Neue ISO-Norm soll Vielfalt sozialer und ökologischer Standards vereinen
In einer global vernetzten Wirtschaft ist ein einheitlicher Standard für soziales und ökologisches Handeln wünschenswert. Bisher fehlte dieser – Firmen sahen sich mit einer Vielzahl zum Teil sehr verschiedener Ansätze konfrontiert. Die neue Norm ISO 26000 soll das ändern und verantwortliches Verhalten von Unternehmen und Organisationen greifbar machen.
Schmelzende Gletscher, Überschwemmungen, steigende Energiepreise und gleichzeitige Knappheit der Ressourcen – das Umweltszenario ist nicht sehr beruhigend. Seit Jahren haben auch Unternehmen weltweit das Problem erkannt und die Rolle, die ihnen als Teil der Gesellschaft zukommt. Hinzu kommt die soziale Verantwortung für Mitarbeiter, Konsumenten und Lieferanten.
«Hier geht es nicht um Wohltätigkeit», hält Josef Wieland*, Professor für Allgemeine BWL mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Unternehmensethik vom Institut für Wertemanagement der Universität Konstanz, fest. Eine gesellschaftliche Verantwortung habe immer auch mit strategischem Management zu tun. «Unternehmen müssen sich mit ihrer Beziehung zur Gesellschaft eingehend beschäftigen.» Hierbei gehe es einerseits um Risikomanagement im Hinblick auf Korruption, Sozialstandards, Gefangenen- oder Kinderarbeit, aber auch um die Reputation des Unternehmens. «Durch ein Engagement für die Gemeinschaft wird man als Player auch akzeptiert», meint Wieland.
Unterschiedliche Standards sind nur sehr schwer vergleichbar
Unternehmen, die sich für die Gesellschaft und die Umwelt engagieren möchten und auf der Suche sind nach praktikablen Ansatzpunkten, mögen jedoch zunächst verwirrt sein. SA 8000, ISO 14000, UN Global Compact oder GRI sind nur einige Zertifikate und Standards, die Unternehmen helfen sollen, ihr verantwortungsvolles Handeln in Leitlinien zu verankern. SA 8000 ist ein privater Standard, der von einer Menschenrechtsorganisation in Zusammenarbeit mit Unternehmen erarbeitet wurde und den Schwerpunkt auf Arbeitsbedingungen legt.
Für Unternehmen in der westlichen Welt ist er vor allem dann relevant, wenn sie aus Entwicklungs- oder Schwellenländern beschaffen. Manche Standards wie SA 8000 sind eher auf soziale Themen, andere, wie ISO 14000, eher auf ökologische Themen fokussiert. Im Umweltbereich ist Letzterer gut eingeführt. Da er jedoch ein reiner Managementstandard ist, sagt er nichts über die Produktqualität aus, sondern lediglich darüber, ob Organisationen ein Führungssystem aufgebaut haben, das geeignet ist, systematisch mit ökologischen Themen umzugehen und die Einhaltung der Umweltgesetze zu gewährleisten.
«Die verschiedenen Standards haben eine ganz unterschiedliche Bindekraft», erklärt Wieland. Die GRI (Global Reporting Initiative) ist ein Standard, der soziale und ökologische Aspekte behandelt und ein einheitliches Raster vorgibt, wie Firmen Kennzahlen erheben und Bericht erstatten, um eine vergleichbare Beurteilung zu erhalten. SA 8000 ist im Gegensatz zu ISO 14000 ein eher performanceorientierter Standard und weniger prozessbezogen ausgelegt. Hierin ist präzise vorgegeben, welche Kernarbeitsnormen beispielsweise in Bezug auf Arbeitszeiten oder Mindestlöhne einzuhalten sind. Diese Minimalstandards sind noch längst nicht in allen Ländern umgesetzt.
Seit vier Jahren arbeitet eine Expertengruppe rund um den Globus an einer übergeordneten Richtlinie, der ISO 26000. Hintergrund ist, dass es bisher keine internationale Norm für verantwortungsvolles Handeln in Unternehmen gibt und eine klare, einheitliche Grundlage fehlt. ISO 26000 soll Begriffe und Konzepte klären und Unternehmen sowie Nonprofitorganisationen Hilfestellung geben, um soziale und ökologische Verantwortung umzusetzen.
