Gerade Letzteres ist für Herzig in der vergangenen Zeit schwieriger geworden: Seit die RWD Schlatter AG vom AFG-Konzern aufgekauft wurde, ist sie ein börsenkotiertes Unternehmen. Damit kann den Mitarbeitern weniger Information geliefert werden als bisher. «Nun braucht es die Zeit, um dem Team den Grund für die abnehmenden Infos und die neuen Strukturen genau zu erklären», sagt Herzig. Es ist bereits das vierte Mal in 20 Jahren, dass der Eigentümer der RWD wechselt. Alle Wechsel sind relativ reibungslos verlaufen. «Gerade wegen unseres guten Zusammenhalts», ist Herzig überzeugt.
Von der RWD Schlatter zum wissenschaftlichen Modell
Auf diesen Zusammenhalt, die gemeinsamen Werte und die starke Vertrauenskultur ist auch das Departement Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften aufmerksam geworden. Zwischen der RWD Schlatter AG und der ZHAW besteht schon länger eine Zusammenarbeit. Regelmässig besuchen Masterstudenten des Instituts für Angewandte Psychologie das Unternehmen. Bei Gesprächen mit Mitarbeitenden und dem Geschäftsführer staunen die Studierenden immer wieder über die Umsetzung und die Machbarkeit des Führungsmodelles und der Unternehmenskultur.
Um diesen Beobachtungen genauer auf den Grund zu gehen, wird das Führungssystem nun im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie erforscht. «Die RWD Schlatter AG stellt im Thurgau Türen her, die irgendwo auf der Welt viel günstiger produziert werden könnten. Und sie hat grossen wirtschaftlichen Erfolg damit, das hat uns fasziniert», sagt Hella Kotrubczik, Co-Autorin der Studie mit dem Titel «Werteorientierte Führung». Die eigentliche Forschungsfrage war sehr offen formuliert: Wie funktioniert das Führungssystem der RWD Schlatter AG? Lässt sich mit Hilfe von qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden ein Modell bilden, welches das System ausreichend beschreibt? Zudem versucht die Studie einen Praxisnutzen zu stiften, indem sie die Frage nach der Lernbarkeit eines solchen Führungssystems stellt (auf individueller wie auf kollektiver Ebene).
Noch ist die Studie nicht abgeschlossen, doch zeigt sich laut Kotrubczik: «Das Führungsmodell der RWD Schlatter beruht auf Werten wie Vertrauen und Identifikation, denen sich die Mitarbeiter stark verpflichten.» Weitere Arbeiten mit anderen werteorientierten Führungssystemen sollen folgen, damit man besser versteht, welche zentralen Prinzipien eine Rolle spielen. Diese Erkenntnisse würden die Entwicklung von Reflexions- und Lernformaten erheblich erleichtern, sodass weitere Personen vom praktischen Wissen profitieren können und nicht den ganzen Weg von vorne gehen müssen.
Was Karate mit der RWD- Firmenphilosophie zu tun hat
Roger Herzig ist überzeugt, dass sich eine Vertrauenskultur für jedes Unternehmen lohnt. Der wirtschaftliche Erfolg gibt ihm Recht: In Benchmarks innerhalb der Holding und im Vergleich mit Konkurrenten schneidet die RWD Schlatter sehr gut ab. Das Geschäft ist äusserst erfolgreich. «Unser Team zeigt ein überdurchschnittliches Engagement, ist hoch motiviert und kreativ.» Die zahlreichen Labels für Nachhaltigkeit und die Vorreiterrolle, die die RWD in der Branche oft einnimmt – beispielsweise kommen die ersten voll kompostierbaren Türen der Welt aus Roggwil – seien nicht von ihm angestossen worden. «Das waren Ideen unserer Entwickler, die Freude an ihrer Arbeit haben und viel Einsatz zeigen.» Auch das hohe Commitment der Mitarbeiter und die sehr tiefe Fluktuation sieht Herzig als Lohn für die gute Unternehmenskultur.
Er versteht darum nicht ganz, warum in der Ausbildung von zukünftigen Führungskräften nicht stärker auf solche Themen aufmerksam gemacht wird. «Junge Wirtschafter müssten in ihrer Ausbildung auch über ethische Grundwerte diskutieren. Darüber, was Geld, Karriere und Gier bedeuten. Vielen jungen Menschen könnten Werte plausibel erklärt werden.»
Herzig selbst ist in seiner Wertehaltung von der asiatischen Kultur geprägt. Im Büchergestell in seinem Büro steht neben Wirtschaftsschunken Literatur über fernöstliche Meditationen, und er hat auch selber Bücher zur fernöstlichen Lebensphilosophie geschrieben. Noch prägender aber ist sein Sport: Herzig betreibt seit vielen Jahren Karate und hat die Haltung eines guten Karatekas verinnerlicht. «Karate beginnt und endet mit Respekt. Menschen nehmen extrem gut wahr, wenn sie als Person respektiert werden. Diese Einstellung versuche ich zu leben, auch in unserem Betrieb.»
Buchtipp
Im Oktober ist das zweite Buch von Roger Herzig erschienen. In «Worte an die Menschenkinder» macht sich der Unternehmer William zum Einsiedler und Weisen Kato auf, um mit ihm über die zentralen Fragen des Lebens zu sprechen. Beeinflusst vom Gedankengut bedeutender Philosophen und spiritueller Denker gibt Herzig mit der Figur von Kato Antworten und Einblicke in das Geheimnis eines erfüllten und erfolgreichen Lebens.
- Roger Herzig: Worte an die Menschenkinder. Spiegelberg Verlag, 2012, 171 Seiten, Hardcover, CHF 19.90