HR Today Nr. 4/2020: New Work

Nicht jedem Trend hinterherrennen

Warum Themen wie Akustik, Klima und Licht immer wichtiger werden, Caddys nur ein kurzfristiger Trend waren und Flexibilität der Schlüssel für das Arbeiten in Zukunft ist: vier Büroexperten im Gespräch.

Was zeichnet einen attraktiven Arbeitsplatz aus?

Robin Marke: Schlagwörter sind Flexibilität und Zonen. Mitarbeitende müssen während des Tages flexibel und agil arbeiten können. Am Morgen benötigt ein Arbeitnehmender vielleicht einen Konzentrationsraum, am Mittag einen Konferenz- und am Nachmittag einen Kreativraum …

Patrick Benz: … wichtig sind die technischen Voraussetzungen. Die IT muss diese Art zu arbeiten unterstützen. Die Firmenmentalität darf dem in nichts nachstehen. Das heisst, Mitarbeitende sollten eine Stunde lang E-Mails auf einem Sofa beantworten können, ohne dass Vorgesetzte und Kolleginnen und Kollegen glauben, er oder sie mache etwas Privates.

Jan Schoch: Ein allgemeingültiges Bürokonzept existiert nicht. Am Ende muss ein Unternehmen aber auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeitenden eingehen. So nutzen zahlreiche Unternehmen Einzelbüros, weil sie Mitarbeitende haben, die das brauchen und schätzen, kombiniert mit Begegnungszonen, in denen sie sich austauschen und treffen können. Das zeigt, dass es grundlegend falsch wäre, wenn es nur noch Open Spaces gäbe.

Die Tendenz geht aber in Richtung Open Spaces, Grossraumbüros und Desk-Sharing.

Benz: Das wird vor allem über die Medien kolportiert. Wenn eine Grossbank auf ein solches «System» setzt, haben deren Mitbewerber das Gefühl, sie müssten das ebenfalls tun. Unsere Aufgabe ist es, Unternehmen aufzufordern, erst einmal darüber nachzudenken, bevor sie einem Trend hinterherrennen. So nebenbei: Grossraumbüros gibt es schon seit Jahrzehnten.

Schoch: Spannend wäre, Mitarbeitende dazu zu befragen, ob sie lieber in einem Einzel- oder in einem Grossraumbüro arbeiten wollen. Es würde mich interessieren, was dabei herauskäme.

Dirk Reiner: Apropos Tendenzen: Homeoffice ist bei Arbeitnehmenden gar nicht so beliebt und wird auch nicht so stark genutzt, wie angenommen. Sie kommen lieber ins Büro, um sich auszutauschen, wenn das Arbeitsumfeld und die Unternehmenskultur attraktiv sind …

Marke: … dass das Büro immer mehr zu einem Begegnungsort wird, haben wir ebenfalls festgestellt. Arbeiten kann man heute überall, sich begegnen aber nicht. Deshalb wird es «den» Arbeitsort immer brauchen.

Benz: Aus dieser Beobachtung heraus ist es umso wichtiger, Arbeitnehmenden einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. Damit meine ich nicht praktische Möbel wie Stehtische oder Rollladenschränke, sondern eben Flexibilität und verschiedene Zonen, beispielsweise für Kommunikation, Kollaboration und konzentriertes Arbeiten.

Schoch: Meine Tochter studiert zurzeit an der HSG. Dort gibt es einen Coworking-Space. An sich ist das eine tolle Sache, aber sie kann dort nicht arbeiten. Der Grund sind Störfaktoren. Diese können nicht nur Krankheiten, sondern auch hohe finanzielle Kosten verursachen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Wer beim konzentrierten Arbeiten gestört wird, benötigt bis zu 30 Minuten, bis er wieder voll im Thema ist. Wenn ich diese Zeit in Franken hochrechne, sind das immense Beträge, die den Unternehmen verloren gehen. Mit diesen Kosten wären Einzelbüros schon lange finanziert. Deshalb werden Rückzugsräume beziehungsweise buchbare Einzelbüros künftig wieder zunehmen.

 

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Von links: Robin Marke, CEO, Witzig The Office Company AG. Patrick Benz, Country Manager Switzerland, BENE GmbH. Dirk Reiner, CEO und Gründer, Memox Innovations AG. Jan Schoch, CEO und Inhaber, Büro Schoch Werkhaus AG. (Foto: Christine Bachmann)

Wer sollte bei der Gestaltung von Büroräumlichkeiten einbezogen werden?