Schwellenländer wollen mehr Einfluss ausüben
ISO 26000 soll ausdrücklich auch für Organisationen in Entwicklungs- oder Schwellenländern anwendbar sein. «China, Brasilien, Indien oder Nigeria haben selbst inzwischen Global Players», so Wieland. «Die westlichen Industrieländer müssen ein Interesse daran haben, Regeln aufzustellen, die auch für diese Länder verbindlich sind.» Die BRIC-Staaten haben laut Wieland einen grossen Einfluss auf den ISO 26000 Prozess genommen. Für sie gehe es um zwei Dinge: Sie wollten nicht an Regeln gebunden werden, die so hohe Ansprüche haben, dass für sie ein Wettbewerbsnachteil entsteht.
China und Indien hätten zudem explizites Interesse daran, selbst Standards zu setzen. Hier sei ein Wettbewerb entstanden um die Frage «Wer setzt die Standards für die Wirtschaft im 21. Jahrhundert?» Das seien nicht automatisch die westlichen Länder wie in den vergangenen 150 Jahren. «Diese Zeit ist vorbei», so Wieland. ISO 26000 sei auch ein Ausdruck dieses Wettbewerbs um Standardsetzungen und somit der Versuch, eine global akzeptierte Norm zu schaffen. «Das Besondere ist», erklärt Wieland, «dass die ISO 26000 aus einem jahrelangen Diskussionsprozess hervorgegangen ist darüber, welche moralischen Regeln und Standards wir von Organisationen erwarten können, wenn sie sich in der Wirtschaft bewegen.»
Herbert Winistörfer leitet den Zertifikatslehrgang Social Management / Social Responsibility an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er ist überzeugt, dass die Intensität von «Social Management» in Unternehmen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Wertschöpfungsketten sind über den Globus stark vernetzt. Mit der Globalisierung sind Konsumenten hierzulande konfrontiert mit Zuständen in Indien, Pakistan oder China. «Die Produkte, die wir hier konsumieren, sind eine Verbindung zu unschönen Zuständen auf der Welt, die durch die weltweiten Ver flechtungen transparent werden», sagt Winistörfer. Das möge auch ein Grund sein, warum Anspruchsgruppen von Unternehmen gerade in letzter Zeit immer stärker verlangen, dass sie freiwillig über die landesspezifischen, gesetzlichen Anforderungen hinaus soziale und ökologische Leistungen erbringen. Dies gelte vor allem für die grossen Unternehmen, die durch ihre bekannten Marken auch eine grosse wirtschaftliche Macht haben.
Soziale Themen sollen in Unternehmen funktionsübergreifend und strategisch angegangen werden. Für Winistörfer ist dies sogar entscheidend für ein erfolgreiches «Social Management». Er erinnert an den Fall einer Grossbank, die während der Fussball-EM etwas Gutes tun wollte und Fussbälle an Kinder verschenkte, bis herauskam, dass diese Bälle in Kinderarbeit hergestellt wurden. Für Winistörfer ein typischer Fall von fehlender Verknüpfung. «Die PR-Abteilung hat entschieden, wir machen etwas für Kinder, und die Einkäufer haben Produkte beschafft, ohne dass beide miteinander die relevanten Themen diskutiert und abgeklärt haben.»
Funktionsübergreifende Verknüpfung macht Synergien nutzbar
Durch die fehlende Verknüpfung werden Synergien nicht genutzt und Ressourcen nicht sinnvoll eingesetzt. «Auch in unserer Weiterbildung wird immer wieder klar, dass es ein grosses Problem ist, dass soziale Themen an unterschiedlichen Orten im Unternehmen platziert sind», so Winistörfer. Die Mitarbeiterthemen lägen beim HR, die Lieferantenthemen beim Einkauf, die Kundenthemen beim Marketing. «Sie alle sind betroffen und brauchen ein verbindendes Element, ein Gremium, in dem soziale Themen strategisch beurteilt werden.»
