Neue Vielfalt bei den HR-Karrieren: Vom Experten zum Multitalent
Das «Ulrich-Modell» bewirkt eine Spezialisierung der HR-Funktion, die konsequente Umsetzung führt zu immer neuen Berufsbildern. Zudem entstehen hybride Karrieremodelle, die HR-Verantwortung und externe Beratung oder Linienverantwortung kombinieren.
(Illustration: iStockphoto)
Facebook gehört zusammen mit Google, LinkedIn, Twitter und Netflix zu den Unternehmen mit den innovativsten HR-Programmen. Der Kampf um Computerspezialisten in der Bay Area, aber auch in Bangalore, Budapest und Buenos Aires ist gnadenlos. Im Januar dieses Jahres lud Facebook 75 000 Computerfreaks zu einem «Hacker Cup» ein. Das Ziel: die cleversten Programmierer finden und anstellen. Auf die Frage, wer dieses Projekt vorantreibt, meint Joselyn Goldfein, Director of Engineering: «Die HR-Abteilung ist in einem Gebäude, wir in einem anderen. Die Rekrutierung sitzt bei uns.»
Diese Aussage weckt Erinnerungen an Keith Hammonds’ klassischen Artikel «Why we hate HR»(1). Hammonds argumentiert, dass es die HR-Spezialisten auch nach 20 Jahren Rhetorik nicht geschafft haben, strategische Partner mit einem sicheren Platz in der Geschäftsleitung zu sein. HR steckt fest: Administrative Tätigkeiten werden immer häufiger ausgelagert, und für strategische Aufgaben ist es unterqualifiziert – so Hammonds. Sechs Jahre nach der Veröffentlichung gehört der Artikel noch immer zu den meistgelesenen und -kommentierten – vorwiegend positiv.
HR wurde in den letzten Jahren professioneller. Immer mehr Linienverantwortliche anerkennen den Wertbeitrag von HR. Eine aktuelle Umfrage von PwC zeigt, dass rund 80 Prozent der globalen HR-Verantwortlichen dem CEO rapportieren. Trotzdem befinden sich heute viele HR-Organisationen im Umbruch – zu neuen Prozessen und Systemen, aber auch zu neuen Aufgaben, Profilen und Karrieremöglichkeiten.
Neue Berufsbilder dank dem «Ulrich-Modell»
Mit dem «Ulrich-Modell» von David Ulrich fand in den 1990er-Jahren eine überfällige Spezialisierung in den HR-Abteilungen statt; es entstanden neue HR-Berufsbilder. HR-Generalisten mutierten zu HR-Business-Partnern (HR-BP), HR-Shared-Services-Centers (HR-SSC) beziehungsweise Leitern oder Mitarbeitern eines Center of Expertise (CoE). Vielseitige Fach- und Führungskarrieren entstanden quasi über Nacht.
Nur: Die Spezialisierung der HR-Aufgaben allein auf dem Papier reicht nicht aus (siehe Grafik unten). In vielen Unternehmen ist zu beobachten, dass es ein langer Weg ist, bis HR-BP auf Augenhöhe mit der Linie zusammenarbeiten können. Und auch die Konzentration auf eine kostengünstigere Administration bei gleichbleibender oder besserer Qualität in den HR-SSC ist kein Kinderspiel. Nur gerade die Fachspezialisten in den CoE scheinen ihren neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Doch die Zufriedenheit mit den HR-SSC wächst.(2) Die Unternehmen überlegen, wie sie deren Aufgabenspektrum ausdehnen und vertiefen können. Sie übertragen ihnen immer mehr administrative Aufgaben in Bereichen wie Learning & Development, Performance Management und Rekrutierung. Ausserdem laufen Bestrebungen, dass HR-SSC auch Analyse-Cockpits erstellen, die als Entscheidungsgrundlagen für das Management dienen. Durch diesen ausgedehnten Wirkungsbereich werden die Tätigkeiten der HR-Mitarbeitenden vielfältiger und spannender. Das HR-SSC ist nicht mehr nur Durchgangsstation, sondern ein eigener Karrierepfad; Entwicklungs- und Karriereunterstützung werden entsprechend angepasst.
Die CoE vertiefen ihre Fachexpertise noch stärker und übernehmen mehr Verantwortung in den Bereichen Organisationsentwicklung und Talent Analytics. Den heutigen Wettbewerb gewinnt, wer sich rasch neuen externen und internen Anforderungen anpasst. Diese Kernkompetenz muss das Unternehmen mit fähigen Personen (weiter-)entwickeln. Dabei geht es nicht nur um Veränderungsmanagement, sondern um das aktive Mitgestalten neuer Geschäfts- und Organisationsmodelle (Aufbau- und Ablauforganisationen). Hier kann HR dem Unternehmen einen strategischen Mehrwert bieten. Dies bedingt allerdings Spezialisten mit fundiertem Firmenwissen und Talent in der Strategieumsetzung, im Organisations- und Projektmanagement.