Benz: Das Beste ist und bleibt, wenn die Mitarbeitenden einbezogen werden und diese mitentwickeln. Sie sind die wichtigsten Botschafter eines Unternehmens. Zudem vertrauen Mitarbeitende vor allem ihren Arbeitskollegen*innen und lassen sich dadurch für einen Veränderungsprozess begeistern.

Marke: Wenn wir mit einem Unternehmen einen Prozess starten, ist es wichtig, dass neben der Geschäftsleitung und den Chefs auch die Mitarbeitenden, im Sinne einer Nutzervertretung, möglichst früh in den Prozess eingebunden werden. Am Ende geht es ja schliesslich auch um die Beschäftigten. Sie müssen sich beim Arbeiten wohlfühlen und produktiv sein.

Reiner: Wir machen prinzipiell keine Projektplanungen, wenn nebst den Kaderleuten die Facility-Management-Verantwortlichen und die Raumnutzer nicht involviert sind. Wenn eine dieser Parteien fehlt, funktioniert die neue Bürolandschaft am Ende nicht.

Schoch: Ich stimme meinen Kollegen zu. Wer einen solchen Prozess startet, der muss alle Beteiligten mit ins Boot holen.

Brauchen wir Rutschen, Pingpongtische und Hangout-Lounges?

Marke: Das kann man nicht verallgemeinern. Ob man Rutschen, Pingpongtische oder Hangout-Lounges nutzt, hängt davon ab, ob dies für das jeweilige Unternehmen Sinn macht und die internen Prozesse unterstützt.

Benz: Das Problem ist, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren versucht haben, sich vom Projekt Google inspirieren zu lassen. Dieses Konzept ist aber nicht für jede Kultur stimmig.

Reiner: Wichtig ist die Frage: Wo wollen wir als Unternehmen hin? Wenn Rutschen, Pingpongtische und Lounges im Unternehmensalltag unterstützend wirken, dann los. Sonst sollten Firmen lieber die Finger davon lassen.

Schoch: In unserem Betrieb haben wir eine Schaukel. Die wird mal mehr, mal weniger genutzt. Aber am Ende muss so ein «Gadget» aber zum Unternehmen passen und die Effizienz im Alltag fördert.

Welche Trends haben sich bei der Bürogestaltung nicht durchgesetzt?

Marke: Beispielsweise das Caddy-Konzept, wenn Mitarbeitende am Morgen ihren Caddy holen und sich einen sogenannten «Clean Desk Policy»-Arbeitsplatz suchen.

Benz: Stimmt. Das hat sich nicht durchgesetzt, obwohl wir zu Tausenden Caddys an Unternehmen verkauft haben. Das System mit den «Lockers» (Schliessfächern) hingegen wird sich etablieren. Allerdings braucht es dafür in den Unternehmen funktionierende Leitsysteme, damit der Mitarbeitende spätestens beim Betreten des Gebäudes weiss, an welchem Arbeitsplatz oder in welcher Zone er mit seiner Arbeit beginnen kann. Hier noch eine kleine Randnotiz: Wenn ein Unternehmen solche Systeme einführt, um die Flächeneffizienz zu optimieren und gegebenenfalls die Mietkosten zu senken, um beispielsweise die vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern und den Gewinn zu halten, sollten die Vorgesetzten das den Mitarbeitenden auch offen sagen. Vielleicht stossen sie so eher auf Verständnis für die Situation.

Marke: Da wären wir wieder bei der Involvierung der Nutzer.

Benz: Wenn wir das Thema auf alle Büroräumlichkeiten ausweiten, hat Coworking meiner Meinung nach keine Zukunft. Bei diesem Konzept fehlt schlicht die DNA des Unternehmens.

Was ist die grösste Büroerrungenschaft der letzten Jahre?

Schoch: Das Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, auch wenn es nicht ganz uneigennützig ist. Unternehmen müssen in Zeiten des «War for Talent» mehr tun, um Mitarbeitende zu finden und zu binden.

Marke: Ergänzend würde ich Menschen individuell abholen. Ihre Bedürfnisse sind auch bei der Arbeit einzigartig. Somit ist für mich die grösste Errungenschaft die geschaffene Agilität und Flexibilität, die es jedem Einzelnen ermöglicht, selbst zu entscheiden, was er benötigt.

