arbeitsvertrages auf Homeoffice, wird «nur» der Arbeitsort verlegt. Erfolgt keine weitere Vereinbarung über die Arbeitszeit, so gilt die bisherige Regelung. Im Rahmen von gleitender Arbeitszeit sind weiterhin die Blockzeiten zu beachten. ­Exis­tierte keine gleitende Arbeitszeit, gilt der Arbeitsvertrag beziehungsweise, wenn der Arbeitsvertrag keine Regelung über den Zeitpunkt der Arbeitsleistung vorsieht, legt der Arbeitgebende mittels seines Weisungsrechts die Arbeitszeiten fest. Einigen sich die Arbeits­vertragsparteien somit lediglich auf Home­officearbeit, dürfte es dem Arbeitnehmenden in der Regel weiterhin unmöglich sein, seine Arbeitszeit frei zu bestimmen. Wird im Büro von 8 bis um 12 Uhr gearbeitet, beziehungsweise wurde das vom Arbeitgebenden angeordnet, gilt das auch für das Homeoffice.

Arztbesuche während dem Homeoffice?

Das Obligationenrecht gewährt den Arbeitnehmenden unter verschiedenen Gründen die kurzfristige Befreiung von der Arbeitsleis­tung als ausserordentliche Freizeit. Die ausserordentliche Freizeit ist in Art. 329 Abs. 3 OR geregelt und lautet wie folgt: «Dem Arbeitnehmer sind im Übrigen die üblichen freien Stunden und Tage und nach erfolgter Kündigung die für das ­Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle erforderliche Zeit zu gewähren.»

Im Rahmen dieser Bestimmung haben die Arbeitnehmenden die Freiheit, wichtige persönliche Angelegenheiten während der Arbeitszeit zu erledigen. Darunter wird auch verstanden, dass Arztbesuche, sofern nicht in der Freizeit möglich, während der Arbeitszeit erfolgen können. Diese Regelung gilt auch für das Homeoffice. Es ist aber in jedem Fall zu prüfen, ob auch ein Arzttermin während der Freizeit oder den Pausen möglich wäre, was wohl je nach Flexibilität der Arbeitszeit im Homeoffice eher der Fall sein dürfte. Ist es beispielsweise einem Arbeitnehmenden erlaubt, die Arbeitszeit von 5 bis 23 Uhr unter Einhaltung der zwingenden Pausen­vorschriften frei zu gestalten, dürfte es für ihn praktisch nur möglich sein, den Arztbesuch während den Pausen oder der (nicht entschädigten) Freizeit wahrzunehmen.

Auch für Arbeitnehmende mit völliger Flexibilität wäre es notwendig, dass sie ihre Arbeitgebenden über ihre Abwesenheit informieren, ausser es liege eine diesbezügliche Vereinbarung vor.

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Nicolas Facincani, lic. iur., LL.M., ist Partner der Anwaltskanzlei Voillat Facincani Sutter + Partner. Er ist als Rechtsanwalt tätig und berät Unternehmen und Private vorwiegend in wirtschafts- und arbeitsrechtlichen Belangen. Er doziert zudem regelmässig zum Arbeitsrecht. www.vfs-partner.ch

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