Ein weiteres, immer wichtigeres CoE ist der Bereich Talent Analytics. Dank ERP-Systemen verfügen Organisationen heute über zahlreiche Personaldaten. Diese gilt es, für vorausschauende Analysen als Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten – eine Aufgabe, die weit über das Personalcontrolling hinausgeht. Mit Talent Analytics erkennt das Unternehmen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Personaldaten und kann Entwicklungen mit passenden Massnahmen positiv beeinflussen. Ausserdem versteht es Beziehungen zwischen Personal- und Unternehmensdaten. Beispielsweise zeigt Talent Analytics auf, wie sich die Produktivität unterschiedlicher Mitarbeitersegmente von Bankniederlassungen mit entsprechenden Motivationsmassnahmen beeinflussen lässt. Hier braucht es Spezialisten mit ausgeprägten analytischen Fähigkeiten, die zudem komplexe Algorithmen für Managemententscheide aufbereiten und verständlich erklären können.
Knacknuss HR-Business-Partner
Auf die Frage, wie vielen HR-BP er einen strategischen Mehrwert zutraut, antwortete kürzlich der globale HR-Leiter eines multinationalen Konzerns: «Nicht mehr als 10 Prozent.» Diese Einschätzung ist sicher zu skeptisch. Sie zeigt aber, dass HR-BP oft als schwache Funktion gelten. Leider – handelt es sich doch um eine der spannendsten Aufgaben im HR. HR-BP sind die wahren Sparringpartner der Linie und können entscheidend mithelfen, Geschäftseinheiten zu entwickeln.
Die HR-BP können ihren Einfluss oft nicht wahrnehmen, weil sie mit operativen und administrativen Tätigkeiten ausgelastet sind. Diese entstehen aus der Schnittstelle zwischen den CoE und dem HR-SSC; hier ist der Zeitaufwand trotz abgestimmter Prozesse erheblich. Unternehmen gehen deshalb dazu über, ihren HR-BP einen «Execution oder Implementation Manager» zur Seite zu stellen. Dieser unterstützt sie in der Umsetzung der HR-Initiativen und in der Koordination mit anderen HR-Stellen. Er übernimmt eine klassische Schnittstellenfunktion, wiederum ein neues HR-Berufsbild.
Ist der HR-BP von operativen Aufgaben befreit, kann er bei unternehmensstrategischen Themen mitwirken. Diese definieren sich heute gemäss Kasten.(3)
In führenden Unternehmen fokussiert HR konsequent auf diese Prioritäten; meist werden sie den HR-BP oder den CoE zugewiesen. Als sogenannte «Topic Leader» entwickeln die HR-BP innovative Lösungen und helfen bei der Umsetzung – in Abstimmung mit den CoE und anderen Funktionen wie Unternehmensentwicklung, IT oder Supply Chain. Damit schärft das Unternehmen den strategischen Fokus der HR-BP, macht deren Aufgaben vielfältiger und findet konkrete Antworten auf strategische Fragen.
Die hybride HR-Karriere
Über Jahre haben Unternehmen HR-Funktionen aus langjährigen HR-Mitarbeitenden rekrutiert. Mit den heutigen hohen Anforderungen werden die Karrierewege innerhalb und um HR immer durchlässiger.
Seit Mitte 2000 zeigt sich, dass immer mehr Berater in den HR-Bereich wechseln. Es ist davon auszugehen, dass sich die Grenzen zwischen HR-Beratung und funktionaler HR-Verantwortung zukünftig verwischen. Zahlreiche HR-Spezialisten verfügen über ein Karriereprofil mit beiden Erfahrungen. Unternehmen werden bewusst Kandidaten mit dieser Vielfalt auswählen.
Die Durchlässigkeit zwischen Linien- und HR-Verantwortung wird ebenfalls steigen. Diese Entwicklung ist nicht neu. Heutige HR-Verantwortliche waren früher bereits häufig in der Linie tätig. Neu ist aber, dass HR-Verantwortliche in andere Unternehmensbereiche (zurück-)wechseln. Vor kurzem wurde zum Beispiel Andreas Zingg, ehemals globaler HR-Leiter bei der Bank Julius Bär, per April dieses Jahres zum COO Asien der Bank ernannt. Saskia Groen-in’t-Woud trat vor ein paar Jahren als Verantwortliche für Talentgewinnung und -engagement bei Holcim ein. Heute ist sie verantwortlich für strategische Projekte in einer globalen Geschäftseinheit. Oder Lothar Harings, globaler Personalchef und Mitglied der Geschäftsleitung bei Kühne & Nagel, ist heute zusätzlich Sekretär des VR und verantwortlich für die Shared-Services-Strategie und -Implementierung für alle Funktionsbereiche des Unternehmens.
Ebenfalls neu ist, dass Linien- und externe Beratungstätigkeit im HR kombiniert werden. So zum Beispiel René Lichtsteiner: Nach mehreren Jahren Linienverantwortung und HR-Beratung ist er heute stellvertretender HR-Leiter bei einem global tätigen Technologieunternehmen und betreut zu 10 Prozent eigene Beratungsprojekte. Der gegenseitige Wissenstransfer ist einer der Hauptgründe, weshalb das Unternehmen diese Lösung befürwortet. Für Lichtsteiner ist es eine motivierende Bereicherung seines Berufs.
Die HR-Berufsbilder werden immer vielfältiger. Sie zeugen von einer anhaltenden Professionalisierung. Trotzdem wird es wohl noch eine Weile dauern, bis Keith Hammonds einen Artikel mit dem Titel «Why we love HR» publiziert.
Literatur:
- 1 Hammonds, K. (2006): Why we hate HR. www.fastcompany.com
- 2 Siehe Linde, S., Donkor, C. (2011): Shared service centres – opportunities and challenges in HR Transformation. PwC.
- 3 PwC (2012): 15th Global CEO Survey.