Karriere

Nur ideal ist nicht ideal

Unternehmen suchen meist Idealkandidaten mit nahtlosem, stringentem 
CV. Dabei fördern Menschen mit bunten Lebensläufen die unternehmerische 
Innovationskraft.

Strukturiert, analytisch, kommunikativ, flexibel, fordernd, durchsetzungsfähig und unternehmerisch denkend – welches Inserat für Führungskräfte strotzt nicht von solchen Anforderungskriterien? Austauschbar und daher meist wenig aussagekräftig sind die gestellten Ansprüche; sie spiegeln die jeweiligen Stellenprofile in der Regel weder spezifisch noch ausreichend.

Streben nach den Besten der Allerbesten – dieser absolute Anspruch steht im Widerspruch zur bewährten, pragmatischen Devise «the best person for the job». Das individuelle Anforderungsprofil für die Neubesetzung einer Position ist stets in realistischem Kontext zur Ausbildung, Erfahrung und Persönlichkeit des gesuchten Stelleninhabers zu sehen. Wie viele Mitarbeitende sind in ihrer Aufgabe nicht nach kurzer Zeit schon unterfordert, demotiviert und daher unzufrieden? Weshalb erhält ein Stellenbewerber mit einem partiellen fachlichen Defizit, hingegen mit Enthusiasmus, Lernfähigkeit und -wille oftmals keine Chance, wo sich eben gerade diese Eigenschaften positiv auswirken können?

Der jeweiligen Firmenkultur wird zu wenig Beachtung geschenkt

Besonders auffällig wird die Diskrepanz zwischen Wunschdenken und Realität, wenn die in gut tönenden Ausschreibungen gesuchten Charaktereigenschaften des Kandidaten nicht mit der jeweiligen Unternehmenskultur vereinbar sind. So werden beispielsweise vom gesuchten Idealprofil unternehmerisches Denken und Durchsetzungskraft gefordert, obwohl diese in der Firmenrealität gar nicht gefragt sind. Weshalb soll eine Kandidatin innovativ, selbständig und flexibel sein, wenn der Vorgesetzte keine Neuerungen begrüsst, eng führt und die internen Prozesse und Strukturen starr sind?

Anforderungen an das 
Führungsverhalten

Die vom Firmenleitbild abgeleiteten Unternehmenswerte sollten konsequenterweise das Verhalten der Führungskräfte sowie der Mitarbeitenden vorgeben. Oft bleibt jedoch durch das Streben nach der Maximierung der fachlichen Fähigkeiten der Fokus auf das soziale Verhalten und die Persönlichkeit auf der Strecke. Der erfolgsverwöhnte Karrierekandidat, der noch keine Niederlagen und Rückschläge in seinem Leben erfahren hat, verfügt auch als Führungsperson vermutlich nicht über die nötige Demut gegenüber andern oder über die Empathie, welche für die Motivation, das Vertrauen und die Entwicklung der Mitarbeitenden und den langfristigen Unternehmenserfolg unerlässlich sind.

Unnötige Frustrationen, Demotivation und schliesslich Kündigungen von Teammitgliedern sind oft die Folge von rein kopflas-tigen Führungskräften, welche über wenig oder keine sozialen Kompetenzen verfügen. Die daraus resultierenden kostspieligen, zeitraubenden Neurekrutierungen wären in den meisten Fällen vermeidbar, würde dieses Bewusstsein bereits bei der Ausschreibung, den Interviews sowie der Beurteilung einfliessen.

Weshalb stellen Auszeiten einen 
Makel im Lebenslauf dar?

Nahtlose, stringente Lebensläufe mit einem ununterbrochenen, selbsterklärenden und logischen Aufstieg vom Spezialisten hin zum Superspezialisten werden von rekrutierenden Firmen meist bevorzugt behandelt. Wo lassen die Unternehmen hingegen Mut zur Lücke und zum Unterbruch im CV oder zur Erfahrung in anderen Aufgabengebieten und Branchen zu? Auszeiten, die zeitweise Abkehr von der Alltagsroutine und das Eintauchen in andere Welten bieten bekanntlich Raum für persönliche Weiterentwicklung. Erfahrungen aus branchenfremden Berufsfeldern, Inspiration aus fremden Kulturen – seien es aus anderen Ländern oder Firmen – stellen einen Gewinn für den Arbeitgeber dar und erweitern unternehmerische Perspektiven. Eine persönliche Stagnation im Berufsleben kann so auf kreative Art mit Distanz und Aussensicht nachhaltig durchbrochen werden. Das Antizipieren neuer Möglichkeiten kann niemals schaden.

Mehr Offenheit gegenüber bunten Lebensläufen fördert die unternehmerische Innovationskraft und somit die Wettbewerbsfähigkeit. Sich ständig und immer schneller verändernde Marktbedingungen verlangen nach anpassungsfähigen Organisationen sowie Adaptionsfähigkeiten der Mitarbeitenden.

Weg von der Gleichmacherei: 
Gefragt ist Mut zur Individualität

Blockieren sich Unternehmen mit starren und enggesteckten Anforderungsprofilen nicht selbst die Chancen auf einzigartige menschliche und fachliche Ressourcen? Haben Aus-, Wieder- und Quereinsteiger gegenüber Bewerbern mit einem linearen CV nicht auch den Vorteil des Mehrwerts ausserhalb der firmenintern definierten Parameter? Müssen die Erfahrungswerte und die Fachkenntnisse stets exakt den Anforderungen an den Stellensuchenden entsprechen? Gefragt ist Mut zur Individualität, weg von der Gleichmacherei des austauschbaren, erfolgsgetrimmten Prototypen und konformen Idealkandidaten hin zu mehr Persönlichkeit, Farbigkeit und Lebenserfahrung.

Nichts gegen erstklassig ausgebildete, ehrgeizige, international ausgerichtete Multitalente – doch wo haben junge, leistungshungrige und wenig erfahrene oder ältere, praxiserprobte und loyale Mitarbeitende ihren Platz in unserer auf den glatten Erfolgsmenschen ausgerichteten Berufswelt? Eine gute Mischung aus aufstrebenden, energiegeladenen und risikofreudigen Jungen und erfahrenen, etwas besonneren und erprobten Älteren schafft durch den gegenseitigen, bereichernden Erfahrungs- und Wissenstransfer eine solide Basis der Zusammenarbeit.

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Germaine Siegfried ist Beraterin bei DA Unternehmensberatung in Personalfragen und im Bereich Fach- und Führungskräfte.

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Sabine Biland-Weckherlin ist Partner bei da professionals. Sie verfügt über fundierte Kenntnisse in der Rekrutierung, Selektion und Betreuung von Executive Assistants wie auch von Führungskräften und Fachspezialisten.

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