Benz: Für mich ist es die Freiheit. Nicht jene, zu tun und zu lassen was ich will. Aber die Freiheit, zu entscheiden, um welche Uhrzeit ich produktiver bin, und meine Arbeit darauf abzustimmen. Das ist ein Gewinn für Mitarbeitende und Unternehmen.

Wie kann ein Unternehmen mit wenig Geld bei der Arbeitsraumgestaltung echte Veränderungen bewirken?

Schoch: Um echte Veränderungen zu bewirken, braucht es nicht zwingend viel Geld. Manchmal ist nur ein bisschen Kreativität nötig, um in bestehende Sachen zu investieren. Ich erinnere mich an einen Kunden, der mir mitteilte, dass er für die Bürogestaltung kaum Budget habe. Da habe ich ihm gesagt: Geben Sie Ihren Mitarbeitenden 2000 Franken und lassen Sie sie damit einen Raum gestalten. Seine Mitarbeitenden haben die Herausforderung angenommen. Einer hat sein altes Sofa mitgebracht, andere haben etwas aus dem Brockenhaus oder aus unserem Möbelgeschäft gebracht. Das Resultat: Der für 2000 Franken gestaltete Raum ist heute einer der beliebtesten im ganzen Betrieb. Manchmal muss ein Arbeitgebender einfach nur offen sein und solche «Break-the-Norm»-Grundlagen schaffen.

Benz: Unbedingt. Die Mitarbeitenden fragen und ihr Engagement nutzen. Viele haben gute Ideen und können genau sagen, wieso ein Raum in einem Gebäude nicht oder weniger genutzt wird. Was viele beratende Firmen bis heute falsch machen: Sie fragen nicht den Fisch, sondern den Fischer. Aber am Ende muss der Köder dem Fisch schmecken.

Marke: Wichtig ist, dass die Beratung früh in Anspruch genommen wird. Damit spart ein Unternehmen Kosten. Eine gute Planung verhindert teure Produktionskosten. Wenn ich merke, dass in einem Zimmer das Raumklima schlecht ist, wenn es bereits fertiggestellt ist, kann ich von vorne beginnen.

Reiner: Mein Rat ist, von Investitionsbudgets wegzukommen. Unternehmen sollten ihre Inves­titionen lieber über mehrere Jahre hinweg tätigen und ihre Räume kontinuierlich verändern, statt alle auf einmal.

Benz: Dem stimme ich zu. Gerade, weil die Homebase für den Mitarbeitenden spannend und sexy bleiben muss, damit er täglich dorthin will. Das heisst, dass sich die Begegnungs- und Kollaborationszonen in einem Unternehmen durchschnittlich alle zwei Jahren verändern müssen, damit die Spannung aufrechterhalten bleibt.

Wohin geht die Reise bezüglich Arbeitsräume der Zukunft?

Marke: Klima, Akustik und Licht stehen stärker im Fokus. Bei Open Spaces ist die Akustik ein grosses Thema. Das Gleiche gilt für die Belüftung. Vor 20 Jahren hat man noch darüber geredet, ob das Mobiliar bequem ist. Heute ist das selbstverständlich. Über solche Dinge kann sich ein Unternehmen nicht mehr differenzieren.

Benz: Das Wohlbefinden im Raum ist etwas ganz wichtiges und deshalb müssen wir auch über die technischen Voraussetzungen sprechen, beispielsweise jenen von sogenannten «Think Tanks». Die Kühlung und Lüftung bei solchen Räumlichkeiten ist essenziell. Und um nochmals auf den Trend Homeoffice zurückzukommen: Ich glaube ebenfalls, dass der Trend künftig wieder zurück ins Büro führt. Menschen wollen Menschen begegnen. Dafür müssen Unternehmen eine Arbeitswelt schaffen, in der die Mitarbeitenden sich gerne aufhalten und effizient und produktiv arbeiten können.

Schoch: Homeoffice wird nicht ganz aussterben, schon aus ökologischen Gründen nicht. Ein Beispiel: Viele Mitarbeitende der Schweizer Grossbanken wohnen im Kanton Thurgau und pendeln täglich nach Zürich. Wenn wir sie in den Stosszeiten von der Strasse bekommen und ihnen dafür ein Homeoffice oder einen Hub vor Zürich zugestehen, käme das nicht nur der Umwelt, sondern auch den Mitarbeitenden zugute – der Öko-Fussabdruck sollte zu Hause beginnen und nicht erst vor der Tür des Unternehmens.

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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