Die Relevanz von Social Responsibility speziell für das HRM sieht Winistörfer besonders in folgenden Punkten:
- Bearbeitung der mitarbeiterbezogenen sozialen Themen wie Diversity/Nichtdiskriminierung, Work-Life Balance, betriebliche Sozialberatung
- Mitarbeit in einem funktionenübergreifenden Ausschuss zur strategischen Bearbeitung gesellschaftlicher Themen im Unternehmen
- Qualifizierung aller Mitarbeitenden für den Umgang mit gesellschaftlichen Themen an ihrem Arbeitsplatz
- Berücksichtigung von Kompetenzen sowie Werthaltungen und Einstellungen zu gesellschaftlichen Themen als Kriterien für die Rekrutierung
- Einbezug von (individuellen) ökologischen und sozialen Leistungen als lohnwirksame Elemente von Leistungsvereinbarungen
ISO 26000 richtet sich nicht wie der UN Global Compact ausschliesslich an Unternehmen, sondern berücksichtigt sechs klar definierte Stakeholdergruppen, aus denen die jeweiligen Länderexperten stammen. Im Einzelnen sind dies: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Regierungen, NRO/NGO, Konsumentenorganisationen, Dienstleistung und Forschung. Daher spricht man in diesem Zusammenhang nicht von CSR (Corporate Social Responsibility), sondern von SR (Social Responsibility).
«Dieser Stakeholderansatz ist ein ganz wesentliches Merkmal», so Wieland. Ein globaler Standard entstehe in einem globalen Prozess, in dem die relevanten Gruppen beteiligt sind. 600 ausgewählte Experten aus 84 Ländern arbeiten derzeit an der ISO 26000. Jedes Land konnte bis zu sechs Experten in die internationale Konferenz delegieren. Wieland begleitet als deutscher Experte den ISO-26000-Prozess von Beginn an. Die Diskussionen begannen bereits im Jahr 2001, 2005 einigte man sich in Bangkok auf die Inhaltsstruktur der künftigen ISO 26000, nächstes Jahr soll der Prozess abgeschlossen sein, wobei dies laut Wieland durchaus noch fraglich ist. Der Normierungsprozess ist bisher ausserhalb der ISO abgelaufen, anders als bei bisherigen Verfahren, in denen von Anfang an Mitarbeiter der ISO involviert waren. So wird das Ergebnis erst jetzt in den ISO-Prozess eingespeist. Es könne immer noch sein, dass einzelne Länder sagen: «Das akzeptieren wir nicht».
Eher eine Leitlinie, die Systematik in das Thema bringt
Die ISO 26000 formuliert sieben Prinzipien, die gesetzliches Verhalten definieren sollen:
- Verantwortlichkeit
- Transparenz
- Ethisches verhalten
- Respekt für Stakeholderinteressen
- Respekt des Rechts
- Respekt für internationale Normen
- Respekt für Menschenrechte
Wer sich als sozial verantwortlicher Akteur qualifizieren will, muss diesen Prinzipien folgen, denen sieben Kernaspekte mit ihren Themen zugeordnet sind: Menschenrechte, Arbeitsbedingungen, Umwelt, Integrität, Antikorruption, Konsumentenverhalten, Engagement in der Gemeinschaft. «Der Standard wird im Wesentlichen zeigen, wie die Prinzipien implementiert werden können und ein Best Practice geben», so Wieland. Der Wert von ISO 26000 liegt für ihn weniger in den unterschiedlichen Forderungen als vielmehr im Prozess selbst. «Darin, dass es gelingen kann, Menschen aus Organisationen der ganzen Welt zusammenzubringen.»
Die neue Norm wird die bisherigen Standards, Labels, Verhaltenskodizes nicht ersetzen, sondern relevante Punkte aus den verschiedenen Dokumenten zusammenführen. «Ethik lässt sich nicht zertifizieren», so Winistörfer. So sei ISO 26000 auch eher als Leitlinie zu verstehen. Dieser Ansatz funktioniere nur, wenn Elemente aus der ISO 26000 mit Unternehmenskultur in Einklang gebracht würden. Welche Aspekte letztlich für ein Unternehmen relevant sind, hängt vom jeweiligen Business Case ab. Die Unternehmen stünden ISO 26000 grundsätzlich offen gegenüber, meint Wieland. «Sie begrüssen, dass es ein Regelwerk geben soll, das für alle verpflichtend ist, weil es wettbewerbsneutral ist.» Sie lehnten jedoch ein neues Qualitätsmanagement à la ISO 9000 ab, in dem alles genau vorgeschrieben ist.